Diabetes aktuell 2024; 22(03): 89
DOI: 10.1055/a-2288-8785
Editorial

Stiefbruder des Insulins

Antje Bergmann
1   Dresden
,
Peter E.H. Schwarz
2   Dresden
› Author Affiliations

Wer könnte das sein? Insulin wurde vor 102 Jahren entdeckt, aber gleichzeitig auch sein Stiefbruder – das Glukagon. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir wenig über Glukagon und haben aber doch schon ein Jahrhundert des Glukagons erlebt. Muriel et al. haben schon vor 102 Jahren beschrieben, dass der Blutzucker bei der Anwendung von Pankreasextrakten sinkt (Insulin), aber einige Zeit danach wieder steigt und haben das zurückgeführt auf die Präsenz eines anderen Hormons, welches den Blutzucker erhöht.

Damit begann das Jahrhundert des Glukagons, was an uns eigentlich unbemerkt vorbeigegangen ist. Es hat 3 Nobelpreise für das Glukagon gegeben. Sutherland bekam den Nobelpreis dafür, dass er mithilfe von Glukagon den Energiestoffwechsel mit cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat) entdeckte. De Duve hat die glykogenolytische Funktion des Glukagons in Lysosomen beschrieben und dafür den Nobelpreis erhalten, genauso wie Rodbell und Gilmann, die mithilfe des Glukagons die Funktion des G-Proteins und seine Rolle in der Signaltransduktion in Zellen beschrieben haben. Glukagon ist ein sehr interessantes Hormon – eigentlich viel spannender als Insulin, da es an vielen Facetten des Energiestoffwechsels mitwirkt. In heutiger Zeit erlebt das Glukagon eine Renaissance, insbesondere durch die überzeugende Wirksamkeit der GLP1-Analoga, als auch der dualen Agonisten und Twincretine. Wo kommt das her? Glukagon wird als Pro-Glukagon-Gen abgeschrieben und dann in pankreatischen Alphazellen in Glukagon und weitere Produkte umgewandelt. Das gleiche Gen aber wird in den Darmzellen in GLP1 und GLP2 als auch andere Produkte verwandelt. Dieser enge Zusammenhang zum Energiestoffwechsel ist Teil der Effektivität der GLP1-Analoga. Es geht aber noch weiter. Unger und Sherrington beschreiben den Typ-2-Diabetes mellitus als eine Parakrinopathie im Pankreas. Sie beschreiben, dass es gar nicht vordergründig die Insulindefizienz ist, die den Diabetes auslöst, sondern die überschießende Wirkung des Glukagons. Diese Theorie wurde wenig beachtet, da unser Fokus in der Diabetesbehandlung auf Insulin liegt, aber diese alternative Theorie erlebt ebenfalls eine Renaissance. Schaut man sich das Wechselspiel zwischen Alpha-, Beta- und Deltazellen im Pankreas an, ergibt es unter Präsenz von GLP1, aber auch bei Fettsäurederivaten und Proteinen, ein fein aufeinander abgestimmtes Wechselspiel einer parakrinen Regulation. Sowohl bei Hyper- als auch bei Hypoinsulinismus, genauso bei Hyper- und Hypoglykämie werden komplexe Regulationsmechanismen in Gang gesetzt, die einerseits eine Regulation wiederherstellen können, aber auch eine Dysregulation mit Hyperglukagonismus bewirken können.

Jetzt wird es aber noch spannender. Wir missbrauchen Glukagon als das Hormon, welches Glykogen abbaut und damit in einer Hyposituation Patientenleben retten kann. Das ist aber nur ein kleiner Anteil der möglichen Glukagonwirkung. Auf dem ADA wurden 1978 neue Perspektiven in der Regulation der Ketogenese dargestellt. Das Haupthormon, welches Betaoxidation sehr schnell an- und abschalten kann, ist das Glukagon. Das macht das Glukagon im Kontext unseres heutigen Verständnisses mit der Zunahme von Leberfett und metabolisch assoziierter Leberverfettung zu einem hochattraktiven Target. Ist Glukagon vielleicht das Hormon, welches die positiven Wirkungen bei Diabetes durch Fasten erklärt? Eine positive Antwort liegt dabei sehr nah. Ist der Patient in einer Situation, in der gleichzeitig niedrige Insulin- und Glukosespiegel vorkommen (das passiert eigentlich nur, wenn eine Person mehr als 3–4 Tage fastet), dann ist die primäre Wirkung des Glukagons auf den Glukosestoffwechsel obsolet. Glukagon ist aber gleichzeitig in der Lage, den Proteinstoffwechsel anzuschieben, als auch die Betaoxidation von Fettsäuren. In welchen Organen ist Glukagon präsent? Im Pankreas und der Leber. Wenn sich der Fastende nun bewegt, sodass Muskelabbauprozesse unterdrückt werden, schaltet das Glukagon sehr schnell auf eine Steigerung der Betaoxidation und Abbau von Fettsäuren zu Ketonkörpern um. Wo findet das Ganze statt? Im Pankreas und der Leber. Erklärt das vielleicht die gute Wirkung, warum es bei Menschen mit Diabetes, die fasten, sehr schnell zu einer Reduktion von Leberfett, als auch pankreatischem Fett kommen kann? Ich denke ja und glaube, dass diese Wirkung des Glukagons uns in den nächsten Jahren helfen kann, Fasten besser zu verstehen, aber auch helfen kann, besser zu verstehen, warum es bei manchen medikamentösen Therapien, als auch Lebensstilveränderungen, zu einer Reduktion des Leberfetts kommt, bei manchen aber auch nicht.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Nachdenken – vielleicht über das Glukagon – aber insbesondere beim Lesen unseres neuen Heftes Diabetes aktuell und wünschen Ihnen eine wunderbare Frühlingszeit mit neuen Ideen zu einer innovativen Diabetologie.



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Article published online:
21 May 2024

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