Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2004; 36(3): 118-119
DOI: 10.1055/s-2004-834408
Forschung
Das Interview
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

„Orales 5-FU (Capecitabin) ist in der adjuvanten Therapie genauso effektiv wie die Gabe von 5-FU als i.v. Therapie, aber weniger nebenwirkungsreich”

Neue Therapiestrategien beim kolorektalen KarzinomCarsten Bokemeyer
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Publication History

Publication Date:
28 September 2004 (online)

Studium der Medizin in Hannover, Amerikanisches Staatsexamen
Seit Ende 1995 Oberarzt an der Eberhard Karls Universität Tübingen (Abteilung Innere Medizin II, Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Rheumatologie)
Diverse Forschungs- und Entwicklungspreise
Forschungsschwerpunkte: Klinische Onkologie, Substanzentwicklung, molekulare Prognosefaktoren

DZO:

Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse auf dem diesjährigen ASCO-Kongress bezüglich der Behandlung kolorektaler Karzinome? Gab es bahnbrechende Ergebnisse oder Highlights?

Prof. Bokemeyer:

Dieses Jahr gab es eigentlich kein spezielles Highlight zur Behandlung kolorektaler Karzinome. Es gab aber meiner Meinung nach eine Vielzahl von Daten aus Studien, die bisherige Tendenzen und Entwicklungen unterstützen. Beispielsweise der Nachweis, dass man mit oralem 5-FU (Capecitabin) in der adjuvanten Therapie genauso effektiv ist wie mit der Gabe von 5-FU Bolus i.v. Therapie. Somit kann das orale Capecitabine in der adjuvanten Situation mit einem gut verträglichen Nebenwirkungspotential und mindestens vergleichbar guten Daten zur Wirksamkeit bei Stadium III nach Resektion gegeben werden. Im Wesentlichen haben sich auch die Daten mit den neuen Substanzen, also EGFR-Inhibitoren und VEGF-AK, bestätigen lassen, wenn auch in weiteren Phase-II-Studien. Durch die Einbeziehung dieser Substanzen in die Primärtherapie lassen sich sehr hohe Ansprechraten z.B. durch die Kombination von Cetuximab mit dem FOLFOX-Regime oder auch mit dem FOLFIRI-Regime erzielen. Und letztendlich haben sich die Daten zu Bevacizumab, einem VEGF-Antikörper, auch weiter bestätigt und konsolidiert. Aber es hat mich etwas enttäuscht, dass keine weitere große Studie ausgewertet und vorgestellt wurde, obwohl die second-line Studie mit FOLFOX und Bevacizumab schon länger abgeschlossen ist.

DZO:

Wird zukünftig Oxaliplatin anstelle dem bisher üblichen Mayo-Regime in der adjuvanten Therapie eingesetzt?

Prof. Bokemeyer:

Ich glaube, das kommt ganz sicher. Man muss vielleicht noch schauen, ob es für alle Patientenkollektive gleichermaßen gilt. Für die Kombination mit Oxaliplatin ist noch interessant, dass die langfristigen Daten zeigen, dass das Problem der Neuropathie sich doch über die Zeit wieder verringert und keine wesentliche Kontraindikation darstellen wird, so dass wir nun selbst in der adjuvanten Situation, wo wir eigentlich Mayo-Regime hatten, jetzt eine Vielfalt von Möglichkeiten haben. Capecitabine oral als gute Alternative mit mindestens gleicher Wirksamkeit und besserem Verträglichkeitsprofil zum Mayo-Regime. Und FOLFOX als wahrscheinlich noch wirksamere Alternative, wobei wir in den Publikationen bisher nur progressionsfreie Überlebensraten und Beobachtungszeiten von etwas über 3 Jahren haben und noch keine Gesamtüberlebensraten. Es gab auf dem ASCO allerdings einen Beitrag, der zeigte, dass die progressionsfreien 3-Jahres-Raten einen guten Marker für das 5-Jahres-Überleben darstellen. Aber es ist natürlich so, dass man in der adjuvanten Therapie letztlich verbesserte Überlebensraten sehen will.

DZO:

Welchen zukünftigen Stellenwert erwarten Sie für den Einsatz von Antikörpern?

Prof. Bokemeyer:

Ich denke, dass die Studienlandschaft bald definieren wird, wo diese Substanzen eingesetzt werden können. Es scheint mir so zu sein - obwohl die Tendenz ja ist, die Substanzen als „letzte Rettung” einzusetzen - dass die Datenlage dafür sprechen wird, diese relativ frühzeitig in Kombination mit einer Chemotherapie einzusetzen.

DZO:

Sollte man vor einer geplanten Therapie mit Antikörpern immer die Expression des EGFR-Rezeptors bestimmen?

