Laryngorhinootologie 2005; 84(9): 683-684
DOI: 10.1055/s-2004-826076
Aktuelle Habilitation
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Schwerhörigkeit im Alter - periphere und zentrale Ursachen?

Presbyacusis - Peripheral or Central Origin?G.  Hesse1
  • 1 Tinnitus Klinik, Bad Arolsen
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Publication History

Eingegangen: 28. Juni 2004

Angenommen: 2. September 2004

Publication Date:
21 April 2005 (online)

Zur Frage der Altershörigkeit (Presbyakusis) oder der Altersschwerhörigkeit liegen seit Ende des vorletzten Jahrhunderts zahlreiche Untersuchungen vor. Im Wesentlichen ging es damals wie heute darum, Normwerte für einzelne Altersgruppen aufzustellen.

An einer großen Gruppe von 477 Probanden wurden in einer umfangreichen Studie diese Normwerte überprüft. Die gefundenen Daten entsprachen besonders in den hohen Frequenzen den audiometrischen Werten, die auch von anderen Autoren beschrieben worden sind. Allerdings hat sich, besonders in den tiefen und mittleren Frequenzen, eine Verschlechterung gezeigt, jedenfalls betreffend das Tonschwellengehör. In der Kontrollgruppe der 15 - 30-jährigen Patienten konnte dagegen eine annähernde Normakusis tonschwellenaudiometrisch festgestellt werden.

Somit ist festzustellen, dass die Hörminderung sich in Bezug auf das Tonschwellenaudiogramm in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich verändert hat, allenfalls in den tiefen Frequenzen. Allerdings ist eine Schwerhörigkeit im Alter nicht physiologisch, d. h. unabwendbar. Immerhin 16 % der über 60-Jährigen und 12 % der über 70-Jährigen konnte noch vollständig normal hören.

Nur sehr unzureichende Daten lagen bislang jedoch zur Klärung der Problematik vor, inwieweit als Ursache für eine Hörminderung im Alter eine Degeneration der Haarzellen des Innenohres oder Veränderungen in den zentralen, d. h. allen retrokochleären Hörbahnanteilen anzusehen sind.

Durch Verwendung einer spezifischen diagnostischen Batterie, insbesondere des dichotischen Sprachtests und der Bestimmung der Binaural masking level difference (BMLD) zur Erfassung der binauralen Detektion eines Tones aus einem Störgeräusch, wurden auch Defizite retrokochleärer Hörbahnanteile erfasst.

Bei den über 60-jährigen Probanden zeigte sich in der überwiegenden Mehrzahl (> 50 bzw. > 75 %) eine Mischform, wo sowohl periphere als auch zentrale Anteile ursächlich für die Schwerhörigkeit waren. Jedoch gibt es auch eine große Zahl von schwerhörigen Patienten (21 % der 60- bis 70-Jährigen und immerhin noch 11,5 % der über 80-Jährigen), bei denen die Innenohrfunktion noch vollständig normal war, der Hörverlust also einzig auf zentrale Anteile zurückzuführen war. Im Gegensatz dazu war nur bei 3,8 % der über 80-Jährigen die zentrale Hörverarbeitung normal, der Hörverlust also einzig bedingt durch eine Störung der Haarzellen des Innenohres. Auffällig ist in der Kontrollgruppe, dass, obwohl ausschließlich normalhörige Befunde im Tonschwellenaudiogramm gefunden wurden, dennoch die Innenohrfunktion ausweislich der gemessenen DPOAE bei fast 30 % der Probanden nicht mehr normentsprechend war. Dies deutet auf beginnende, evtl. zivilisationsbedingte periphere Hörschäden hin, zeigt aber auch, dass auch die DPOAE in ihrer Aussagekraft begrenzt sind.

In einem weiteren Teil der Untersuchung wurden die erhobenen Befunde mit denen verglichen, die auf einer geriatrischen Station bestimmt wurden, mithin an multimorbiden Patienten. Hier fanden sich statistisch signifikant nur in einzelnen Frequenzen und Werten und damit nicht spezifisch Unterschiede zu den übrigen Senioren, während die Tonschwellenaudiogramme allgemein sowie die wesentlichen Aussagen zur Genese der Schwerhörigkeit den Werten entsprachen, die auch bei den anderen alten Menschen gemessen wurden. Allgemeine, insbesondere kardio-vaskuläre Risikofaktoren, wie sie bei multimorbiden Patienten zu erwarten sind, scheinen eher weniger für die Entwicklung einer altersbedingten Hörminderung verantwortlich zu sein.

Der letzte Teil der Untersuchung galt der Versorgung der schwerhörigen alten Menschen mit Hörgeräten. Es bestätigte sich der für die Gesamtgesellschaft bereits beschriebene Zustand, dass nur ein geringer Teil der Menschen, die eigentlich zur Verbesserung ihrer Kommunikationsfähigkeit einer Hörgeräteversorgung bedürfen, diese auch tatsächlich bekommen bzw. Hörgeräte tragen. So waren nur 12,4 % der Senioren mit Hörgeräten versorgt, während bei fast 60 % eine eindeutige Hörgeräteindikation nach den Leitlinien der Dt. Ges. f. HNO-Heilk., Kopf- u. Halschirurgie (Leitlinie 017/065, 1998) bestand. Die Versorgung bei den geriatrischen Patienten war diesbezüglich etwas besser, hier bestand eine eindeutige Indikation für 77 %, immerhin 28 % waren adäquat versorgt.

Ausgehend von der klinischen Erfahrung, dass sich tatsächlich ältere Menschen häufig nur sehr schlecht apparativ versorgen lassen, ergibt sich aus der Studie als therapeutische Konsequenz:

Insbesondere für die Versorgung mit Hörgeräten und zur Erfüllung des Anspruchs, auch ältere Menschen in ihrer Kommunikationsfähigkeit rehabilitieren zu können, sollten wegen des hohen Anteils zentraler Hörverarbeitungsstörungen als (Teil-)Ursache für die Schwerhörigkeit auch und gerade in Bezug auf Hörgeräteentwicklung und Hörtherapie für diese Patienten neue Wege gesucht und beschritten werden. Vorrangig wären daher eine maximale Störgeräuschunterdrückung auch auf Kosten hoher Klangqualität sowie eine Audio-Therapie zur Verbesserung zentraler Hörverarbeitung zu entwickeln.

Priv. Doz. Dr. Gerhard Hesse

Tinnitus Klinik

Große Allee 3 · 34454 Bad Arolsen

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