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DOI: 10.1055/s-0034-1366866
Radiologie: Technik für Menschen
Radiology: Technology for PeoplePublication History
Publication Date:
16 July 2014 (online)
Die Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Conrad Röntgen hat das Verständnis der Naturwissenschaften und der Medizin revolutioniert. Der Bericht Röntgens über eine neue Art von Strahlen eröffnete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im besten Sinne des Wortes eine vollständig neue Sicht auf die Materie und die Vorgänge des Lebens [1]. Die Anwendung von Röntgenstrahlen am lebenden Menschen war eine Sensation, die dazu führte, dass ein neues wissenschaftliches Zeitalter eingeläutet wurde. Von früher Verborgenem konnte vieles sichtbar gemacht werden.
Die Medizin ist heute ohne die möglichst naturgetreue Abbildung der Erkrankung und deren Unterscheidung vom Gesunden nicht denkbar. Die Einführung des Röntgenbildes in den klinischen Alltag wurde zum Triumphzug für Röntgens bahnbrechende Entdeckung. Bilder beherrschten seither die klinische Medizin und weitere technische Entwicklungen folgten. Zunächst hielt der Ultraschall Einzug, dann die Computertomografie und schließlich die Magnetresonanztomografie [2] [3] [4] [5]. Die Kombination von Schnittbildverfahren mit funktionell ausgerichteten Methoden der Positronenemissionstomografie führte zur Entwicklung hybrider bildgebender System wie dem PET-CT und der MR-PET [6] [7].
Die (R)Evolution der Computertechnik hat neue Methoden der Bilderzeugung, Bildnachverarbeitung und Speicherung ermöglicht. Mit dem Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter wurde die uneingeschränkte Verfügbarkeit diagnostischer, bildbasierter Information zur Realität. Heute stehen Patienten und Ärzten die Ergebnisse einer radiologischen Untersuchung sofort zur Verfügung. Das Ergebnis kann in Sekundenschnelle an jeden Ort der Welt kommuniziert werden. Die Radiologie und der Radiologe sind im besten Sinne des Wortes transparent. Die Radiologie ist Vorreiter und Motor der Telemedizin.
Die Radiologie verkörpert eine hoch aggregierte Symbiose ärztlicher Kunst und technischer Innovation. Wenige medizinische Disziplinen sind so technikgetrieben und technikaffin wie unser Fach. Bedingt durch den enormen technischen Fortschritt sind radiologische Methoden zumeist wenig oder nur minimal-invasiv.
Die interventionelle Radiologie hat durch eine immer weiter entwickelte Technologie von Kathetern, Gefäßprothesen oder Embolisationsmaterialien einen Stand erreicht, der noch vor 10 Jahren schwer vorstellbar war. Die fortschreitende Miniaturisierung interventioneller Werkzeuge trägt zudem der Forderung nach immer mehr ambulanten Prozeduren, die kostenaufwändigere stationäre Prozeduren ersetzen sollen, Rechnung. So ist die perkutane Angioplastie der Extremitätengefäße heute in vielen Zentren ein ambulanter Eingriff [8]. Die Komplikationsraten sind gering. So können kostbare Nutzungszeiten von OP-Sälen, die zum Teuersten gehören, was in einem Krankenhaus an Kosten generiert wird, minimiert werden und großen Eingriffen vorbehalten bleiben. Ein Hybrid OP sollte aus betriebswirtschaftlicher Sicht, Eingriffen vorbehalten bleiben, die tatsächlich hybrid durchgeführt werden oder die Möglichkeit der Konversion von minimal invasiv zu offen chirurgisch beinhalten. Die interventionelle Radiologie ist als minimal-invasiver bildgebend gesteuerter Eingriff mit einem chirurgischen Effekt ein Paradebeispiel für ärztliches Handeln, das den konzertanten Einsatz der Medizin und filigraner Technik erfordert.
