Hebamme 2004; 17(4): 204-207
DOI: 10.1055/s-2004-860881
Interview
Ina May Gaskin
© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Geburtshilfe in den USA - ein Interview mit Ina May Gaskin

Martina Eirich
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Publication Date:
05 December 2006 (online)

In den USA werden momentan knapp 3,8 Millionen Kinder pro Jahr geboren. Gibt es Zahlen über Haus- oder Geburtshausgeburten?

Zu Hause werden etwa 25000 und in Geburtshäusern ca. 12000 Kinder geboren.

Wie sieht es mit außerklinischen Qualitätserhebungen, ähnlich der deutschen QUAG e. V., aus?

Es gibt Zahlen, das Problem ist nur, dass sie von den Zentren für Krankheitskontrolle (Centers of Disease Control) nicht in einer angemessenen Art und Weise veröffentlicht werden. So gibt es immer noch keine Lösung, wie man aus dem Pool Hausgeburt zuverlässig die ungeplanten von den geplanten herausfiltern kann. Ich kann aber einige Studien zitieren [1] [2] [3] [4].

Außerdem führte die Nationale Vereinigung der Geburtshäuser (National Association of Childbearing Centers) Mitte der 80er-Jahre eine große, prospektive Studie mit fast 12 000 Frauen durch. Bei einer perinatalen Mortalitätsrate von 1,3 ‰ und einer maternalen Mortalitätsrate von 0 musste eine von sechs Frauen ins Krankenhaus verlegt werden, 2,4 % davon als Notfälle. Die Kaiserschnittrate betrug 4,4 %.

Anders als in Deutschland arbeiten in den USA speziell für die unterschiedlichen Anforderungen ausgebildete Hebammen.

Welche Möglichkeiten gibt es, um Hebamme zu werden?

Es gibt drei Varianten. Zunächst die CNM oder certified nurse-midwife (examinierte Krankenschwester-Hebamme). Diese muss, wie der Name schon sagt, ausgebildete Krankenschwester sein, bevor sie ihre Hebammenausbildung anschließt. Wobei die Ausbildung im Grunde ausschließlich im Krankenhaus stattfindet. Nur äußerst selten wird manchen Studentinnen die Möglichkeit geboten, im Geburtshaus oder bei einer Hausgeburt zu hospitieren. Manche CNMs begleiten dennoch später Hausgeburten.

Dann gibt es die CPM, certified professional midwife (examinierte Fachhebamme), deren Zeugnis von der Nordamerikanischen Hebammenregistratur ausgestellt wird und in 19 von 50 Staaten offiziell anerkannt ist. CPMs arbeiten fast ausschließlich zu Hause oder in Geburtshäusern.

Die dritte Form, die CM, certified midwife (examinierte Hebamme), gibt es nur in zwei Staaten. Deren Ausbildung ist am ehesten mit der der CNM zu vergleichen, außer, dass sie nicht zuvor eine Krankenschwesternausbildung absolvieren musste.

Wie oft wird in den USA Ultraschall in der Schwangerenvorsorge durchgeführt?

In den an die Krankenhäuser angeschlossenen Praxen im Grunde bei jeder Vorsorge. Mein Hebammenteam nutzt den Ultraschall manchmal bei Beckenendlagenkindern oder Zwillingen, aber keineswegs routinemäßig.

In Ihrem Bundesstaat Tennessee ist es Hebammen erlaubt, Beckenendlagengeburten zu begleiten, während es im Nachbarstaat Arkansas verboten ist. Wie sieht generell die rechtliche Situation bei BEL und Zwillingen aus?

Die meisten Staaten erlauben Hebammen nur im Notfall, BEL und Zwillinge zu begleiten. Wir Hebammen in Tennessee haben zunächst dafür gesorgt, dass unserem Gesundheitsministerium die beträchtliche Anzahl an BEL und Zwillingsgeburten, die wir alle mit guten Outcomes begleitet haben, zu Ohren kam bevor wir unsere Gesetzesvorlage einreichten, um diese Arbeit zu legalisieren, was dann schließlich auch geschah.

