Ultraschall Med 2022; 43(04): 414-415
DOI: 10.1055/a-1892-2309
DEGUM-Mitteilungen

Hirnblutungen bei Babys, Schädelhirntraumata, Zittererkrankungen und Parkinson mittels Sonografie sicher diagnostizieren

 

Wie kann ein helmförmiger Ultraschallwandler, der am Kopf eines Erkrankten über 1000 fokussierte Ultraschallwellen in ein definiertes Hirnareal schickt, gegen einen essenziellen Tremor helfen? Wie wird Ultraschall zur Abschätzung und Verlaufskontrolle des Hirndrucks eigesetzt? Wie verlässlich gibt Sonografie Auskunft darüber, ob ein Neugeborenes Fehlbildungen im Gehirn oder eine Hirnblutung hat? Dies erläuterten Expert*innen der DEGUM bei einer Pressekonferenz zum Thema „Ultraschall bei Kopferkrankungen“ am 18. Mai 2022. Die Konferenz fand online statt.


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MRT-gesteuerter fokussierter Ultraschall zur Behandlung von Tremor-Erkrankungen

Unkontrollierbares, sich chronisch verstärkendes Zittern – medizinisch als Tremor bezeichnet – ist eines der häufigsten neurologischen Symptome. Die häufigste Form ist der Essenzielle Tremor, der beide Körperhälften betrifft und sich als Aktionstremor äußert: Strecken Erkrankte etwa die Arme nach vorne aus, können die Fingerspitzen um bis zu mehreren Zentimetern hin- und herschlagen. „Der Essenzielle Tremor kann bei Halte- und Zielaufgaben für die Patient*innen sehr beeinträchtigend sein“, sagte Dr. med. Steffen Paschen, Oberarzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, bei der Pressekonferenz. Auch wenn die Erkrankung sich in einer verstärkten Ausprägung häufig erst bei älteren Menschen vollständig zeigt, machen sich die ersten Symptome bereits in deutlich jüngeren Jahren bemerkbar – und stark Betroffene können unter einer eingeschränkten Lebensqualität, bis hin zur Berufsunfähigkeit leiden.

An erster Stelle steht die medikamentöse Therapie. Sollte diese keinen ausreichenden Effekt erbringen und/oder mit störenden Nebenwirkungen assoziiert sein, können invasive Verfahren erwogen werden. Neben dem fokussierten Ultraschall steht die Tiefe Hirnstimulation (THS) als operatives Verfahren zu Verfügung. Hierbei werden über Elektroden in der Tiefe des Gehirns in definierten Zielregionen Stromimpulse abgegeben, um das Zittern zu unterdrücken. Für diesen Eingriff muss der Schädel mittels kleiner Bohrlöcher geöffnet werden, was mit einem geringen Blutungs- und Infektionsrisiko verbunden ist.

„Mit dem Magnetresonanz-gesteuerten fokussierten Ultraschall steht eine schonendere Therapieoption zur Verfügung“, sagte Paschen. Die Auswahl des Verfahrens und die Behandlung erfolgen interdisziplinär im neurochirurgisch-neurologischen Team unter Berücksichtigung individueller Patientencharakteristika. Bei der Behandlung wird den Betroffenen eine Art Helm mit 1024 Ultraschallquellen auf den Kopf gesetzt. Im Zielgebiet des Gehirns – einem Knotenpunkt bei Zittererkrankungen – werden die aus allen Richtungen eintreffenden Ultraschallwellen in Wärme umgewandelt und veröden das dort liegende Gewebe. Das hat zahlreiche Vorteile: „Der Schädel bleibt intakt und auch umliegendes Gewebe und Blutgefäße werden nicht in Mitleidenschaft gezogen“, betonte Paschen. Allerdings sei auch dieser Eingriff mit möglichen Nebenwirkungen verbunden: Zu den wichtigsten zählen eine mögliche Gangstörung, Gefühlsstörungen oder eine verwaschene Sprache. „Diese sind jedoch meist nur mild und bilden sich in den Monaten nach der Behandlung zurück.“ Der Therapieeffekt jedoch – eine Abnahme des Tremors auf der behandelten Seite um 80 bis 90 Prozent – bleibe bisherigen Daten zufolge auch 5 Jahre nach dem Eingriff noch bestehen.


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Erhöhter Hirndruck: Wie kann der Ultraschall dem Arzt und dem Patienten helfen?

Kommt es im Gehirn durch eine Verletzung von außen zu einer Blutung, wird gesundes Hirngewebe verdrängt und der Hirndruck erhöht sich; einen ähnlichen Effekt können Schlaganfälle oder Tumoren auslösen. Da das gesunde Gewebe aufgrund der knöchernen Schädeldecke nicht ausweichen kann, wird es ab einem bestimmten Hirndruck geschädigt. Wird dieser lebensgefährliche Zustand nicht schnell genug diagnostiziert, stirbt der Betroffene. „Daher ist es von enormer Bedeutung, einen erhöhten Hirndruck frühzeitig zu erkennen und bei kritischen Werten zu behandeln. Das kann bis hin zu einer sogenannten Hemikraniektomie führen, bei der ein Teil der Schädeldecke entfernt wird, um die Hirnschwellung zu entlasten“, erklärte PD Dr. med. Michael Ertl, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysiologie am Universitätsklinikum Augsburg und stellvertretender Leiter der DEGUM-Sektion Neurologie. Um in solchen Fällen rechtzeitig handeln zu können, sei eine frühzeitige Diagnose entscheidend.