Die Universitäts- und Industrie-getriebene Forschung zur Weiterentwicklung der Schnittbildmethoden ist ein Paradebeispiel für die fruchtbare Symbiose von Medizin und Technik. Die Einführung des medizinischen Ultraschalls, der Computertomografie, der digitalen Subtraktionsangiografie, der klinischen Magnetresonanztomografie und den hybriden Bildgebungsverfahren wie der PET-CT und jüngst der MR-PET zeigen, wie aus einer brillianten technischen Idee und deren konstruktiver Realisierung in enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlich klinisch tätigen Radiologen neue Perspektiven in der klinischen Medizin entstehen. Der Blick in das Körperinnere erschließt dem Arzt nicht nur ein anatomisches Verständnis des Gesunden und des krankhaft veränderten Gewebes, sondern ermöglicht auch ein immer tiefer greifenden funktionellen Einblick in (Patho-) Physiologie und Biochemie von Erkrankungen. Die Weiterentwicklung der Technik und deren Integration in klinische Abläufe ist ein Prozess, der von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Radiologen gemeinsam vorangetrieben wird.
Markantes Beispiel ist die Einführung der Spiral-CT in die klinische Krankenversorgung, die viele Prozesse im Klinikalltag neu ausgerichtet hat [9]. Die Versorgung polytraumatisierter Patienten, die Diagnostik von Gefäßerkrankungen oder die Herzdiagnostik wurden durch die Spiral-CT revolutioniert. Daneben hat die Methode auch zu einer immensen Beschleunigung der diagnostischen Aufarbeitung klinischer Fragestellungen geführt. Spiral-CT bedeutet Diagnostik „on demand“. Die hohe Verfügbarkeit und die Technologie, die es entweder ermöglicht, große Körperabschnitte in kurzer Zeit bzw. kleinere Abschnitte hochaufgelöst zu untersuchen hat zu immer weiteren Anwendungen geführt. Radiologen haben an der Weiterentwicklung mitgearbeitet und neue Standards in die Krankenversorgung eingeführt.
Gleiches gilt für die MR-Verfahren. Anfangs eine Modalität, die viel Geduld vom Untersucher und dem Untersuchten verlangte, hat sich die MRT zu einem Schnellbildverfahren weiterentwickelt. Getriggert durch klinische Anforderungen haben MR-Physiker und Ingenieure Methoden entwickelt, die MRT-Untersuchungen enorm beschleunigt haben. Schnellbildtechniken und die parallelen Aufnahmetechniken haben maßgeblich dazu beigetragen. Nicht mehr wegzudenken sind auch Techniken wie die Diffusionswichtung oder Perfusionsmessungen, die über die (Patho-)Anatomie hinaus Einblick in die Physiologie gewährleisten. Multimodale MR-Untersuchungen erlauben die Beurteilung der morphologischen und funktionellen Auswirkungen einer Erkrankung. Den Bedürfnissen in Praxen und Krankenhäusern folgend, hat der technologische Fortschritt dazu geführt, dass Untersuchungen hoch standardisiert und nahezu automatisch ablaufen. Langwierige manuelle Einstellungen von Sequenzparametern oder gar das manuelle Adjustieren von Oberflächenspulen sind Vergangenheit.
Der technische Fortschritt führt zu schneller werdenden Prozessveränderungen und zur Verdrängung etablierter Methoden. Eine DSA zur Diagnostik einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit oder zum Ausschluss einer Lungenembolie wird heute wohl noch in kaum einer Klinik durchgeführt werden [10]. Die CT-Angiografie oder MR-Angiografie haben das Verfahren ersetzt. Cone-Beam-CT-Ausrüstungen in Angiografieanlagen verdrängen CT-Untersuchungen der Gefäße, weil in einem Untersuchungsgang eine Intervention nach deutlich verbesserter Planung durchgeführt werden kann. MR-tomografische Untersuchungen mit spezifischen Kontrastmitteln verdrängen CT-Untersuchungen der Leber, wenn es um eine spezifische Charakterisierung oder Quantifizierung von Lebertumoren gehen soll. Hybride Untersuchungen ersetzen CT-Untersuchungen, wenn eine exakte Stadieneinteilung von Tumoren oder deren Ansprechen auf eine Therapie erfolgen soll. So ist der technische Fortschritt ein stetiger Motor des Wandels, der die bestimmende Konstante der Radiologie darstellt.