Wie lange dauert nach Ihrer Erfahrung die Austreibungsperiode bei einer Erstgebärenden mit Kind in BEL?

Im Durchschnitt 1,5 Stunden. Die längste hat einmal fünf Stunden gedauert. Auch bei dieser Geburt hörte ich die Herztöne nach jeder Presswehe, der Po des Kindes kam mit jeder Wehe tiefer und die Mutter schlief während der Wehenpausen. Das Baby wurde mit perfekten Apgar-Werten geboren.

Manche Hebammen streiten darüber, ob es sinnvoll ist, generell nach der Geburt des ersten Zwillings die Fruchtblase zu eröffnen; sie präferieren, sofern vertretbar, den natürlichen Weg der Geburt. Wie denken Sie darüber?

Ich achte immer sehr sorgsam auf die Oszillation der Herztöne beim zweiten Kind. Wenn ich Dezelerationen höre, ritze ich die Fruchtblase kurz an. Gewöhnlich reicht dies, um die Wehen soweit anzuregen, dass das Kind geboren wird. Da wir in einem subtropischen Klima leben, ist es mir unwohl bei der Vorstellung, für eine beträchtliche Zeit eine »Leiter« in die Gebärmutter zu belassen (damit ist die Nabelschnur des ersten Zwillings gemeint, Anm. der Verf.). Deshalb ist es selten notwendig, das Kind zu extrahieren. Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, dass die allermeisten zweiten Kinder sehr gut ohne Interventionen geboren werden.

Bei guatemaltekischen Hebammen haben Sie die Schulterlösung im Vierfüßlerstand bei Schulterdystokie kennen gelernt und diese Vorgehensweise weltweit unter Ihrem Namen als Gaskin-Manöver publik gemacht. Weniger bekannt ist Ihr »Gesetz des Sphinkters«.

In den englischsprachigen, geburtshilflichen Lehrbüchern beziehen sich die Autoren meist auf die fundamentalen Geburtsgesetze, die sie »das Gesetz der drei Ps« nennen. Wobei diese für die Passage, also das mütterliche Becken und die Vagina, den Passagier, das Baby und für Power, also die Kraft, die Wehen stehen. Schafft es die Frau nicht, in der vorgegebenen Zeit das Kind zu gebären, wird ein Mangel oder eine Auffälligkeit an mindestens einem P, wie zum Beispiel ein vielleicht zu enges Becken, zur Erklärung herangezogen.

Damit habe ich ein Problem, weil es sich hier nur um eine rein mechanische Metapher handelt und wichtige Aspekte, wie den Einfluss mütterlicher Hormone für das Geburtsgeschehen und damit die Körper-Geist-Verbindung vollkommen außer Acht lassen. Deshalb kam ich auf die Idee, die Autoren diesbezüglich infrage zu stellen und ihr »Gesetz der drei Ps« durch mein »Gesetz des Sphinkters« zu ersetzen. Sphinkter, also hier die Schließmuskel des Anus, der Zervix und der Blase, gehorchen nicht Befehlen. Kaum jemand kann neben jemandem Stuhlgang machen, der ihn anschreit, auf welche Art und Weise er dies vollführen soll. Sphinkter funktionieren am besten in einer Umgebung, die geprägt ist von Intimität und Privacy. Sie verschließen sich dagegen urplötzlich, wenn deren Besitzer erschreckt wird oder sich fürchtet. Lachen hilft sie zu öffnen, ebenso langsames, tiefes Atmen oder wenn die Frau während der Wehen tönt, also einen tiefen Ton anstimmt.

Wie können Ina May Gaskin und ihre Kolleginnen Orgasmen während Geburten beobachten, während darüber hier in Deutschland viele Klinikhebammen nur ungläubig die Köpfe schütteln?

