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DOI: 10.1055/s-0034-1373722
„Der Wettbewerb kann nicht über die Warteliste stattfinden!“ – Interview mit Dr. jur. Rainer Hess, Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO)
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
25. März 2014 (online)
Ende 2012 wurde der Jurist Dr. Rainer Hess Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DOS), um dort notwendige Strukturveränderungen vorzunehmen. Der langjährige Justiziar der Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztlichen Bundesvereinigung ist der Öffentlichkeit vor allem als unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses bekannt. Die DSO ist seit dem Jahre 2000 die durch das Transplantationsgesetz beauftragte Koordinationsstelle für die Organspende in Deutschland, die in der Akutphase einer Organspende/-transplantation alle wichtigen Abläufe steuert und organisiert. Anne Marie Feldkamp sprach mit Rainer Hess über die Hintergründe des Organspendenskandals und den Rückgang der Spenderzahlen.
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Herr Dr. Hess, die Zahl der Organspender ist im vergangenen Jahr dramatisch eingebrochen. Mit 876 Spendern ist ein Tiefpunkt seit der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes im Jahre 1997 erreicht. Muss man den sogenannten Organspendenskandal dafür verantwortlich machen?
Dr. Rainer Hess: Der Einbruch der Organspenden nach Bekanntwerden der Wartelistenmanipulation an 4 Kliniken zeigt, dass dieser fälschlicherweise als Spenderskandal bezeichnete Vorgang die Hauptursache für diesen dramatischen Rückgang ist.
Sind die Transplantationszentren in München, Leipzig und vor allem Göttingen, in denen Ärzte Patientendaten manipulierten, um für „ihre“ Patienten schneller an ein Spenderorgan zu kommen, nur die Spitze des Eisberges oder muss man davon ausgehen, dass bundesweit in den Transplantationszentren gemauschelt wird?
Dr. Hess: Nein, von den Lebertransplantationszentren sind nur 4 Zentren massiv aufgefallen. Zwar gab es auch an anderen Kliniken kleinere Auffälligkeiten. Aber da handelt es sich nicht um bewusste Manipulationen, sondern allenfalls um Fehleinschätzungen der Kriterien.
Wie konnte es zu solchen Manipulationen überhaupt kommen?
Dr. Hess: Spenderorgane werden nach einer Warteliste zugeteilt, die man in den betroffenen Transplantationszentren mit falschen Daten potentieller Organempfänger manipuliert hat. So haben Patienten Organe bekommen, die eigentlich nach der Warteliste noch kein Organ hätten bekommen dürfen.
Wie man an dem Göttinger Transplantationsmediziner Aiman O., der jetzt vor Gericht steht, sieht, scheint das lange gut gegangen zu sein. Wie ist man dann doch dahinter gekommen?
Dr. Hess: Durch eine Überwachungskommission, welche die Transplantationszentren regelmäßig überprüft und speziell im Göttinger Fall über einen anonymen Anrufer. Als erstes wurden dann alle Lebertransplantationszentren überprüft und dort ist man auf weitere Manipulationen gestoßen. Bei der Lebertransplantation spielt die Dialyse für die Kriterien auf der Warteliste eine wesentliche Rolle. Es wurden die Dialysedaten geprüft und festgestellt, dass zum Teil gar keine Dialyse durchgeführt wurde, aber Dialysedaten eingetragen waren; oder Blut mit Urin gemischt wurde, um vorzutäuschen, dass es sich hier um einen Dialysepatienten handelt.
Was haben angesehene Mediziner für ein Motiv, Patientendaten zu fälschen, um schneller an Spenderorgane zu kommen?
Dr. Hess: Da kommen viele Faktoren zusammen. Zum einen ist es die persönliche Komponente Eitelkeit und das Ansehen einer Klinik als Transplantationszentrum. Heute kommt aber auch eine ökonomische Seite hinzu, denn die Kliniken stehen unter dem Wettbewerbsdruck des Vergütungssystems nach diagnosebezogenen Fallpauschalen. Darüber hinaus gab es sicher auch Ärzte, die sich über die Vergabekriterien hinweggesetzt haben, um ihren Patienten zu helfen.
Wie sieht das konkret aus?
Dr. Hess: Aus meiner Sicht hat das in Deutschland praktizierte DRG-System bei den Organtransplantationen zu Fehlentwicklungen geführt. Die Fallpauschalen für Transplantationen sind hoch und die Kliniken sind zu ihrer Finanzierung darauf angewiesen. Aber die Klinik bekommt ihre Fälle aus einer postmortalen Spende nur über die Warteliste. D. h. der Wettbewerb findet auf der Warteliste statt und das sehe ich als Problem.
Gab es auch persönliche, pekuniäre Gründe dafür, dass Transplantationsmediziner Patientendaten manipulieren? Ist Geld geflossen?
Dr. Hess: Es hat Prämienzahlungen als Boni aufgrund von Zielvereinbarungen mit Chirurgen für die Vermehrung der Fälle gegeben. Hier hat man erkannt, dass man bei Organen, die nur zu einer begrenzten Zahl zur Verfügung stehen, das nicht machen kann. Da stoßen wir an ethische Grenzen und darum ist das Bonisystem in der Organtransplantation inzwischen auch abgeschafft worden.
Nach all diesen Manipulationen muss man sich auch fragen, ob in unserem Land der richtige Patient immer das richtige Organ bekommt?
