Der Klinikarzt 2006; 35(2): X-XI
DOI: 10.1055/s-2006-933585
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neue antiretrovirale Therapieprinzipien - Auseinandersetzung zwischen Rezeptoren, Resistenzen und Wirkstoffen

Further Information

Publication History

Publication Date:
23 February 2006 (online)

 
Table of Contents

Die Behandlung der AIDS-Virusinfektion bringt ständig neue Herausforderungen für den Behandler mit sich. Die Erfolge der modernen antiretroviralen Therapie sind beeindruckend und das Leben mit HIV, dem humanen Immunodefizienzvirus, hat sich dramatisch gewandelt. Einst eine Krankheit, die fast immer nach kurzer Zeit tödlich war, diskutiert man heute die Probleme bei jahrelanger Therapie, deren Erfolg manchmal schon gar nicht mehr infrage gestellt wird.

Trotzdem bleibt die HIV-Forschung ständig in Bewegung, und die HIV-Infektion bzw. HI-Infizierte benötigen ständige Aufmerksamkeit. Dies gilt insbesondere für die Länder mit extrem hohen Infektionszahlen ("resource poor areas"), die versuchen, die lebensrettenden Standardtherapien zu implementieren. Für andere Regionen bereiten gerade diese etablierten Therapien verstärkt Probleme. Die Spanne reicht hier von mangelnder Adhärenz über die Entwicklung von Resistenzen und Toxizitäten bis hin zu Interaktionen.

#

Ein humanes Protein im Visier der Therapeuten

Die Lösung dieser Herausforderungen erfordert eine intensive Suche nach neuen Möglichkeiten. Inzwischen sind allerdings neue Behandlungsoptionen vom Stadium der molekularen Grundlagenforschung in den Bereich der potenziellen Therapiemodalitäten gerückt. Das Verständnis um das Andocken von Viren an Rezeptoren, das Verstehen der Funktion von Rezeptoren und die Entdeckung der Blockademöglichkeiten dieser Rezeptoren hat jetzt ihren vorläufigen Höhepunkt in der Anwendung eines CCR5-Rezeptorenblockers gefunden.

Ein interessanter Ansatzpunkt, denn der CCR5-Rezeptor ist ein chemokiner Rezeptor, den das HI-Virus benutzt, um sich in CD4-Zellen einzuschleusen. Unter Umständen ist dieser Rezeptor der wichtigste unter den bekannten HIV-Korezeptoren, meinen Experten, da die am häufigsten übertragenen HIV-Stämme, die so genannten R5-Viren, eben an diesen Rezeptor binden. X4-Viren dagegen, die meist erst nach Fortschreiten der Erkrankung häufiger auftreten und während der primären HIV-Infektion meist nicht im Blut nachgewiesen werden können, bevorzugen den CXCR4-Rezeptor zur Infiltration in die Wirtszelle.

Je höher die CD4-Zellzahl und je niedriger die Virusmenge im Blut, umso häufiger liegen nur R5-Viren vor. Schreitet die Erkrankung fort, treten ohne Behandlung immer mehr X4-Viren auf. So haben mehr als 90% der HIV-Patienten mit einer CD4-Zellzahl von über 300 Zellen pro Mikroliter Blut - einem noch immer relativ guten Immunstatus - nur R5-Viren. Verschlechtert sich der Immunstatus (< 25 CD4-Zellen/µl), erhöht sich der Anteil der X4-Viren auf 50%.

Aus der großen Zahl neuer Therapieoptionen mit Substanzen mit alternativen Wirkungsansätzen ist der Ansatz der CCR5-Rezeptorblockade sicherlich einer der Interessantesten, der derzeit in Blick auf das Therapieprinzip und die Anwendung im Rahmen einer wissenschaftlichen Veranstaltung zum Thema gemacht werden kann. Denn über diesen CCR5-Antagonismus wird zum ersten Mal ein menschliches Protein zum Angriffspunkt für ein HIV-Medikament. Der CCR5-Antagonist, ein Wirkstoff aus der Gruppe der so genannten "Entry-Inhibitoren", verändert die Konformation des Chemokinrezeptors und verhindert so, dass das HI-Virus daran binden und in die Wirtszelle gelangen kann. Dies ist insbesondere von Bedeutung, da im Rahmen einer chronischen HIV-Infektion die Expression des CCR5-Rezeptors hochreguliert ist. Eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) kann die Expression zwar wieder verringern - allerdings nicht bis zurück zum Ausgangsniveau, so die Studiendaten.