Den meisten, in Krankenhäusern ausgebildeten Hebammen wird gelehrt, dass alle Frauen Schmerzen während der Wehen haben und ich möchte es als westliche Sichtweise bezeichnen, als sich selbst erfüllende Prophezeihung, die demzufolge ständig so weitergegeben wird.

Das ist sehr schade, denn dadurch nimmt man den Frauen die Möglichkeit, sich auf eine Art und Weise zu entspannen und damit an einen Punkt zu kommen, an dem der Schmerz weitaus geringer wahrgenommen wird oder in ein viel vergnüglicheres Erleben umgewandelt werden kann.

Ich kenne auch einige Frauen, die in der Klinik Orgasmen hatten, nur sprachen sie dort nicht darüber. Eine dieser Frau erzählte mir, dass ihr der Arzt sagte: »Sie waren die verrückteste Patientin, die ich je hatte!« Das hat sie wiederum derart verunsichert, dass sie sich dachte, sie hätte eine Form von sexueller Perversion.

Aber natürlich bin ich der Ansicht, dass Orgasmen weitaus häufiger bei Hausgeburten stattfinden - darüber sollten wir noch mehr forschen - da sich die Frauen in ihren eigenen vier Wänden weitaus besser entspannen können. Zudem habe ich noch nie von einer Frau gehört, die unter Periduralanästhesie einen Orgasmus hatte. Wir sollten aber allen Frauen sagen, dass es diese physiologische Tatsache auch während der Geburt gibt.

Vor kurzem ist Ihr neues Buch »Selbstbestimmte Geburt« auf Deutsch erschienen. In ihrem 1975 erschienenen Buch »Spirituelle Hebammen«, das weltweit inzwischen mehr als 750 000-mal verkauft wurde, gibt es das Schlagwort der spirituellen Hebammenbewegung. Was verstehen Sie darunter?

Die Essenz der spirituellen Hebammenbewegung war die Erkenntnis, dass wir Menschen nicht nur aus einem Körper bestehen, sondern dass unser Geist genauso existiert. Frauen haben das Buch auf eine sehr tiefe Art und Weise gelesen und verinnerlicht, weil sie darin von so vielen verschiedenen Frauen Geburtsgeschichten erzählt bekommen, die sie eben in dieser Ganzheitlichkeit ansprechen.

Die medizinische Antwort für einen aufsässigen Sphinkter ist die Anästhesie. Die Hebammenantwort ist ei- ne Atmosphäre zu schaffen, die den Schließmuskeln erlaubt sich zu öffnen. Die Mutter wiederum hat mehr Oxytocin und Endorphine zur Verfügung und dementsprechend weniger Schmerzen.

Auf der anderen Seite haben hier amerikanische Frauen gezeigt, dass sie, auch wenn sie nichts von Hebammenkunst an sich verstanden, die Bedingungen schaffen konnten, um diese Profession wieder auferstehen zu lassen. Und dies geschah vor 35 Jahren, nachdem es der Geburtsmedizin in den USA nahezu gelungen war, den Hebammenberuf zu eleminieren. Es war für alle überraschend und so, als ob es regnete und plötzlich überall Pilze in Form von Laienhebammen aus der Erde schossen. Da gab es ein paar hundert Frauen, die sich weigerten ins Krankenhaus zu gehen. Dieses Interesse an Hebammen, der Hausgeburtshilfe und dem Stillen bewog die Krankenhäuser Tausende von CNMs einzustellen, weil sie die Frauen weiterhin zum Gebären in den Kliniken halten wollten. Und natürlich gibt es auch heute noch Menschen, die nicht mehr Geburten von Hebammen begleitet sehen möchten und so bleibt uns nichts anderes übrig, als weiter zu kämpfen.

Der frühere WHO-Beauftragte Marsden Wagner nennt die Geburtseinleitung mit Cytotec® (Wirkstoff Misoprostol) einen großen Fehler, vor allem nach vorausgegangenem Kaiserschnitt. Welche Vorkommnisse sind Ihnen bekannt?

