Laryngorhinootologie 2023; 102(12): 901
DOI: 10.1055/a-2130-4586
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Tonsillektomie: Assoziationen zwischen Blutungen und Infekthäufigkeit?“

Contributor(s):
Jamal Huseynov

** Ein bedeutendes Risiko bei der Tonsillektomie (TE) stellt bekanntermaßen die postoperative Nachblutung dar. Internationale Literatur weist in mehreren Publikationen auf Nachblutungen unterschiedlichen Schweregrades hin, obwohl es sich bei der TE um einen Routineeingriff handelt. Unabhängig vom Ausmaß und der Lokalisation werden die TE-Nachblutungen in der Regel im stationären Setting behandelt. Bei Kindern ist ein besonders rasches und strukturiertes Vorgehen aufgrund des geringen Blutvolumens erforderlich. Das Auftreten von lebensbedrohlichen Zuständen durch eine Nachblutung führte zur strengen Indikationsstellung in den gültigen Leitlinien für die Tonsillektomie.

In der vorliegenden Arbeit versuchen die Autoren, einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit einer akuten Tonsillitis und dem Risiko einer Nachblutung nach Tonsillektomie bei pädiatrischen Patienten zu bestimmen, die sich einer Tonsillektomie aufgrund rezidivierender Tonsillitis unterzogen. Bei insgesamt 424 eingeschlossenen Kindern im Alter von 2–18 Jahren stellten die Autoren keinen signifikanten Unterschied in der postoperativen Nachblutungsrate zwischen der Gruppe mit 7 oder mehr akuten Tonsillitiden pro Jahr in der Vorgeschichte und der Gruppe mit weniger als 7 Episoden jährlich fest. Des Weiteren weist die von Schafer et al. dargestellte Kaplan-Meier-Kurve vorwiegend auf das Auftreten von Sekundärblutungen (>24 Stunden nach der Operation) hin, wobei 75% der Kohorte eine Nachblutung erst am 9. postoperativen Tag hatten.

Die Studie beinhaltet zwar die Analyse einer großen Patientenkohorte, jedoch liefert sie keine neuen Erkenntnisse zur postoperativen Nachblutung bei einer Tonsillektomie im Kindesalter in Bezug auf die Anzahl der jährlichen Infektionen. Obwohl einige retrospektive Studien [1] [2] darauf hindeuten, dass rezidivierende Tonsillitiden zu einer höheren Rate an Blutungen nach Tonsillektomie führen können, gibt es keine prospektiv veröffentlichten Daten über den Nachweis positiver Abstrichkulturen zum Zeitpunkt der akuten Blutung [3].

Die Limitationen der vorgelegten Arbeit wurden von den Autoren dargestellt – monozentrische Studie mit retrospektivem Design. Darüber hinaus werden Kinder mit Komorbiditäten, wie zum Beispiel Gerinnungsstörungen und neuromuskulären Erkrankungen, gemeinsam mit gesunden Kindern eingeschlossen, ohne diese Komorbiditäten näher zu klassifizieren. Ob die Gerinnungsstörungen präoperativ behandelt wurden, geht aus der Studie ebenfalls nicht hervor.

Interessanterweise zeigte die Studie, dass das Vorhandensein einer neuromuskulären Erkrankung die Wahrscheinlichkeit einer TE-Nachblutung erhöht. Das Nachblutungsrisiko stieg sogar noch mehr, wenn der Patient zusätzlich noch eine schlafbezogene Atmungsstörung hatte. Auch hierfür gab es keine nähere Klassifizierung im Text. Wahrscheinlich handelte es sich um eine kindliche obstruktive Schlafapnoe (OSA). Diesbezüglich gehen die Autoren nicht auf die aktuelle Studienlage ein. Beispielsweise zeigte eine größere Studie aus den USA ganz gegenteilige Ergebnisse zur kindlichen OSA, wobei Kinder mit obstruktiver Schlafapnoe eine geringere TE-Nachblutungsrate im Vergleich zu Kindern mit akuten rezidivierenden Tonsillitiden aufwiesen [1]. Zum Patientenkollektiv mit neuromuskulären Erkrankungen liegen bisher keine Daten zur postoperativen Blutung nach stattgehabter Tonsillektomie vor. Die Pathophysiologie der erhöhten Nachblutungsrate bei dieser Patientengruppe bzw. bei der Koinzidenz der beiden o.g. Erkrankungen ist unklar, und die mögliche Ätiopathogenese hierfür wird von den Autoren der vorliegenden Studie nicht diskutiert.

Fazit

Zusammenfassend zeigt die vorliegende Studie keinen signifikanten Unterschied der Nachblutungsrate nach einer Tonsillektomie im Kindesalter in Bezug auf die Anzahl der akuten Tonsillitiden in der Anamnese. Die Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen haben jedoch scheinbar ein signifikant erhöhtes Nachblutungsrisiko, insbesondere bei Vorliegen einer komorbiden schlafbezogenen Atmungsstörung. Dieses Risiko sollte uns als HNO-Ärzten bewusst sein.



Publication History

Article published online:
04 December 2023

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