Rofo 2009; 181(5): 503-505
DOI: 10.1055/s-0029-1220636
DRG-Mitteilungen
Radiologie und Recht
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Aktuelle BSG Rechtsprechung zur Sonderbedarfszulassung im Schwerpunkt Kinderradiologie

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Rechtsanwälte Wigge

Sebastian Sczuka Rechtsanwält

Fachanwalt für Medizinrecht

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48151 Münster

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
05. Mai 2009 (online)

 
Inhaltsübersicht

Trotz der in dicht besiedelten Ballungsräumen nach wie vor hohen – bis hin zur Überversorgung – bestehenden Versorgungsdichte von Ärztinnen und Ärzten, gibt es hin und wieder spezielle ärztliche Schwerpunktbereiche, die unterversorgt sind. Im Bereich der Radiologie sind nahezu alle Planungsbereiche für die Zulassung weiterer vertragsärztlich tätiger Radiologen wegen Überversorgung gesperrt. Dennoch kommt es im Bereich der Kinderradiologie teilweise zu Versorgungslücken im ambulanten Bereich. In diesem Fall stellt die Beantragung einer sog. Sonderbedarfszulassung gem. § 100 Abs. 3 i. V. m. § 101 Abs. 1 Nr. 3 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bzw. § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i. V. m. §§ 24 ff. der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungsrichtlinie) eine Möglichkeit dar, um sich dennoch innerhalb eines wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereichs als Kinderradiologe niederzulassen.

Nach § 100 Abs. 3 SGB V obliegt den Landesauschüssen der Ärzte und Krankenkassen nach Maßgabe der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) gem. § 101 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V zu erlassenden Richtlinien die Feststellung, dass in einem nicht unterversorgten Planungsbereich zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf besteht. Nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V hat der GBA in Richtlinien Bestimmungen über Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze zu beschließen, soweit diese zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind, also ein qualitativer Versorgungsbedarf besteht. Diese Maßstäbe hat der GBA in der Bedarfsplanungsrichtlinie in den §§ 24 ff. im einzelnen geregelt. Die Bedarfsplanungsrichtlinie ist für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder verbindlich. Es kann mithin ein lokaler Versorgungsbedarf, also der nächste erreichbare niedergelassene Vertragsarzt oder ein qualitativer Versorgungsbedarf, also ein die Qualifikation des Bewerbers betreffender Bedarf bestehen.

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Voraussetzungen der Sonderbedarfszulassung

Gem. § 24 der Bedarfsplanungsrichtlinie darf der Zulassungsausschuss dem Zulassungsantrag eines Vertragsarztes unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen durch den Landesausschuss entsprechen, wenn eine der nachfolgenden Ausnahmen vorliegt:

  • nachweislich hoher Versorgungsbedarf in der vertragsärztlichen Versorgung in Teilen eines großstädtischen Planungsbereichs oder eines großräumigen Landkreises,

  • besonderer Versorgungsbedarf, wie er durch den Inhalt des Schwerpunkts, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung umschrieben ist und die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierten Inhalts in dem Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen,

  • wenn durch die Zulassung die Bildung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis mit spezialistischen Versorgungsaufgaben ermöglicht wird,

  • Versorgungslücke bei der Erbringung ambulanter Operationen.

Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung ist demnach, dass die Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze zur Wahrung der Qualität der Versorgung unerlässlich ist. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte in einem Rechtsstreit über die Frage zu entscheiden, ob die Einführung der neuen Gebiets-/Schwerpunktbezeichnung "Kinderradiologie" im Weiterbildungsrecht zwingend zu einem Sonderbedarf führt, der die Zulassung in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsbereich rechtfertigt. Diese Frage hat das BSG mit einem Urteil vom 05.11.2008 (Az.: B 6 KA 56/07 R) verneint. Bei diesem Verfahren handelt es sich um die Revision gegen eine Entscheidung des Landessozialgerichts NRW vom 28.02.2007 (Az.: L 11 KA 82/06 - vgl. Fortschr. Röntgenstr. 2007, S. 982 ff.).

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Versorgungsbedarf auf Grund des Schwerpunkts

Ein Arzt mit den Facharztbezeichnungen "Facharzt für Kinderheilkunde" und "Facharzt für Diagnostische Radiologie – Schwerpunkt Kinderradiologie" beantragte im Jahr 2003 die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung für den Bereich der Kinderradiologie in einem für Radiologen gesperrten Planungsbereich. Der Arzt begründete seinen Antrag damit, dass im gesamten Planungsbereich kein Arzt mit der Qualifikation Kinderradiologie zugelassen sei. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vor dem Berufungsausschuss wurde der Arzt für den Bereich Kinderradiologie zugelassen. Zur Begründung führte der Berufungsausschuss an, dass im Planungsbereich ein Bedarf an kinderradiologischen Leistungen bestehe und definitiv kein Arzt mit einer solchen Qualifikation zugelassen sei. Zudem stützte sich der Ausschuss auf die Erklärung der in der Region zugelassenen Radiologen, welche anführten, wegen der besonderen Qualitätsanforderungen in Bezug auf kinderradiologische Untersuchungen derartige Leistungserbringungen nicht mehr selbst verantworten zu können. Da somit eine Verweisung nur an den im benachbarten Planungsbereich tätigen Kinderradiologen möglich sei, sei im betroffenen Planungsbereich ein Versorgungsdefizit anzunehmen. Ferner führte der Ausschuss aus, dass neben dem im benachbarten Planungsbereich niedergelassenen Kinderradiologen lediglich ein ermächtigter Klinikarzt kinderradiologisch tätig sei, der aber bei der Beurteilung der Versorgungssituation nicht berücksichtigt werden dürfe.