Der technische Fortschritt bildgebender Systeme und interventionell radiologischer Gerätschaften geht kontinuierlich weiter. Es darf spekuliert werden, dass die MR-Untersuchung im Jahr 2030 bei einem Patienten mit Herzrythmusstörungen schneller und präziser und mit mehr diagnostisch verwertbarer Information ablaufen wird und ggf. einen MR-gesteuerten Eingriff nach sich ziehen könnte. Der Radiologie eröffnen sich durch den zu erwartenden technischen Fortschritt neue Felder, die sie besetzen und gemeinsam mit anderen Disziplinen kultivieren und für unsere Patienten nutzen sollte.
Die Weiterentwicklung der Röntgenstrahlenerzeugung und Modifikation der strahlenempfangenden Systeme eröffnet weitere Möglichkeiten. So hat z. B. die Phasenkontrastradiografie das Experimentalstadium überschritten und steht für erste Anwendungen in der Biologie zur Verfügung [11]. Die Generierung von Röntgenstrahlen über lasergetriebene Systeme verspricht die Erzeugung monochromatischer Röntgenstrahlung, die eine spezifischere Anwendung von Röntgenstrahlen unter gleichzeitiger Reduktion der applizierten Strahlendosis erhoffen lassen. Vielleicht verlassen wir das Zeitalter der polychromatischen Strahlung. Neue hybride Detektorsysteme werden untersucht. So gibt es interessante Ansätze zur Kombination von Ultraschall und PET, die lokal eingesetzt z. B. bei der Diagnostik des Pankreaskarzinoms hilfreich sein könnten.
Andere bildgebende Verfahren, die nicht auf der Anwendung von Röntgenstrahlen basieren, werden Einzug in den klinischen Alltag finden. Die optische Bildgebung ermöglicht neue klinisch interessante Einblicke. Anwendungen in der Rheumatologie sind in der klinischen Erprobung [12]. In jedem Fall sollte sich die Radiologie diesen Methoden öffnen und sie gemeinsam mit Ingenieuren weiterentwickeln und zu klinischer Reife treiben. Die Applikationsmöglichkeiten sind vielfältig und eröffnen auch in der Onkologie und Stammzellmedizin neue Möglichkeiten.
Die Nanotechnologie wird die Medizin des 21. Jahrhunderts maßgeblich beeinflussen. Nanopartikel sind das Kernstück der „Theranostik“, der simultanen Diagnostik und Therapie [13]. Schon heute finden superparamagnetische Nanopartikel Ihren Einsatz in der MRT und werden hier als Kontrastverstärker verwendet [14].
Noch vollständig unerforscht ist ihr biologischer Einsatz im vielversprechenden Feld des Magnetic Particle Imaging (MPI) [15]. Bei diesem rasternden tomografischen Verfahren wird die Magnetisierung der Partikel selbst ausgelesen. So könnten Sensitivitäten vergleichbar mit nuklearmedizinischen Verfahren erzielt werden. Dies würde potenziell eine strahlungsfreie molekulare Bildgebung ermöglichen, mit einem nicht absehbaren Potenzial bei onkologischen und kardiovaskulären Fragestellungen, wie in der Neuromedizin.
Bildgebende Verfahren generieren große Datenmengen. Bisher betrachten wir diese an Bildschirmen und bewerten das Ergebnis einer Untersuchung qualitativ. Weitgehend ungenutzt ist die quantitative Auswertung dieser Datensätze. Datenwissenschaftler, Data Scientists, könnten der bildgebenden Medizin helfen, Bildgebungsdaten in den Kontext mit klinischen, laborchemischen und morphologischen Daten z. B. aus der Pathologie zu stellen. Dazu ist der Einsatz von intelligenten Datenverarbeitungsalgorithmen erforderlich. Jedes Großklinikum verfügt über einen ungenutzten Pool von medizinischen (Bild-) Daten, die als bisher nicht gehobener Schatz in den Datenbanken der Rechenzentren ruhen. Radiologen müssen dazu beitragen, „Big Data“ [16] [17] im klinischen Alltag zu nutzen und sinnvoll anzuwenden. Gemeinsam mit der Informationstechnologie können wir so zu Informationsbrokern werden und die Integration der bildgebenden Medizin in klinische Entscheidungsprozesse vorantreiben.
