Laryngorhinootologie 2005; 84(10): 753-754
DOI: 10.1055/s-2005-870338
Aktuelle Habilitation
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Systematische Messung der Geschwindigkeiten der horizontalen Stimmlippenkonturen bei Veränderung des Schalldruckpegels und der stimmlichen Grundfrequenz in der Schließungsphase des phonatorischen Schwingungszyklus

Systematic Measurement of Vocal Fold Velocity During the Closing Phase of the Phonatory Cycle while Changing F0 and VPLG.  Schade1
  • 1Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde/Chirurgie der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn (Direktor: Univ-Prof. Dr. Friedrich Bootz), Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie (Leiter: Univ-Prof. Dr. Götz Schade)
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Publication History

Eingegangen: 18. Februar 2005

Angenommen: 27. Juni 2005

Publication Date:
12 September 2005 (online)

Einleitung. Noch immer sind die Entstehungsmechanismen von benignen organischen Stimmlippenveränderungen unzureichend bekannt. Neben aktuellen Studien aus den USA, die auf genetischen Untersuchungen von Gewebsbiopsien basieren und beispielsweise intra-laryngealen Kontaktdruckmessungen der Hamburger Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Markus Hess (s. g.) stellen Geschwindigkeitsmessungen der Stimmlippenbewegungen einen weiteren Baustein in der Grundlagenforschung der Stimmphysiologie dar.

Methoden. Zur qualitativen Dokumentation des Bewegungsvorganges der Stimmlippen wurde ein neuartiges Verfahren, die Doppelbelichtungsstroboskopie (DBS), entwickelt. Mit dieser Technik ist es möglich, die in einer definierten Zeiteinheit erfolgte Bewegung eines Objektes in einem einzigen Bildbefund darzustellen. Zwei Spezialstroboskope, die als technische Besonderheit nur einen Lichtblitz pro Videobild aussenden dürfen, werden im Master- und Slave-Verfahren miteinander zusammengeschlossen. Durch zwei verschiedenfarbige Farbglasfilter werden die ausgesendeten Lichtstrahlen unterschiedlich eingefärbt. So nehmen die Bildbereiche, die von nur einem Blitz beleuchtet wurden (weil das sich bewegende Areal vorher verdeckt wurde) eine andere Farbe an als Bildareale, die von beiden (verschieden-)farbigen Lichtblitzen beleuchtet wurden. Wird von der Doppelbelichtungsstroboskopie-Apparatur zunächst ein grüner und dann weniger als eine Millisekunde später ein roter Lichtblitz ausgesendet (in der aktuellen Versuchsreihe 0,5 ms), so werden die medialen Stimmlippenkonturen, die sich in der Phonationsphase zwischen dem ersten und zweiten Blitz bewegt haben, rot, und analog in der Öffnungsphase grün dargestellt. Die übrige doppelt belichtete Larynxschleimhaut nimmt hingegen einen eher gelblichen Farbton an.

Weil Bildpixelmessungen für Distanzmessungen an bewegten Stimmlippen zu ungenau sind, da die Lokalisation des Larynx bei der Stimmgebung in cranio-kaudaler Richtung variiert, wurde ein weiteres neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem Distanzmessungen im Submillimeterbereich möglich sind: Die endolaryngeale 2-Punkt-Laservermessung unter Verwendung eines Doppelreflexionsspiegels.

Nach Voruntersuchungen mit einem Glaswürfel, der zur Verdopplung des Laserhauptstrahls verwendet wurde, wurde die Technik modifiziert und ein Spezialspiegel eingesetzt. Der Laserstrahl wird an diesem Spiegel sowohl an der Vorder- als auch an der Rückseite reflektiert. Wird ein solcher Spiegel im 45°-Winkel an der Spitze eines starren Endoskops befestigt, wird ein parallel zum Endoskopschaft verlaufender Laserstrahl im 90°-Winkel nach unten abgelenkt und kann so in das optische Feld des Endoskops umgeleitet werden. Umfangreiche Studien und Weiterentwicklungen dieser Technik haben zu einem leistungsfähigen Prototypen geführt, der mit Hilfe einer eigens entwickelten Auswertungssoftware valide Abstandsmessungen im Bereich der Stimmlippen ermöglicht. Distanzen, die sich in der gleichen Ebene wie die aufgeblendeten Punkte befinden, können mit einer Genauigkeit im Submillimeterbereich bestimmt werden. Kombiniert man beide Verfahren (DBS und endolaryngeale 2-Punkt-Laservermessung) so sind Geschwindigkeitsmessungen der medialen Stimmlippenkonturen möglich, da sowohl die in einem bestimmten Zeitintervall zurückgelegte Wegstrecke (einfach belichtete mediale Stimmlippenkontur („displacement band”) als auch die exakte Bestimmbarkeit dieser sichtbaren Distanz mit Hilfe der Laservermessung durch die beschriebene 2-Punkt-Aufblendung möglich ist.