Die Kassenärztliche Vereinigung lehnte diese Beurteilung der Versorgungssituation ab und ging gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses klageweise vor. Sie begründete ihre Auffassung damit, dass der Berufungsausschuss den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Die Begründung, dass im Planungsbereich kein Kinderradiologe zugelassen sei, reiche alleine nicht aus. Vielmehr komme es darauf an, ob die ärztlichen Tätigkeiten aus dem Schwerpunkt Kinderradiologie nicht oder nicht ausreichend erbracht würden. Die gerade bei Kindern im Hinblick auf den Strahlenschutz primär zur Anwendung kommenden bildgebenden Verfahren der Sonografie und Magnetresonanztomografie würden von Fachärzten für radiologische Diagnostik ebenso beherrscht. Die KV rügte ferner, dass aus der Einführung der neuen Schwerpunktbezeichnung "Kinderradiologie" in der Weiterbildungsordnung nicht bereits ein bestehender Bedarf hergeleitet werden könne. Vielmehr könne man davon ausgehen, dass die niedergelassenen Radiologen auf Grund ihres Ausbildungs- und Weiterbildungsstandes in der Lage seien, den Versorgungsanspruch der Versicherten in qualitativer Weise befriedigen zu können. Schließlich sei die Behandlung von Kindern auch in der Vergangenheit ohne Beanstandung von Fachärzten für Radiologische Diagnostik vorgenommen worden.

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Beurteilungsspielraum der Gerichte

Sowohl das erstinstanzliche Sozialgericht als auch das zweitinstanzliche Landessozialgericht haben die Klage bzw. Berufung der Kassenärztlichen Vereinigung zurückgewiesen und den Sonderbedarf im Bereich der Kinderradiologie bestätigt. Der von der Kassenärztlichen Vereinigung gegen das Berufungsurteil des Landessozialgerichts eingelegten Revision gab das BSG mit oben genanntem Urteil statt und entschied – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen – dass der Beschluss, den Radiologen als Facharzt für Diagnostische Radiologie im Bereich Kinderradiologie zur vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen, rechtswidrig war.

Zwar beschränkt sich die Kontrolle der Gerichte darauf, ob der Zulassungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" zu ermittelnden Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Zulassungsentscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist, aber auch bei Beachtung dieser nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit von Sonderbedarfszulassungen, hatte die Zulassungsentscheidung keinen Bestand.

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Ausführliche Ermittlung durch die Zulassungsgremien

Nach den Vorgaben des BSG ist die Bejahung eines kinderradiologischen Sonderbedarfs an hohe Vorgaben geknüpft. Ein solcher ergibt sich nicht allein aus der Einführung der Schwerpunktbezeichnung "Kinderradiologie" im Weiterbildungsrecht. Vielmehr ist aufzuklären, welche radiologischen Leistungen gegenüber Kindern in der Vergangenheit im betroffenen Planungsbereich anfielen und wo diese erbracht wurden.

Bei der Entscheidung über Sonderbedarfszulassungen müssen sich die Zulassungsgremien ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage im betroffenen Planungsbereich machen und selbst ermitteln, welche Leistungen in welchem Umfang zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne des § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V im Planungsbereich erforderlich sind, von den dort zugelassenen Ärzten aber nicht angeboten werden. Zur Ermittlung der konkreten Bedarfssituation ist es daher regelmäßig geboten, die bereits niedergelassenen Ärzte nach ihrem konkreten Leistungsangebot und der Aufnahmekapazität ihrer Praxen zu befragen. Die Zulassungsgremien haben also das kinderradiologische Leistungsangebot, die hierfür erforderliche Praxisausstattung und -auslastung der im betroffenen Planungsbereich bzw. Einzugsbereich der beantragten Sonderbedarfszulassung tätigen Radiologen zu erfragen. Anhand der ermittelten Angaben muss sich ein qualitatives Versorgungsdefizit an kinderradiologischen Leistungen ergeben. Dieses kann entweder in fehlenden Kenntnissen und Erfahrungen der bereits vertragsärztlich tätigen Radiologen im Hinblick auf alle oder bestimmte kinderradiologische Fragestellungen oder einer apparativen Ausstattung der Praxen, die den besonderen Anforderungen an die Untersuchung von Kindern nicht gerecht werden, liegen.

