Diabetologie und Stoffwechsel 2016; 11(05): 334
DOI: 10.1055/s-0042-116510
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Typ-2-Diabetes – Intensive Non-Insulin-Therapie und Hypoglykämierisiko

Robert Ritzel
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Publication Date:
21 November 2016 (online)

Hintergrund: Eine aggressive HbA1c-Einstellung erhöht insbesondere bei älteren und komorbiden Patienten die Wahrscheinlichkeit für schwere Hypoglykämien, Medikamentennebenwirkungen und die Kosten. Mc Coy et al. untersuchten in einer retrospektiven Studie mit 31 542 Patienten, wie häufig eine intensivierte Therapie, Deeskalationen und Hypoglykämien vorkamen.

Methoden: Die Informationen aus 2001–2011 entstammten der Datenbank öffentlicher und privater Krankenversicherungen, in denen > 100 Mio. Personen erfasst sind. Ausschlusskriterien waren u. a. ein Typ-1-Diabetes, eine Insulintherapie und schwere Hypoglykämien im Jahr vor der Studie. Voraussetzungen für die Aufnahme waren ein Typ-2-Diabetes und 2 HbA1c-Befunde in 24 Monaten. Nach dem Index-HbA1c erfolgte die Stratifizierung in 3 Kategorien: < 5,6 %, 5,7–6,4 % und 6,5–6,9 %. Der „intensiven“ Behandlung entsprach eine Therapie mit > 0, ≥ 2 und ≥ 2 Medikamente / Insulin nach dem ersten HbA1c. Eine Deintensivierung lag bei einer Reduktion um ≥ 1 Medikament vor. Die Wissenschaftler prüften die Berücksichtigung der individuellen Patientensituation. Dazu erfolgte die Identifizierung klinisch komplexer Fälle (Alter > 75 Jahre, terminale Niereninsuffizienz, Demenz, ≥ 3 schwere chronische Erkrankungen).

Das durchschnittliche Lebensalter betrug 58 Jahre. 49,1 % der Personen waren weiblich. Einen sehr niedrigen, niedrigen und normalen Ausgangs-HbA1c hatten 10,4 %, 57,1 % und 32,5 % der Patienten. 32,9 % nahmen keine Medikamente ein, 37,7 % erhielten 1 Medikament, 21,3 % bekamen 2 Substanzen und 8,2 % nahmen ≥ 3 Wirkstoffe ein. Eine starke klinische Belastung lag überwiegend wegen des hohen Lebensalters in 12,4 % der Fälle vor.

Insgesamt 8048 Patienten erhielten eine intensive Therapie (25,5 %). Darunter waren 731 Personen mit einer hohen Gesamtmorbidität. Die Wahrscheinlichkeit für die aggressive Behandlung war bei Männern, Weißen, nicht komorbiden und von Endokrinologen behandelten Patienten gesteigert. Zwischen 2001 und 2008 waren die Häufigkeiten stabil und nahmen im weiteren Verlauf ab. In den Gruppen mit geringer und hoher klinischer Komplexität erhielten 5,8 % und 3,6 % die intensive Therapie trotz niedriger HbA1c-Befunde. Eine Deeskalation erfolgte bei weniger als 25 %. Dies galt auch in der stärker gefährdeten Gruppe mit hoher klinischer Komplexität.

Ergebnisse: Schwere Hypoglykämien kamen in 1,4 % der Fälle vor. Verglichen mit jüngeren, nicht komorbiden Patienten war die Gruppe mit hoher klinischer Komplexität signifikant häufiger betroffen (2,9 % vs. 1,2 %; p < 0,01). Die intensive Behandlung steigerte das Risiko im Vergleich zur Standardtherapie um 1,3 %. In der Niedrigrisiko-Gruppe steigerte die aggressive Therapie die Hypoglykämiewahrscheinlichkeit nicht. Sulfonylharnstoffe und die Betreuung durch Endokrinologen waren unabhängig mit dem Risiko für schwere Hypoglykämien assoziiert.

Folgerung: Die intensive Therapie des Typ-2-Diabetes war häufig, teilweise nicht indiziert und insbesondere bei Patienten mit hoher klinischer Komplexität nicht nur mit einem zweifelhaften Nutzen, sondern auch mit einem höheren Komplikationsrisiko assoziiert.

Dr. med. Susanne Krome, Melle