Z Sex Forsch 2010; 23(3): 277-282
DOI: 10.1055/s-0030-1262584
DEBATTE

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Das erweiterte Führungszeugnis: Eine Hilfestellung für die Prävention von sexuellem Missbrauch

Aranke Spehr, Rainer Ganschow
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Publication Date:
23 September 2010 (online)

Auf dem zweiten Kindergipfel im Juni 2008 wurde von der Bundeskanzlerin und den Regierungschefs der Länder die Einführung eines erweiterten Führungszeugnisses beschlossen, im November 2008 brachte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries den Gesetzesentwurf auf den Weg (BMJ 2008), seit Mai 2010 ist das Gesetz in Kraft und sorgt für Diskussionen.

Das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) regelt, dass jeder Person ab 14 Jahren auf Antrag und ohne Angabe von Gründen ein Führungszeugnis erteilt wird. Die Aufnahme einer Verurteilung in ein Führungszeugnis hängt nicht vom zugrunde liegenden Delikt ab, sondern von der Höhe des Strafmaßes. Erstverurteilungen erscheinen im Führungszeugnis nur bei einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten. Nur bestimmte schwere Sexualstraftaten (§ 174 bis § 180 oder § 182 StGB, insb. sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Vergewaltigung) waren von diesen Grenzen ausgenommen, nicht aber alle anderen kinder- und jugendschutzrelevanten Sexualdelikte.

Mit dem erweiterten Führungszeugnis nach dem neuen § 30 a BZRG werden sexualstrafrechtliche und kinder- und jugendschutzrelevante Verurteilungen (§§ 171, 174 bis 180, 180 a, 181 a, 183 bis 184 f, 225, 232 bis 233 a, 234, 235, 236 StGB) auch im niedrigen Strafbereich aufgenommen, so dass der Arbeitgeber Kenntnis von Verurteilungen unterhalb des oben genannten Strafmaßes erlangen kann und dem betroffenen Bewerber eine Tätigkeit im kinder- und jugendnahen Bereich verwährt bleibt. Bei einer Verurteilung nach einer der o. g. Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bleibt diese für mindestens zehn Jahre im erweiterten Führungszeugnis ersichtlich (BMJ 2008, Bundesregierung 2009).

Mit der Erweiterung des BZRG um § 30 a ist die begründete Erteilung eines erweiterten Führungszeugnisses auch für Personen möglich, die eine Tätigkeit ausüben wollen, die geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen, wie die berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger. Arbeitgeber, Institutionen oder Behörden, die das erweiterte Führungszeugnis verlangen, müssen dem Antragsteller eine Bescheinigung ausstellen, in welcher die Gründe für die Erteilung dargelegt werden. Begründet wird die Gesetzesänderung damit, dass Tätigkeiten im kinder- und jugendnahen Bereich für Sexualdelikte missbraucht werden können und Menschen mit pädophilen Neigungen sich bewusst einen Arbeitsplatz im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit suchen (BMJ 2009, 2010). Das erweiterte Führungszeugnis soll somit verhindern, dass vorbestrafte Bewerber als Erzieher im Kindergarten, als Schulbusfahrer, Bademeister, Sporttrainer oder Mitarbeiter im Jugendamt beschäftigt werden (BMJ 2010).

Literatur

1 Die Häufigkeit von sexueller Gewalt im Sport scheint unabhängig von Sportart, Sportbekleidung, Geschlechtsstruktur oder -kultur zu sein (Fasting, Brackenridge und Sundgot-Borgen 2004).

  • 1 Bange D. Sexueller Missbrauch an Jungen. Göttingen: Hogrefe 2007
  • 2 Bayerisches Fernsehen. Prozess in Passau. Fast sieben Jahre Haft für Judotrainer. 07.01.2010 [Als Online-Dokument: http://www.br-online.de/aktuell/missbrauch-judotrainer-passau-ID1250681995936.xml]
  • 3 Bayerischer Jugendring (KdöR), Hrsg. Prävention vor sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit. Grundlagen und Methoden präventiver Arbeit, Baustein 3. [Als Online-Dokument: http://praetect.de/wp-content/uploads/BJR-Sexuelle%20Gewalt_Baustein_3.pdf]
  • 4 [BMJ] Bundesministerium der Justiz. Bundesjustizministerin: Verbesserter Kinderschutz mit erweitertem Führungszeugnis. 2010 [Als Online-Dokument: http://www.bmj.de/enid/0,7bdd61706d635f6964092d0936383132093a0979656172092d0932303130093a096d6f6e7468092d093034093a095f7472636964092d0936383132/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html]
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  • 6 [BMJ] Bundesministerium der Justiz .Mehr Kinder- und Jugendschutz durch erweitertes Führungszeugnis. 2008 [Als Online-Dokument: http://www.bmj.bund.de/enid/0,003ed9636f6e5f6964092d0935353531093a095f7472636964092d0935363036/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html]
  • 7 Bundesministerium des Inneren. Polizeiliche Kriminalstatistik 2009. 11.08.2010 [Als Online-Dokument: http://www.bka.de/pks/pks2009/download/pks2009_imk_kurzbericht.pdf]
  • 8 Cense M, Brackenridge C H. Temporal and Developmental Risk Factors for Sexual Harassment and Abuse in Sport.  Eur Phys Ed Rev. 2001;  7 61-79
  • 9 [DOSB] Deutscher Olympischer Sportbund. DOSB-Positionspapier zum Thema sexueller Missbrauch. 2010a [Als Online-Dokument: http://www.dosb.de/de/service/sport-mehr/news/detail/news/dosb_positionspapier_zum_thema_sexueller_missbrauch/9746/cHash/de4785470a/printer.html]
  • 10 [DOSB] Deutscher Olympischer Sportbund. DOSB. Bestandserhebung 2009. Aktualisierte Fassung vom 15.04.2010. 2010 b [Als Online-Dokument: http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/downloads/bestandserhebung/2009_Heft_Aktualisierung_vom_15.04.2010.pdf]
  • 11 Eisen A. Sportvereine sind bei Missbrauch oft überfordert. Wiesbadener Kurier. Verlagsgruppe Rhein-Main. 2010 [Als Online-Dokument: http://www.wiesbadener-kurier.de/nachrichten/politik/8662950.htm]
  • 12 Fasting K, Brackenridge C, Sundgot-Borgen J. Prevalence of Sexual Harassment Among Norwegian Female Elite Athletes in Relation to Sport Type.  Int Rev Sociol Sport. 2004;  39 373-386
  • 13 Gesetzentwurf der Bundesregierung. Fünftes Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes 07.01.2009. [Als Online-Dokument: http://www.bmj.bund.de/files/-/3456/RegE%20Fünftes%20Gesetz%20zur%20Änderung%20des%20Bundeszentralregistergesetzes.pdf]
  • 14 Lill T. Wenn der Coach zu nah kommt. Bayerische Staatszeitung. Verlag Bayerische Staatszeitung. 14.05.2010 [Als Online-Dokument: http://www.bayerische-staatszeitung.de/index.php?id=63&no_cache=1&tx_ttnews[tt_news]=461&tx_ttnews[backPid]=115]
  • 15 Peterson J. “Don’t Trust Me with Your Child”: Non-Legal Precautions When the Law Cannot Prevent Sexual Exploitation in Youth Sports.  Tex Rev Entertain Sports Law. 2004;  5 297-324
  • 16 Texas Government Code Ann. § 411.1401. 

A. Spehr

Institut für Sexualforschung und Forensische PsychiatrieUniversitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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