Hebamme 2004; 17(4): 200
DOI: 10.1055/s-2004-860879
Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Geburtseinleitung gestern und heute

Ulrich Retzke
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 December 2006 (online)

Diese Ausgabe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit komplementären Verfahren in der Geburtshilfe. Dabei war es unser Ziel, nicht nur Erfahrungswissen zu publizieren, sondern auch Studien, welche die in der Praxis beobachtete Wirksamkeit naturheilkundlicher Methoden wissenschaftlich untersuchen und bewerten.

Die Suche nach neuen Studien aus dem Bereich der Geburtshilfe, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, war durchaus schwierig. Um so mehr freuen wir uns, dass es uns schließlich gelungen ist, Ihnen mehrere interessante Studien zu präsentieren. Dass zwei davon alternative Methoden zur Einleitung der Geburt betreffen (Nelkenöltampons und »Wehencocktail« mit Rizinusöl), ist sicher kein Zufall, da zahlreiche Eltern gezielt nach »sanften, natürlichen Methoden« zur Geburtseinleitung fragen.

Auch in früheren Zeiten haben sich Geburtshelfer immer wieder Gedanken über Mittel und Wege zur Geburtseinleitung gemacht. So schreibt Professor Dr. W. Stoeckel, Geheimer Medizinalrat und Direktor der Universität-Frauenklinik zu Berlin in der 7. Auflage seines Lehrbuches der Geburtshilfe vor mehr als einem halben Jahrhundert (Verlag Gustav Fischer, 1943): »Wird die Geburtseinleitung am rechtzeitigen Schwangerschaftsende nötig, so ist die abdominale Schnittentbindung das für den Geburtshelfer bequemste und für das Kind sicherste, manchmal allein aussichtsvolle (enges Becken, habituelle Übertragung, missed labour) Verfahren. Ist aber die Geburtsleitung indiziert, ohne daß eine akute Gefahr für das Kind besteht oder daß später Gefahr aus seinem Mißverhältnis zum Becken erwächst, so kann man versuchen, an dem zur Geburt sensibilisierten Uterus Wehen in Gang zu bringen und in Gang zu halten. Das gelingt in ca. 80 % durch folgendes Verfahren: 2 Eßlöffel Rizinusöl, Einlauf, heißes Bad, Chinin, Hypophysin oder Pituglandol (Hypophysenextrakte).«

Für die Auslösung der »künstlichen Frühgeburt« empfiehlt Stoeckel im gleichen Lehrbuch (1943) den Metreurynter. Dabei handelt es sich um einen Trompetentrichter ähnlichen Ballon mit Ansatzschlauch. Der Ballon wird in das Cavum uteri im Bereich des unteren Uterinsegmentes »extraovulär« platziert und dann mit einer antiseptischen Lösung (damals Kresolseifenlösung) aufgefüllt. Danach wird am äußeren Ende des Ansatzschlauches gezogen bzw. ein Gewicht angebracht. »An den Schlauch des Metreurynters wird ein Strick angebunden, der zwischen den Beinen der Patientin über das Bettende geleitet und an dessen freies Ende ein Gewicht gehängt wird - entweder ein richtiges Gewicht oder eine Flasche, die durch Auffüllung schwer gemacht wird.«

Dieses Zitat zeigt, wie hilflos man vor 60 Jahren war und wie - aus heutiger Sicht - die endozervikale Prostaglandinbildung mit mechanischen Instrumenten angeregt wurde. Zum anderen ging man am »rechtzeitigen Schwangerschaftsende« das damals große Wagnis der Sectio caesarea ein, wenn denn eine Schwangerschaftsbeendigung »nötig« war. Im Übrigen ist interessant, dass schon vor 60 Jahren das Rizinusöl (in Kombination mit anderen Pharmaka) ein probates Mittel zur Geburtseinleitung war.

Heute werden in Deutschland 12-14 % aller Geburten eingeleitet. Es ist deshalb nicht übertrieben zu sagen, dass die medikamentöse Geburtseinleitung zu den häufigsten Therapiemaßnahmen in der Geburtshilfe zählt. Umso wichtiger ist der Hinweis, dass die Indikationsstellung zur Geburtseinleitung eine genauso verantwortungsvolle Entscheidung ist wie die für eine Sectio oder eine gynäkologische Operation. Die medikamentöse Geburtseinleitung ist - in welcher Form auch immer praktiziert - ein effektives Behandlungsverfahren und sollte auch mit Blick auf die Häufigkeit seiner Nutzung in der geburtshilflichen Praxis stets exakt begründet und ebenso exakt dokumentiert werden.

Wenn man die abwartende Haltung aufgibt und statt ihrer wehenauslösende/geburtseinleitende Maßnahmen wählt, so geschieht dies im Bestreben, für Mutter und Kind ein besseres perinatales Ergebnis zu erreichen. Das heißt mit anderen Worten: Die Geburtseinleitung muss mit Vorteilen für Mutter und Kind belegt werden können! Daraus resultiert die hohe Verantwortung jeder Hebamme und jedes ärztlichen Geburtshelfers bei der Entscheidung für bzw. gegen diese Therapieoption.

Ihr

Prof. Dr. Ulrich Retzke