Die Befragung der Gebietsärzte hat sich mit Rücksicht auf die Zielrichtung von Sonderbedarfszulassungen grundsätzlich auf die gesamte Breite des medizinischen Versorgungsbereichs, vorliegend also auf das gesamte Schwerpunktgebiet der Kinderradiologie, und nicht nur einzelne spezielle Leistungen zu erstrecken. Diese Ermittlungen dürfen sich auf die gesamte Gruppe der in dem Fachgebiet bereits tätigen Vertragsärzte beziehen, die nach dem einschlägigen Weiterbildungsrecht befugt sind, die Leistungen des streitigen Schwerpunktgebiets "Kinderradiologie" zu erbringen.

Aufgrund der in starkem Maße auf subjektiven Einschätzungen beruhenden Aussagen der bereits im betroffenen Planungsbereich niedergelassenen Gebietsärzte sowie der möglicherweise unerwünschten Konkurrenz- und potenziellen Wettbewerbssituation mit dem Antragsteller und der sich daraus ergebenden individuellen Interessenlage der bereits Niedergelassenen an einer bestimmten Entscheidung der Zulassungsgremien darf sich die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch die Zulassungsgremien typischerweise nicht mit der Befragung der im Einzugsgebiet tätigen Gebietsärzte erschöpfen. Deren Aussagen müssen daher sorgfältig ausgewertet und weitestmöglich durch weitere Ermittlungen ergänzt und objektiviert werden. Hierfür ist es erforderlich, etwa die Anzahlstatistiken der infrage kommenden Vertragsärzte beizuziehen, um festzustellen, inwieweit im Bereich des streitigen Sonderbedarfs von diesen Ärzten Leistungen erbracht werden.

Zwar kommt es grundsätzlich auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich an, was aber nicht ausschließt, dass im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete, wie z. B. der Kinderradiologie, auch die an den untersuchten Planungsbereich angrenzenden Gebiete in die Überlegungen der Zulassungsgremien einbezogen werden können.

Besteht nach den Ermittlungen der Zulassungsgremien ein qualitativer Sonderbedarf, ist dessen genauer Umfang von den Zulassungsgremien zu ermitteln. Dies ist nach der Rechtsprechung des BSG erforderlich, weil ein in einem überversorgten Planungsbereich bestehendes qualitatives Versorgungsdefizit nur dann die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes rechtfertigt, wenn eine solche Maßnahme nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V unerlässlich ist. Eine Versorgungslücke muss in der gesamten Breite eines Versorgungsbereichs, vorliegend also des Schwerpunkts Kinderradiologie, bestehen. Werden lediglich einzelne spezielle Leistungen, die eine Vertragarztpraxis in freier Niederlassung nicht sinnvoll auszufüllen vermag, von den im Planungsbereich bereits niedergelassenen Vertragsärzten nicht erbracht, so kommt anstelle einer Sonderbedarfszulassung ggf. die Erteilung Ermächtigung in Betracht. Soweit der von den bereits zugelassenen Vertragsärzten nicht abgedeckte besondere Versorgungsbedarf zumindest den Umfang einer wirtschaftlich tragfähigen Vertragsarztpraxis erreicht, hat allerdings die Sonderbedarfszulassung den Vorrang vor einer Ermächtigung. Dies folgt bereits aus dem generellen Vorrang der Vertragsärzte in der ambulanten Versorgung.

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Fazit

Für Radiologen mit der Schwerpunktbezeichnung "Kinderradiologie" besteht im Ergebnis nach wie vor grundsätzlich die Möglichkeit, trotz eines für Radiologen gesperrten Planungsbereichs, unter den Voraussetzungen des § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i. V. m. §§ 24 ff. Bedarfsplanungsrichtlinie eine Sonderbedarfszulassung zu erhalten. Die Bedingungen dürften sich durch das Urteil des BSG jedoch faktisch erschwert haben. Das BSG stellt an die von den Zulassungsgremien im Falle eines Sonderbedarfszulassungsverfahren anzustellende konkrete Sachverhalts- und Bedarfsermittlung hohe Anforderungen. Verstoßen die Zulassungsgremien gegen diese Anforderungen kann wegen der nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Entscheidung der Zulassungsgremien in einem Gerichtsverfahren i. d. R. "nur" die Aufhebung des Beschlusses des Berufungsausschusses einhergehend mit der Verpflichtung des Berufungsausschusses zur Neubescheidung erreicht werden.

Da die Facharztbezeichnung auf dem Gebiet der Radiologie in der aktuellen Musterweiterbildungsordnung keinen kinderradiologischen Mindestweiterbildungsinhalt mehr vorsieht, werden kinderradiologische Fertigkeiten primär in dem Schwerpunkt "Kinderradiologie" vermittelt werden. Folglich dürfte der Bedarf an kinderradiologischen Leistungen in der ärztlichen Versorgung zukünftig zunehmen, weil für diese Leistungen der reine Facharzt für Radiologie nicht hinreichend ausgebildet worden ist.

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