40 stimmgesunde Probandinnen und Probanden wurden nach einem genau festgelegten Untersuchungsprotokoll untersucht, bei dem verschiedene Schalldruckpegel mit verschiedenen Tonhöhen in Brust- und Kopfstimme kombiniert wurden.

Aus dem entstandenen Bildmaterial (ca. 350 000 Einzelbilder) wurden manuell diejenigen Bilder herausgesucht, bei denen die Stimmlippen in der Schließungsphase des phonatorischen Zyklus kurz vor der Kollision stehen. Bei den Bildern, bei denen hier die beiden Laserspots gut erkennbar waren und die Abbildung der medialen Doppelkontur eine Vermessung erlaubte, wurde an verschiedenen Positionen an jeweils beiden Stimmlippen die Breite des medialen Farbbandes („displacement band”) bestimmt und die Messergebnisse dann wieder gemittelt. Rund 2250 verschiedene Einzelbilder waren für die Vermessung geeignet. Mehr als 10 000 Einzelmessungen fielen auf diese Weise an.

Ergebnisse. Die Auswertungen der Messergebnisse zeigen, dass die Geschwindigkeiten der medialen Stimmlippenkonturen mit Zunahme des Schalldruckpegels ansteigen. Während zwischen 60 und 64 dB Schalldruckpegel durchschnittliche Geschwindigkeiten von ca. 50 cm/sec gemessen wurden, betrug dieser Wert bei 90 - 94 dB mehr als 100 cm/sec. Eine Änderung der Stimmfrequenz (F0) im gleichen Stimmregister (Brust- oder Kopfstimme) hat hingegen keinen nachweisbaren Zusammenhang mit der Geschwindigkeit gezeigt. Dies ist sowohl im Brust- als auch im Kopfregister nachweisbar. Auffällig ist, dass im Kopfregister durchschnittlich geringere Geschwindigkeiten bei den gleichen Schalldruckpegeln erreicht werden als im Brustregister. Die interindividuellen Geschwindigkeiten der medialen Randkantenstrukturen in der Schließungsphase des phonatorischen Schwingungszyklus weichen signifikant voneinander ab. Während bei einer Probandin maximale individuelle Geschwindigkeiten der medialen Stimmlippenkonturen von 60 cm/sec ermittelt wurden, ließen sich bei anderen Probanden Werte bis 160 cm/sec nachweisen.

Bewertung. Während noch vor wenigen Jahren genaue Längenmessungen der Stimmlippen nur am Sektionsgut stattfinden konnten, steht heute ein klinisch erprobtes Verfahren zur Verfügung, mit dem exakte Distanzmessungen im Bereich der Stimmlippen möglich sind. Auch die Dokumentation von Stimmlippenbewegungen auf nur einem Bild mit qualitativ hochwertiger Darstellung der Glottis, wie es die DBS ermöglicht, ist neuartig und klinisch interessant, wenn auch technisch aufwendig und in der Auswertung zeit- und damit auch kostenintensiv. Die berechneten Geschwindigkeiten stimmen grundsätzlich mit den ermittelten Werten anderer Arbeitsgruppen überein. Hanson et al. haben beispielsweise im Rahmen der Schließungsphase bei den von ihnen untersuchten drei männlichen Probanden ebenfalls maximale Geschwindigkeiten der horizontalen Stimmlippenkonturen von 1,6 m/sec gefunden. Svec et al. haben für eine Probandin in Sprechstimmlage entsprechend Geschwindigkeiten um 50 cm/sec gemessen. Dies stimmt ebenfalls mit unseren Messergebnissen überein (siehe oben). Wenn eine Geschwindigkeitszunahme der medialen Randkante in der Schließungsphase ein traumatisierender Faktor für das Stimmlippengewebe ist (wie allgemein angenommen wird) und beispielsweise die Entstehung von Stimmlippenknötchen fördert, würde die in dieser Studie nachgewiesene Geschwindigkeitsabnahme in Kopfstimmlage den Vorstellungen von z. B. Jiang und Titze entsprechen, dass im Kopfregister der Aufschlagdruck auf das Gewebe abnimmt und deshalb keinen ernsthaften Schaden verursacht.

Untersuchungen bei Patienten mit organischen Stimmlippenveränderungen werden zeigen, ob bei benignen organischen Stimmlippenveränderungen im Rahmen der Schließungsphase des phonatorischen Schwingungszyklus andere Geschwindigkeiten (und andere Kontaktdrücke) auftreten als bei dem hier untersuchten gesunden Probandenkollektiv und damit einen möglichen Schädigungsweg des Stimmlippengewebes aufweisen.

Univ.-Prof. Dr. Götz Schade

Abt. für Phoniatrie & Pädaudiologie der Univ.-HNO-Klinik Bonn ·

Sigmund-Freud-Straße 25 · 53105 Bonn

Email: Goetz.Schade@ukb.uni-bonn.de

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