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DOI: 10.1055/s-2006-921346
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Editorial
EditorialPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
02. März 2006 (online)
Mehr als 50 Jahre nach der erstmaligen Anwendung am Menschen ist die Radiosynoviorthese (RSO) als nuklearmedizinisches Behandlungskonzept bei entzündlich-rheumatischen Gelenkerkrankungen aktueller denn je. Nach Angaben der radiopharmazeutischen Industrie werden in Deutschland etwa 60 000 Therapien pro Jahr durchgeführt, was ca. 80 % des europäischen Marktes bedeutet. Damit liegt die Zahl der intraartikulären Behandlungen in der Nuklearmedizin im Bereich der in Deutschland durchgeführten Radioiodtherapien benigner und maligner Schilddrüsenerkrankungen.
Umso bedauerlicher ist die derzeitige Entwicklung, die Vergütung der ambulanten Radiosynoviorthese im neuen EBM 2000+ auf einen Punktwert abzusenken, der mit nur 780 Punkten bei etwa 45 % der 1 715 Punkte angesiedelt ist, die ein radiologischer Kollege für die ärztliche Leistung im Rahmen einer Arthrographie des Knie- oder Schultergelenkes abrechnen darf. Dies kann und darf die Gemeinschaft der deutschen Nuklearmediziner nicht hinnehmen. Andererseits führt die kurzfristige stationäre Aufnahme von Patienten nach RSO, die bei älteren Personen sinnvoll sein kann, deren häusliche Betreuung nicht gesichert ist, immer wieder zu endlosen Diskussionen mit den Krankenkassen. Eine für alle Beteiligten zufrieden stellende Lösung dieses Dilemmas ist momentan nicht in Sicht, wie auch der Kollege Mahlstedt als Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Nuklearmediziner in seinem nachfolgenden Kommentar berichtet. Es bleibt uns nur zu hoffen, dass der Druck der Patienten, für die eine Radiosynoviorthese als wenig invasive und kostengünstige Therapie geeignet ist, ein Umdenken in den Köpfen der Entscheidungsträger bewirken kann. Darüber hinaus ist die offensive und fundierte Auseinandersetzung mit anderen Fachgruppen zu fordern. Rheumatologisch oder orthopädisch tätige Kolleginnen und Kollegen werden nur dann geeignete Patienten zum Nuklearmediziner überweisen, wenn sie die therapeutischen Möglichkeiten kennen und deren Einsatz in den Kontext der eigenen Behandlungsstrategien einordnen können. In diesem Zusammenhang sind Fortbildungsveranstaltungen bei den entsprechenden fachfremden Kollegen und das persönliche Gespräch ebenso wichtig wie die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Radiosynoviorthese, die neben kontrollierten klinischen Studien auch vor der Grundlagenforschung nicht Halt machen darf. Selbstverständlich sollten die Ergebnisse dieser Forschungsprojekte nicht nur auf den jährlichen Kongressen der nuklearmedizinischen Fachgemeinschaft wie der DGN, EANM oder SNM vorgestellt werden. Aus eigener Erfahrung ist zu berichten, dass die intensivsten und die am meisten befruchtenden Diskussionen auf Fachtagungen von Rheumatologen und Orthopäden erlebt wurden. Gerade dort müssen wir uns den Diskussionen stellen, wenn wir wahrgenommen und ernst genommen werden wollen.
Trotz der genannten Probleme ist die RSO eine aktuelle und viel diskutierte Therapie bei entzündlichen Gelenkerkrankungen. Von mehreren Autoren des vorliegenden Heftes wurde eine neue Leitlinie unter Beteiligung führender deutscher Rheumatologen und Orthopäden erarbeitet, was die Interdisziplinarität der Methode treffend unterstreicht. Hierbei wurde insbesondere dem in den letzten Jahren erweiterten Indikationsspektrum Rechnung getragen. Die Publikation der nahezu fertigen Arbeit ist für das Jahresende 2005/Anfang 2006 geplant.
Einige Aspekte dieser neuen Leitlinie sind Bestandteile dieses Themenheftes. Die zunehmende Anwendung der Radiosynoviorthese bei Patienten mit degenerativen, sekundär-entzündlichen Gelenkerkrankungen wird ebenso diskutiert wie die Frage nach der Strahlenexposition oder das Problem der Thromboseprophylaxe aufgrund der posttherapeutischen Ruhigstellung des behandelten Gelenkes. Auch die kontrovers diskutierte Frage nach der Existenz klinischer Studien zur RSO, die den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin genügen, wird behandelt. Ganz aktuelle, vorerst noch experimentelle Therapiestudien unter Verwendung offener Betastrahler ermöglichen den Blick über den vielfach zitierten „Tellerrand” hinaus. Sie belegen, dass die Nuklearmedizin trotz aller äußeren Einflüsse, Widrigkeiten und Begehrlichkeiten aufgrund berufspolitischer Ränkespiele ein Fach ist, in dem innovative Konzepte entstehen können und das auch außerhalb der PET/CT die Diskussion mit anderen Fachgruppen nicht zu scheuen braucht.
Rendsburg, im November 2005
Priv. Doz. Dr. med. Dipl. Biol. Willm Uwe Kampen
Klinik für Nuklearmedizin · Universitätsklinikum Schleswig-Holstein · Campus Kiel
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