Zunächst einmal: G. D. Searle, der Hersteller von Cytotec®, hat den amerikanischen Bundesarzneimittelverband (FDA, Federal Drug Association) nie nach einer Genehmigung für den Gebrauch bei schwangeren oder wehenden Frauen ersucht. Das ist vollkommen legal, weil es eine Gesetzeslücke gibt, die es den amerikanischen Ärzten erlaubt, jedes Medikament für alles Mögliche zu verschreiben, solange der Hersteller einmal eine Genehmigung beantragt und ihm diese von der FDA für irgendeinen Nutzen auch erteilt wurde. So wurde Cytotec® für die Prävention von Magengeschwüren bei Menschen erlaubt, die magenreizende Medikamente wie Aspirin einnahmen.

In einem Artikel im Health-Magazin aus dem Jahr 2003 wurde berichtet, dass die FDA 49 Fälle von Uterusrupturen im Zusammenhang mit Cytotec® erhalten habe. Dabei starben 10 Feten und zwei Mütter. Ich könnte jedoch noch mehr solcher Fälle anführen. Es gab so viele Uterusrupturen im Zusammenhang mit dem Medikament und eingeleitete Geburten bei Zustand nach Sectio, dass die ACOG (Amerikanische Akademie der Geburtshelfer und Gynäkologen) im November 1999 eine Empfehlung herausgab, dass das Medikament nicht mehr zur Geburtseinleitung bei Frauen mit vorausgegangenem Kaiserschnitt und anderen Uterusoperationen eingesetzt werden sollte.

Auch die Dosierung haben sie mit aufgenommen. Jedoch haben sich einige sehr schwere Komplikationen bei Frauen ereignet, die zuvor die niedrigste empfohlene Dosis von 25 μg erhalten hatten. Cytotec® hat zudem im Gegensatz zu Oxytocin eine lange Halbwertzeit.

Leider hat die FDA es bislang versäumt, einen öffentlichen Bericht über die Todesfälle und sonstigen Vorkommnisse im Zusammenhang mit Einleitungen herauszubringen. Der Hersteller schützt sich dagegen vollkommen legal, indem er auf jede Packung eine Warnung aufdrucken lässt: »Eine Uterusruptur kann schwere Blutungen, Klinikeinweisungen, Operationen, Infertilität und Todesfälle verursachen.«

Zahlen vom Nationalen Zentrum für Gesundheitsstatistik veranschaulichen sehr deutlich, warum viele Geburtshelfer und berufstätige Frauen liebend gerne mit Cytotec® fortfahren. Die Anzahl an Geburtseinleitungen hat sich seit 1989 verdoppelt, die an Spontangeburten, die von Montag bis Freitag zwischen 9 Uhr und 17 Uhr stattfinden, hat sich im vergangenen Jahrzehnt ebenfalls signifikant erhöht.

Kontrastprogramm: Die calvi- nistische Glaubensgruppe der Amish ist auch in Ihrem Bundesstaat Tennessee angesiedelt. Sie tragen alte Trachten, leben unmotorisiert, gelten als geniale Handwerker und sind für ihren Kinderreichtum bekannt. Was haben Sie von diesen Multiparae gelernt?

Wir konnten feststellen, dass diese extremen Multiparae nicht die hohen Raten an Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt aufweisen, von denen in den geburtshilflichen Lehrbüchern zu lesen ist. Diese Frauen ernähren sich sehr gesund, nehmen in der Regel genügend Proteine, Vitamine und Mineralien zu sich. Sie essen kein Junk food, rauchen nicht und trinken keine kohlensäurehaltigen, gezuckerten Getränke. Wir versuchen sie nur noch zu überzeugen, dass Vollkornmehl besser ist als Weißmehl, das sie zum Brotbacken benutzen. Dennoch ist ihre Ernährung weitaus besser, als die der durchschnittlichen Amerikanerin.