#

Erste Studiendaten stimmen hoffnungsvoll

Im letzten Jahr wurden klinische Daten zu drei verschiedenen Entry-Inhibitoren veröffentlicht: Maraviroc, Aplaviroc und Vicriviroc. Alle drei Substanzen wurden in Phase-I/II-Studien als Kurzzeitmonotherapie getestet und zeigten hierbei - bei guter Verträglichkeit - eine sehr gute virologische Wirksamkeit. Alle Wirkstoffe wurden deshalb in Phase-II- und -III-Studien klinisch weiter entwickelt.

Derzeit wird jedoch nur Maraviroc weiter evaluiert, zum Beispiel in einer Phase-III-Studie bei therapienaiven Patienten, die Maraviroc in unterschiedlichen Dosierungen erhalten. Allerdings wurde inzwischen ein Dosierungsarm (300 mg einmal täglich) beendet, da bei einer Zwischenauswertung die 300-mg-Dosis der Standardtherapie unterlegen war. Auch für bereits vorbehandelte Patienten mit CCR5-tropem oder gemischt CXCR4/CCR5-tropem Virus sind inzwischen Phase-III-Studien initiiert. Die Ergebnisse dieser Studien werden entscheidende Aussagen über die zukünftige Wirksamkeit und Verträglichkeit der CCR5-Inhibitoren liefern.

#

Durchhalten Tag für Tag, 365 Tage im Jahr

Wie in jedem Jahr hat auch der Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember 2005 in der breiten Öffentlichkeit Wellen geschlagen. Die Weltgesundheitsorganisation meldet sich Jahr für Jahr mit Daten und Fakten zur Entwicklung der Neuinfektionen zu Wort. Dann rücken die HIV-Infektion und die Erkrankung AIDS kurz in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Doch genauso schnell versandet die Welle wieder und die Sorglosigkeit hält erneut Einzug.

So sieht es auch Rainer N., der seit 16 Jahren mit der HIV-Infektion bzw. mit AIDS lebt und am Welt-AIDS-Tag im Rahmen einer Veranstaltung des Seminarwerks AIDS e.V. in Aachen über seine Erkrankung sprach. Seit der Diagnose hat das Jahr für ihn 365 AIDS-Tage. Davor war das Thema HIV weit weg - in USA vielleicht oder sonst wo, aber hier doch nicht und bei ihm doch nicht. Dabei gehört er als schwuler Mann zur Risikogruppe. "Es wurde einfach nicht wahrgenommen und auch viel zu wenig darüber gesprochen." In seinem Freundes- und Bekanntenkreis starben junge Männer an "Lungenentzündung" oder "Hirnbluten". Dass es AIDS war, darüber redete man nicht.

Fundamentaler Eingriff in das Leben der Patienten

Die Erkrankung hat sein Leben grundlegend verändert und in alle Bereiche eingegriffen: Familie, Freundeskreis, Beruf. Allgegenwärtig ist die Einnahme der Medikamente. Sie beherrscht den Tagesablauf - nicht nur deshalb, weil das Timing mit den Mahlzeiten geplant werden muss. "Die Nebenwirkungen sind erheblich", sagt Rainer N. Dementsprechend sind engmaschige Kontrollen und Dosisanpassungen oder der Einsatz anderer Medikamente notwendig, ebenso wie viele Krankenhausaufenthalte und Operationen im Lauf der Jahre.

AIDS zu haben heißt durchhalten, sich immer wieder aufrichten, verzweifeln, dennoch weitermachen und zwischen Hoffnung und Angst und Wege suchen, die dabei helfen. Maßgebliche Unterstützung fand Rainer N. auf diesem Weg bei Dr. H. Knechten, der mittlerweile für ihn mehr ist, als nur sein Arzt. Er gibt neben der medizinisch optimalen Versorgung Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht. Für Rainer N. liegt darin der größte Verdienst von Knechten, der im letzten Jahr für sein Engagement im Kampf gegen AIDS mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, und dem gesamten Praxisteam, dass sie alle gemeinsam mit den Patienten "durchhalten". "Es gibt ja keine Heilung", sagt Rainer N.

Gabriele Henning-Wrobel, Erwitte

Quelle: Satellitensymposium "Rezeptoren, Resistenzen, Wirkstoffe - im Blick neuer Therapieziele", unterstützt von der Pfizer Pharma GmbH, Karlsruhe