Zur indirekten Messung des Hirndrucks können die Computer- oder Magnetresonanztomografie zum Einsatz kommen. Mit diesen Verfahren kann jedoch nur die Ursache des Drucks aufgedeckt werden – eine Messung des Hirndrucks selbst ist nur mit invasiven Drucksonden möglich. Ertl empfiehlt in solchen Fällen, ergänzend zu anderen bereits genannten Methoden, die nichtinvasive Abschätzung des Hirndrucks mittels Ultraschall: „Das Verfahren ist besonders gesundheitsschonend, direkt am Bett des Patienten durchführbar und außerdem viel kostengünstiger als andere Verfahren. Zudem besteht dadurch – im Vergleich zu invasiven Verfahren – keine Infektionsgefahr“, so der DEGUM-Experte. „Die Messung des Hirndrucks mittels Sonografie ist auch zur Verlaufskontrolle ideal geeignet.“ Sowohl der transkranielle Ultraschall als auch die Optikus-Nervenscheidensonografie sind hier empfehlenswert.

Die transkranielle Sonografie ist ein modernes Verfahren: „Generell ist die Schädeldecke gut gegen Ultraschallwellen abgeschirmt, doch über ein kleines Knochenfenster ist eine Untersuchung meist möglich“, erläuterte der DEGUM-Experte. „Von hier aus dringt die transkranielle Sonografie in die Tiefen des Gehirns und kann dort über bestimmte Messungen im B-Bild und im Farbduplex Hinweise auf einen erhöhten Hirndruck finden.“

Die Optikus-Nervenscheidensonografie – die Ultraschalluntersuchung des Sehnervs (Nervus opticus) – ist ein weiteres empfehlenswertes nichtinvasives Verfahren. „Wie das Gehirn, so ist auch der Sehnerv von einer Flüssigkeit, dem Liquor, umgeben. Bei einem erhöhten Hirndruck weicht die Flüssigkeit in Richtung Sehnerv aus“, so Ertl. „Dann dehnt sich der Liquorraum um den Sehnerv, die sogenannte Sehnervenscheide, aus. Die Sehnervenscheide stellt somit ein „Fenster“ zu den Druckverhältnissen im Schädel dar. Bei erhöhtem Hirndruck nimmt also auch die Sehnervenscheide zu.“ Auch diese Untersuchung ist sehr unkompliziert durchführbar, in erfahrenen Händen ungefährlich und kann problemlos mehrfach angewendet werden: „Der Schallkopf wird dabei auf das geschlossene Auge des Patienten seitlich aufgesetzt. Bei einer Druckentlastung oder einem Anstieg werden Veränderungen rasch sichtbar, sodass sich das Verfahren ebenfalls sehr gut für Verlaufskontrollen eignet“, erläuterte der DEGUM-Experte.


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Blick ins Gehirn von Früh- und Neugeborenen: Hirnblutungen und Ventrikelerweiterungen besonders schonend und sicher entdecken

Mithilfe der Sonografie können alle anatomischen Strukturen innerhalb des Schädels von Früh- und Neugeborenen sowie von älteren Säuglingen besonders exakt und gesundheitsschonend – also völlig ohne Strahlenbelastung – dargestellt werden. Ein weiterer Vorteil der Sonografie ist, dass das Baby hierfür nicht sediert werden und keine Narkose bekommen muss – was bei anderen bildgebenden Verfahren der Fall ist. „Alle intrakraniellen anatomischen Strukturen können ohne Strahlenbelastung und ohne Sedierung in einer Qualität dargestellt werden, die der Kernspintomografie nicht nachsteht“, erklärte der DEGUM-Experte Professor Dr. med. Karl-Heinz Deeg, ehemals Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Bamberg. Aus diesem Grund sei die Ultraschalluntersuchung des Gehirns beim Frühgeborenen, Neugeborenen und Säugling das bildgebende Verfahren der Wahl, das vollkommen nebenwirkungsfrei angewendet werden kann. Im 2-dimensionalen Schnittbild könne die gesamte pathologische Anatomie dargestellt werden. Mit der Dopplersonografie kann zudem die Blutströmung in allen größeren Arterien und Venen gemessen werden. „Extrem unreife Frühgeborene, die vor der 28. Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von unter 1000 Gramm geboren werden, erleiden oft eine Hirnblutung, die sonografisch im Inkubator sicher diagnostiziert werden kann“, so Deeg. Als Folge der Blutung kann es zu einer schweren Ventrikelerweiterung kommen, deren Schweregrad und Progredienz sonografisch sicher erkannt werden könne, sodass rechtzeitig eine Nervenwasser-ableitende Drainage eingelegt werden könne. Bei Neugeborenen können Hirnfehlbildungen sicher diagnostiziert werden. Weitere wichtige Indikationen sind Ultraschalluntersuchungen des Gehirns bei Hirnhautentzündungen, Schädelhirntraumen mit nachfolgender Hirnblutung, Hirnverletzungen nach einem Schütteltrauma sowie die Diagnose von Hirntumoren. „Mit der Dopplersonografie können neonatale Schlaganfälle sowie Neugeborene, die ein erhöhtes Risiko haben, am plötzlichen Kindstod zu versterben, identifiziert werden“, so Deeg abschließend.


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Publication History

Article published online:
12 August 2022

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