Prof. Bokemeyer:

Im Moment wird der Einsatz von Cetuximab schon daran gekoppelt sein. So haben wir mit Cetuximab keine Daten von EGFR-negativ Tumoren. Zunehmend gibt es aber auch Daten bei anderen Tumoren, die mit Tyrosinkinase-Inhibitoren, z.B. Gefitinib (Iressa®) behandelt werden, dass die Expression des EGFR-Rezeptors gar nicht der entscheidende Faktor ist, ob Patienten überhaupt angesprochen haben oder nicht. Man kann hoffen, dass die molekulare Diagnostik noch viel spezifischer wird, und dass damit wiederum der Gebrauch der neuen und teuren Prinzipien eingeschränkt wird auf die Patienten, die wirklich einen echten Benefit davon haben.

DZO:

Wie schätzen Sie die Verträglichkeit dieser neuen Substanzen ein?

Prof. Bokemeyer:

Das hängt auch vom verabreichten Antikörper ab. Prinzipiell können alle Antikörper allergische Reaktionen auslösen; das betrifft allerdings nur einen kleinen Prozentsatz der Patienten (1-2 %). Beim Cetuximab ist die akneforme Hautreaktion die Hauptnebenwirkung, die auch das Hauptproblem für die Patienten darstellt, meistens aber mit dem Therapieerfolg einhergeht; und das ist natürlich zunächst eine gewisse subjektive Beruhigung für die Patienten. Außerdem lässt die akneforme Hautreaktion im Laufe der Therapie nach. Für Bevacizumab, wobei es in Deutschland dazu viel weniger Erfahrungen gibt als zum Cetuximab, weil es bisher vorrangig in den USA eingesetzt wurde, sind als potentielle Nebenwirkungen immer wieder Thrombosegefahr, Blutungsneigung und Hypertension genannt worden. In randomisierten Studien hat sich vor allem die Hypertension als eine häufige Nebenwirkung während der Gabe von Bevacizumab gezeigt, die bei 10 % der Patienten auftritt, aber offensichtlich gut behandelbar ist.

DZO:

Welchen Stellenwert messen Sie komplementären Therapiemethoden zu?

Prof. Bokemeyer:

Wir haben wenig kontrollierte Daten, die die Wirksamkeit komplementärer Therapien wirklich überprüft haben. Es auch sehr schwer, in diesem Feld kontrollierte Studien durchzuführen, weil es einfach unklar ist, ob sich nicht ein Teil der Studienpatienten mit entsprechenden Präparaten versorgt, auch wenn sie eigentlich im Placebo-Arm sind. Häufig bringt dem Patienten allein die Tatsache, selber etwas für sich tun zu können, einen gewissen subjektiven Vorteil. Ich glaube, man kann in der Komplementärmedizin nicht alles über einen Kamm scheren. Es gibt ja so viele, sehr unterschiedliche Maßnahmen, von denen ein Teil sicherlich keine Wirksamkeit hat, aber manche zumindest, wenn auch vielleicht weniger für die Tumorkontrolle, so doch für das subjektive Wohlbefinden einen positiven Effekt haben und die Toleranz von Chemotherapien verbessern, wie z.B. einige Vitaminsupplementationen. Weitere eingreifende Maßnahmen versuche ich, zumindest unmittelbar im Zusammenhang mit einer Chemotherapie zu vermeiden, weil dann doch manchmal auch Nebenwirkungen auftreten können, die schwer zuzuordnen sind. Beispiel: Hat der Patient jetzt Fieber, weil er die Therapie nicht gut verträgt oder weil er zusätzlich abends Mistel spritzt?[1] Vielleicht bricht man dann unnötigerweise eine Therapie ab, die gar nicht die Ursache für die Nebenwirkungen ist, sondern dem Patienten genutzt hätte.

DZO:

Wie erklären Sie sich die Beobachtung, dass zum Teil von Schulmedizinern recht unterschiedliche Empfehlungen zu komplementären Begleittherapien wie z.B. der Gabe von Vitaminen und Spurenelementen gegeben werden?

Prof. Bokemeyer:

Es gibt ja einfach in diesem Sektor keine Leitlinien und wirklich harte Daten, so dass es auch immer ein bisschen mit dem persönlichen Gefühl des Behandlers zu tun hat.

DZO:

Wann werden an der onkologischen Abteilung komplementäre Begleittherapien angewandt?

Prof. Bokemeyer:

Wir sprechen im Wesentlichen dann mit dem Patienten darüber, wenn sie es auch von sich aus ansprechen.

DZO:

Herr Prof. Bokemeyer, zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was tun Sie für sich, um gesund zu bleiben?

Prof. Bokemeyer:

Zu wenig. Ich esse viel Obst und jogge ab und zu.

DZO:

Herr Prof. Bokemeyer, vielen Dank für das Gespräch.

01 Mistelextrakte spritzt man in der Regel morgens. Fieberreaktionen sind bei adäquater Dosierung zudem ein eher seltenes Phänomen. (Anm. d. Schriftleitung)

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer

Universitätsklinik Tübingen
Abteilung Innere Medizin II

Ottfried-Müller Str. 10

72076 Tübingen

URL: http://www.med.uni-tuebingen.de