Sprache · Stimme · Gehör 2014; 38(02): 60
DOI: 10.1055/s-0034-1382039
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neuropsychologische Therapie von kognitiven Störungen

Neuropsychological Therapie of Cognitive Disorders
T. F. Münte
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Publikationsdatum:
26. Juni 2014 (online)

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Prof. Dr. med. Thomas F. Münte

Der Schlaganfall stellt mit etwa 250 000 Neuerkrankungen pro Jahr eine der häufigsten Erkrankungen dar. Betroffene sind durch motorische Störungen, Störungen der Sprache und Störungen anderer höherer Hirnfunktionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, exekutive Funktionsstörungen) oftmals so nachhaltig behindert, dass eine Rückkehr an den Arbeitsplatz oder eine selbständige Lebensführung nicht oder nur mit Mühe zu erreichen ist.

Für die motorischen Störungen hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren ein erheblicher Fortschritt ergeben, der über die klassischen Therapieansätze, etwa nach Bobath, hinausweist. Die Constraint-Induced-Movement Therapie nach Taub, das Armfähigkeitstraining nach Platz oder aber auch die neuen Ansätze zur Musik-unterstützten Therapie, wie sie von Michael Thaut oder unserer eigenen Arbeitsgruppe propagiert worden sind, basieren auf neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zur Plastizität des Nervensystems und sind durch entsprechende Studien gut evidenzbasiert.

In diesem Heft widmen wir uns der Frage, welche Fortschritte es im Bereich der Therapie von kognitiven Störungen nach Schlaganfall und anderen neurologischen Erkrankungen gegeben hat. Um es vorweg zu nehmen: Im Vergleich zu den motorischen Störungen liegen für die neuropsychologischen Störungen deutlich weniger Studien vor, die darüber hinaus in der Regel auch qualitativ weniger gut sind. Allerdings zeigen die Artikel auch, dass es eine große Vielzahl von vielversprechenden neuropsychologischen Interventionen gibt, die in der Zukunft hoffentlich für den Routineeinsatz in der Rehabilitation in Frage kommen.

Janina von der Gablentz und Björn Machner stellen die aktuellen Befunde zu der sehr häufigen Störungen eines unilateralen Neglekts dar. Es kann mittlerweile überzeugend gezeigt werden, dass eine Aufmerksamkeitsstörung der Vernachlässigung einer Raum- oder Körperhälfte zugrunde liegt. Aus den neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über den Neglekt leiten sich eine Reihe von Interventionen ab, die von den Autoren kritisch diskutiert werden. Ein wesentliches Manko erscheint derzeit die noch unzureichende Generalisierung im Sinne einer funktionellen Verbesserung der Patienten bei den Aktivitäten des täglichen Lebens zu sein.

Sandra Müller ist eine führende Expertin im ­Bereich der exekutiven Funktionsstörungen. Hierunter werden zahlreiche Funktionen der höheren Planungs- und Steuerungsfähigkeit zusammengefasst, die durch Läsionen im Präfrontalhirn oder in subkortikalen Regionen entstehen. Exekutive Funktionsstörungen sind häufig ein Haupthindernis bei der Rehabilitation. Das ­Verdienst von Sandra Müller ist einerseits eine einfache Operationalisierung dieser Störungen sowie andererseits die Entwicklung eines manualisierten Therapiekonzepts und der dazugehörigen Materialien. Die Materialien sind an vielen Stellen im Einsatz und auch durch Studien gut in ihrer Effektivität belegt. Somit konnte in den Leitlinien zur Therapie von exekutiven Störungen, die die Autorin federführend für mehrere Fachgesellschaften koordiniert hat, die Wirksamkeit der kognitiven Therapie exekutiver Dysfunktion im Sinne der evidenzbasierten Medizin als gut belegt eingestuft werden.

Jascha Rüsseler ist Autor eines Buches zur neuropsychologischen Therapie und hat sich insbesondere mit der Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen befasst. In seinem aktuellen Beitrag stellt er insbesondere den Stellenwert der Funktionstherapie dar, welches in einem gezielten, meist computergestützten Training einzelner Aufmerksamkeitskomponenten besteht. Im Gegensatz zu anderen Störungen gilt für Aufmerksamkeitsprobleme, dass ein Funktionstraining im Sinne von Drill and Exercise positive Effekte zeigt. Der Autor zeigt darüber hinaus auch die Bedeutung von Strategietraining auf, mit welchem kompensatorische Mechanismen trainiert werden.

Schließlich zeigen Thomas Münte, Anja Fellbrich und Marcus Heldmann die Möglichkeiten der neuropsychologischen Therapie von Gedächtnisstörungen auf. Sie zeigen, dass eine bloße ­repetitiv-übende Therapie im Sinne eines Gedächtnis-Joggings keinen Effekt hat. Daher sind kompensatorische Ansätze, etwa der Einsatz externer Gedächtnishilfen oder imaginationsbasierte Mnemotechniken sinnvoll. Besonders gut sind die neurowissenschaftlichen Grundlagen des so genannten Errorless Learning erforscht.

Wie diese Arbeiten zeigen, steht die Evidenzbasierung der kognitiven Therapie neuropsychologischer Störungen erst am Anfang. Die Methoden und Erkenntnisse der kognitiven Neurowissenschaft lassen indessen in den nächsten Jahren erhebliche Fortschritte erwarten, die unseren Patienten zu Gute kommen werden.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Ihr

Thomas Münte