Der Klinikarzt 2011; 40(5): 219
DOI: 10.1055/s-0031-1280891
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ruhestand: Der Blick zurück – und nach vorne

Achim Weizel
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Mai 2011 (online)

Wenn man am Anfang der Berufstätigkeit steht, empfindet man eine Lebensarbeitszeit von 40 Jahren als eine ziemlich lange Strecke. Blickt man zurück, wird das Klischee Wirklichkeit, dass die Zeit „im Flug“ vergangen ist. So weit so gut.

Interessant ist aber die Zeit danach. Bis zum Rückzug aus dem Arbeitsleben ist der Tag weitgehend fremdbestimmt. In der Regel reicht schon das Engagement am Arbeitsplatz aus, die freie Zeit schrumpfen zu lassen.

Durch Ehrgeiz und / oder Interesse kommen dann in vielen Fällen noch selbst gewählte Verpflichtungen außerhalb des Arbeitsplatzes hinzu, die von regionalen über nationale bis zu weltweiten „Einsätzen“ reichen.

Je nach Neigung und Begabung sind diese Betätigungen möglich im Bereich der Berufspolitik, im Bereich der Forschung oder auf dem Felde der Fortbildung. Bis vor einigen Jahren wurden diese Aktivitäten außerhalb des Arbeitsbereiches von den Arbeitgebern unterstützt oder zumindest geduldet. Hier hat sich vieles verändert.

Es begann mit der Meldepflicht von Abwesenheiten beim Arbeitgeber, die lange Zeit Formalien waren. Inzwischen greifen die Arbeitgeber in vielen Fällen steuernd ein, was bedeutet, dass je nach Personallage (aus Sicht der Arbeitgeber) Genehmigungen erteilt oder in zunehmendem Maße auch verweigert werden. Man muss allerdings auch zugeben, dass die Abwesenheiten von der Arbeitsstelle in Einzelfällen großzügig ausgelegt wurden, sodass eine gewisse Steuerung nicht unbillig erscheint, dies sollte aber von Fall zu Fall zwischen den Beteiligten geklärt werden.

Diese Gesichtspunkte spielen nach dem Ende der Berufstätigkeit offensichtlich keine Rolle mehr. Jetzt kann ein vorheriges berufspolitisches oder wissenschaftliches Engagement von Vorteil sein, denn diese Funktionen können in der Regel noch einige, teilweise längere Zeit weitergeführt werden und den Ausübenden langsam in ein inaktives Stadium überführen. In der Regel kann man daher empfehlen, sich während der aktiven Zeit berufspolitisch oder wissenschaftlich zu engagieren – auch in Positionen, in denen dies nicht von der akademischen Stellung her schon gegeben ist. Diese Betätigungen sind zwar oft zeitaufwendig, bringen jedoch Abwechslung in die sich nach Jahrzehnten zwangsweise einstellende Routine des täglichen Ablaufs und sichern noch befriedigende Tätigkeiten, wenn die berufliche Uhr abgelaufen ist. Voraussetzung ist allerdings ein frühzeitiger Einstieg in die entsprechende Materie.

Alternativ sind, ebenfalls frühzeitig, mögliche Betätigungsfelder außerhalb der Medizin vorstellbar. Dies hat den Vorteil, dass man nach jahrzehntelanger medizinischer Tätigkeit mit völlig neuen Sachverhalten konfrontiert wird. Die Liste der Möglichkeiten reicht von mehr oder weniger intensiv betriebenen sportlichen Tätigkeiten über Engagements in verschiedensten Ehrenämtern vor Ort oder außerhalb. Ein fast schon unentrinnbares Schicksal ist in vielen Fällen die Übernahme des Präsidentenamtes in Service Clubs wie Rotary oder Lions, in denen man in oft jahrzehntelanger Zugehörigkeit in der Regel aktiv nicht viel mehr als den obligatorischen regelmäßigen Vortrag über sein Fachgebiet beigetragen hat. Das angehäufte schlechte Gewissen wird dann durch den einjährigen Dienst kompakt abgetragen.

Engagements in der Kommunalpolitik oder in Vereinen mit Übernahme von Verantwortung (Vorstand, Vorsitz oder Mandatsübernahme) stellen echte Herausforderungen dar und erfordern Flexibilität und Toleranz. Man muss sich daran gewöhnen, dass vorgeschlagene Maßnahmen oft auf Widerstand stoßen, teilweise vehement bekämpft werden und nicht selten zu sehr persönlichen internen oder externen Angriffen (Presse) führen. Da vorherige Qualifikationen und Verdienste im neuen Umfeld nichts oder sehr wenig zählen, steht man vor der reizvollen Aufgabe, sich ohne einen Amtsbonus neue Positionen zu erarbeiten. Die Tatsache, dass man mit vielen neuen Herausforderungen zu kämpfen hat, sowie die Tatsache, dass man – teilweise im fortgeschrittenen Alter – sich noch neue Gebiete aneignet, machen diese Beschäftigungen aber interessant und lohnenswert.

Fazit: Man kann nicht früh genug anfangen sich zu diversifizieren, um seine intellektuelle Aktivität zu bewahren. Technisch ist dies heutzutage kein Problem mehr, da durch E-Mail, SMS und andere Kommunikationsmittel ein eigenes Sekretariat nicht nötig ist und durch Internet und externen Bibliothekszugang auch alle Informationsmöglichkeiten am häuslichen Schreibtisch zur Verfügung stehen. Bei all diesen Aktivitäten soll und muss aber beachtet werden, dass die Familie mit dem Abschluss der Berufstätigkeit mit einer verstärkten Präsenz rechnet. Und genau dieser Spagat führt häufig zu Problemen, deshalb gilt auch hier: die Dosis macht's.

Prof. Dr. med. Achim Weizel

Mannheim