Persönlich möchte ich noch anmerken, dass ich auch sehen und damit erfahren durfte, dass eine Frau 20 Schwangerschaften, in diesem Falle 19 Lebendgeburten und eine Fehlgeburt haben und immer noch einen wunderschönen Körper besitzen kann.

Obwohl die USA 13,7 % ihres Bruttosozialproduktes und damit

mehr als jedes andere Land auf der Welt, für das Gesundheitswesen ausgeben, liegt die Säuglingssterblichkeit bei 6,6 im Vergleich zu Deutschland mit 4,4 pro tausend Geburten. Über die Müttersterblichkeit habe ich sehr unterschiedliche Zahlen gefunden. Warum gründeten Sie 1997 »The Safe Motherhood Project«?

Wir gründeten das Projekt, um die vergleichsweise sehr hohen Zahlen an mütterlichen Todesfällen zu senken. So gestehen ja selbst die Zentren für Krankheitskontrolle ein, dass es eine sehr große Anzahl an nicht dokumentierten mütterlichen Todesfällen in den offiziellen Berichten gibt. Die CDC schätzt, dass es notwendig sein könnte, die angegebene Zahl mit dem Faktor drei zu multiplizieren. Offiziell hat sie sich dagegen seit 1982 von 7-8 Todesfällen auf 100000 Lebendgeburten auf heute 11 verschoben. Man muss allerdings bedenken, dass nur die Todesfälle, die durch Schwangerschaft verursacht wurden, aufgenommen werden, sowie diejenigen, die innerhalb von 6 Wochen nach der Geburt auftraten.

Wir haben einfach herausgefunden, dass es hilft, wenn sich Menschen an der Basis organisieren, solange die Regierung ihren Job nicht gut macht, um ihn besser zu machen. Dies dient dann wiederum als Modell, um der Regierung zu zeigen, wie man es besser machen kann und daraus erwachsen dann Verbesserungen.

Und was verursacht die hohen Kosten z.B. in der Geburtshilfe?

Obwohl jeder Bundesstaat verpflichtet ist, einen Minimalstandard an Gesundheitsleistungen zu gewähren, betrifft dies nicht die Schwangerenvorsorge für alle. So enden arme Frauen oft als Lehrmaterial für Chirurgen in Ausbildung. Ein Trend, der sich verstärkt hat, seitdem die amerikanische Akademie der Geburtshelfer und Gynäkologen eine Leitlinie herausgebracht hat, nach der die vaginale Geburt nach vorausgegangenem Kaiserschnitt nicht mehr in Häusern angeboten werden darf, in denen ein Anästhesist nicht 24 Stunden im Haus ist, was die meisten Krankenhäuser des Landes betrifft.

Zudem hat sich die Versicherungsszene ärztlicher Kunstfehler zu einem der größten Parasiten entwickelt, für die jeder bezahlen muss.

In Deutschland verpflichtet uns die Berufsordnung für Hebammen geburtshilfliche Schadensfälle abzusichern. Auf der anderen Seite gibt es immer weniger Versicherungen, die eine Abdeckung gewähren. Wie sieht die Situation bei Ihnen aus?

CPMs arbeiten in den meisten Staaten ohne Haftpflichtversicherung. Auch meine Kolleginnen und ich arbeiten auf diese Art und Weise. Natürlich klären wir unsere Paare darüber auf, dass wir ohne Versicherung arbeiten und es für sie schlimmstenfalls keine Möglichkeit gäbe, Geld einzuklagen. Seltsamerweise habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese Vorgehensweise das gegenseitige Vertrauen eher verstärkt als mindert. Es fordert und fördert in jedem Fall die Eigenverantwortung der Eltern.

Ist es schon vorgekommen, dass Hebammen dann mit ihrem eigenen Vermögen hafteten?