Dr. Hess: Darüber kann man streiten; das ist eine Frage der Allokationskriterien. Ist Dringlichkeit das Kriterium, oder ist es die Erfolgsaussicht? Beides steht in einem Widerspruch: Erfolgsaussicht bedeutet in der Regel eine Auswahl jüngerer Empfänger, Dringlichkeit bedeutet die Behandlung meist älterer Schwerstkranker.Bei der Lebertransplantation erfolgt die Vergabe zurzeit eindeutig zugunsten der Dringlichkeit, d.h. wir haben immer ältere und kränkere Empfänger und das wirkt sich auf die Qualität und Überlebenschance aus. Deswegen sind wir im internationalen Vergleich in der Ergebnisqualität auch schlechter als der europäische Durchschnitt.
Die Vorfälle haben gezeigt, dass es so nicht weitergehen darf. Was ist bislang geschehen, um solche Unregelmäßigkeiten und Fehlsteuerungen zu vermeiden?
Dr. Hess: Einiges! Zunächst hat es eine Intensivierung der Kontrollen gegeben. Die Kompetenz der Kontrollkommission wurde im Gesetz verankert; die Kliniken sind gesetzlich verpflichtet, diese Kontrollen über sich ergehen zu lassen und es wurde eine Vertrauensstelle eingerichtet, an die man sich wenden kann.Dann ist das Sechs-Augen-Prinzip eingeführt worden: Ob jemand auf die Warteliste kommt, ist nicht mehr die Entscheidung eines Einzelnen, sondern die gemeinsame Entscheidung von 3 Ärzten.Neu ist auch, dass manipulierte Eintragungen ein eigener Straftatbestand sind. Wer vorsätzlich eine solche Manipulation auf der Warteliste vornimmt, hat eine Strafe bis zu 2 Jahren zu erwarten.
Wenn die Zahl der Organspender so nachhaltig zurückgeht, muss man da nicht das System hinterfragen?
Dr. Hess: Das System ist so komplex, weil es sich aus mehreren Komponenten zusammensetzen muss! Eine wesentliche Vereinfachung ist für das deutsche System, wie wir es jetzt haben, nur schwer zu erreichen. Auf der einen Seite ist die Organtransplantation als Krankenhausbehandlung zu sehen und damit sind die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband die zentralen Vertragspartner, die über die DRGs die ökonomische Seite regeln. Die Bundesärztekammer (BÄK) ist als Richtliniengeber bei der Organtransplantation und Krankenhausbehandlung die Institution, die den Stand der medizinischen Kunst definiert. Das sind schon mal 3 Player, auf die man nicht verzichten kann.
Und die reichen nicht?
Dr. Hess: Organspende und Transplantation sind nach deutschem Gesetz streng voneinander getrennt. Darum muss aus Gerechtigkeitsgründen eine Allokationsentscheidung zwischengeschaltet werden. Die wird anhand der Spenderorgan- und Empfängerdaten von Eurotransplant in Holland anonym getroffen.Die Organentnahme selbst ist ein eigener Prozess. Deswegen bedarf es für die medizintechnische und organisatorische Seite einer weiteren Institution, die sich um den gesamten Organspendenprozess kümmert. Das ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die diesen Prozess von der Organentnahme bis zur Übergabe des Organs an das Transplantationszentrum begleitet.
Jedes Organ, das in Deutschland implantiert wird, kommt über die DSO und die Vermittlung von Eurotransplant. Ist der Transplantationsskandal der Grund dafür, dass man Sie als Juristen in den Vorstand der DSO geholt hat?
Dr. Hess: Ich bin nicht aufgrund von Skandalen an diese Funktion gekommen! Die DSO hat mit den Skandalen nichts zu tun, die Manipulationen fanden in den Transplantationszentren statt. Meine Aufgabe war, die Strukturen der DSO zu überprüfen und neu anzupassen.
Warum?
Dr. Hess: Die DSO ist eine private Stiftung, gegründet vom Kuratorium für Heimdialyse. Seit 1996 hat sie den gesetzlichen Auftrag, als Koordinierungsstelle den gesamten Spendenvorgang für alle Organe, von der Entnahme bis Übergabe eines solchen Organs, verantwortlich zu betreuen. Für diese hohe öffentlich-rechtliche Aufgabe wurden Strukturveränderungen notwendig. Wir haben jetzt einen Stiftungsrat, in dem sind Bund und Länder Mitglieder. Der Staat ist von der Stufe der Aufsicht in die direkte Mitgliedschaft in den Stiftungsrat der DSO gerutscht. Das ist ein Signal dafür, dass sich die Politik der Organspende mehr annimmt und Entscheidungen verantwortlich mitträgt.
Die jetzt von der DSO veröffentlichten Zahlen der Organspender im letzten Jahr sind erschreckend niedrig. Was muss noch geschehen, dass die Deutschen einer postmortalen Organspende zustimmen?
Dr. Hess: Zur Rückgewinnung von Vertrauen bedarf es einer besseren Transparenz der Qualität der Organspende und der Transplantationsergebnisse. Die Vermittlungsdaten bei Eurotransplant, die Spenderdaten bei der DSO und Daten des AQUA-Instituts zur Ergebnisqualität müssen in einem Transplantationsregister zusammengeführt werden. Dann wissen wir, welches Organ, mit welcher Qualität, welchen Einfluss auf den Empfänger und seine Krankheit und den Erfolg der Behandlung hat.Damit können auf wissenschaftlicher Grundlage die Kriterien für die Organzuteilung überprüft und angepasst werden. Die Überwachungskommission kann ihre Prüffähigkeit anhand von Auffälligkeiten, die sich aus dem Register ergeben, flexibler gestalten. Und als letztes schafft das Register ein Benchmark-System für eine vergleichende Beurteilung von Kriterien.
Was ist Ihr persönlicher Wunsch zu diesem Thema?
Dr. Hess: Mehr Transparenz durch das Register und eine sachlichere Diskussion in Deutschland über den Hirntod.
! Herr Dr. Hess, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Interview führte Anne Marie Feldkamp, Bochum.
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