Radiologie ist technikgetrieben. Der technische Fortschritt ist das Fundament bildgebender Medizin. Die bildgebende Medizin ist eine der Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Sie ist hilfreich und ermöglicht schonende Diagnostik und Therapie. Daher ist Radiologie innovative Wissenschaft für den Menschen.
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Literatur
- 1 Röntgen WC. Über eine neue Art von Strahlen. Ueber eine neu Art von Strahlen. Vorlläuffige Mittheilung. Sonderabbdruck aus den Sitzungsberichten der Würzburger Physik.-medic. Gesellschaft. 1895. http://de.wikisource.org/wiki/Ueber_eine_neue_Art_von_Strahlen_%28Vorl%C3%A4ufige_Mittheilung%29
- 2 Dussik KT, Dussik F, Wyt L. Auf dem Wege zur Hyperphonografie des Gerhirns. Wien Med Wochenschr 1947; 97: 425-429
- 3 Dussik KT. The ultrasonic field as a medical tool. Am J Phys Med 1954; 33: 5-20
- 4 Hounsfield GN. Computerized transverse axial scanning (tomografy). 1. Description of system. Br J Radiol 1973; 46: 1016-1022
- 5 Lauterbur PC, Lai CM, Frank JA, Dulcey Jr CS. In vivo zeugmatografic imaging of tumors. Abstract. Fourth International Conference on Medical Physics Ottawa, Canada: 1976
- 6 Beyer T, Townsend DW, Brun T et al. A combined PET/CT tomograf for clinical oncology. Journal of Nuclear Medicine 2000; 41: 1369-1379
- 7 Judenhofer MS, Wehrl HF, Newport DF et al. Simultaneous PET-MRI: a new approach for functional and morphological imaging. Nat Med 2008; 14: 459-465
- 8 Manashil GB, Thunstrom BS, Thorpe CD et al. Outpatient transluminal angioplasty. Radiology 1983; 147: 7-8
- 9 Kalender WA, Seissler W, Klotz E et al. Spiral volumetric CT with single-breath-hold technique, continuous transport, and continuous scanner rotation. Radiology 1990; 176: 181-183
- 10 Neufang KF, Friedmann G, Peters PE et al. Indications for intra-arterial digital subtraction angiografy (DSA) in vascular disease. Fortschr Röntgenstr 1983; 139: 160-166
- 11 Pfeiffer F, Weitkamp T, Bunk O et al. Phase retrieval and differential phase-contrast imaging with low-brilliance X-ray sources. Nature Physics 2006; 2: 258-261
- 12 Hielscher AH, Klose AD, Scheel AK et al. Sagittal laser optical tomografy for imaging of rheumatoid finger joints. Phys Med Biol 2004; 49: 1147-1163
- 13 Prabhu P, Patravale V. The upcoming field of theranostic nanomedicine: an overview. J Biomed Nanotechnol 2012; 8: 859-882
- 14 Stephen ZR, Kievit FM, Zhang M. Magnetite Nanoparticles for Medical MR Imaging. Mater Today (Kidlington) 2011; 14: 330-338
- 15 Gleich B, Weizenecker J. Tomografic imaging using the nonlinear response of magnetic particles. Nature 2005; 435: 1214-1217
- 16 http://de.wikipedia.org/wiki/Big_Data
- 17 Jee K, Kim GH. Potentiality of big data in the medical sector: focus on how to reshape the healthcare system. Healthc Inform Res 2013; 19: 79-85