Nein, mir ist kein einziger solcher Fall bekannt. Was mir aber noch zum Thema einfällt ist, dass es gut wäre, ein »Kein-Schaden-System« einzurichten. Keine Hebamme und kein Arzt ist vor Fehlern gefeit. Deshalb brauchen wir eine Vorgehensweise, um die Fehlermuster zu identifizieren und denjenigen, bei denen sich diese wiederholen oder häufen, Fortbildungen angedeien zu lassen.

Mit dem jetzt bestehendem System, das Sie sich ja inzwischen auch nach Deutschland importiert haben, werden Ärzte und Hebammen genötigt, zur Absicherung ständig überflüssige Eingriffe oder häufige CTG-Überwachungen durchzuführen, die die Frauen verängstigen, damit die Interventionsraten und demzufolge die Kosten erhöhen und das bei keiner Verbesserung der Mortalitäts- und Morbiditätsraten.

Selbstreflexion und Selbstkritik zählen für mich auch zum Hebammenhandwerkszeug. Welche Geburtsbegleitung fällt Ihnen dazu ein?

Ich begleitete Pamela, eine sehr intelligente Frau, bei der Geburt ihres ersten Kindes. Ihre ganzen Freundinnen hatten zu Hause geboren und sie wollte es nicht anders machen, wobei sie nicht schnell eröffnete und die Wehen auch nicht sonderlich begeistert annahm. Nachdem einige Stunden vergangen waren, realisierte ich für mich, dass es besser für die Frau wäre, jemanden mit in die Geburtsbegleitung zu nehmen, die sie besser inspirieren könnte, als ich bislang dazu in der Lage war.

Ich dachte dabei an Mary, die von allen Frauen unserer Selbstversorgergemeinschaft (The Farm) für ihre Gebärfähigkeit bewundert wurde. Sie hatte gerade vor ein paar Wochen ihr zweites Kind geboren und die Geburt als ruhig, dabei energiegeladen, ja einfach herrlich beschrieben. Kurz bevor das Baby seinerzeit geboren wurde, hatte sie sich zur völligen Hingabe entschlossen. Sie stellte sich dabei ihre Vagina als große, offene Höhle inmitten eines Ozeans vor, mit riesiger, aufwallender Strömung nach innen und nach außen. Sie fühlte jedes Mal, wenn eine Wehe anstieg, das Wasser in die Höhle einströmen, anschwellen und diese sich füllen, bis schließlich der Höhepunkt erreicht war und schließlich abebbte, indem das Wasser wieder herausfloss. Sie gab sich vollkommen den Wehen hin. - So beschrieb sie Pamela ihre Wehen, während sie sich bis auf die Unterhose auszog, zu ihr ins Bett krabbelte und sich neben sie legte. Während sie nun beide gemeinsam die Wehen durchlebten, entspannte sich Pamela zusehends und ebenso ihr Muttermund. Das Baby wurde bald darauf geboren.

Fünfundzwanzig Jahre später trafen Pamela und ich uns wieder und sie dankte mir dafür, dass ich damals bemerkt hatte, dass sie eine andere Frau als mich dafür brauchte, um ihren Weg der Hingabe an die Wehen zu finden.

Literatur

  • 1 Durand AM. The safety of home birth: The Farm Study.  Am J Public Health. 1992;  82 450-453
  • 2 Rooks JP, Weatherby NL, Ernst EKM, Stapleton S, Rosen D, Rosenfield A. Outcomes of care in birth centers. The National Birth Center Study.  New England Journal of Medicine. 1989;  321 1804-181
  • 3 Anderson RE, Murphy PA. Outcomes of 11.788 planned home births attended by certified nurse-midwives. A retrospective descriptive study.  Journal of Nurse-Midwifery. 1995;  40 483-492
  • 4 Tyson H. Outcomes of 1001 midwife-attended home births in Toronto, 1983-1988.  Birth. 1991;  18 14-19

Anschrift der Autorin:

Martina Eirich

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