MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2022; 26(04): 169-170
DOI: 10.1055/a-1919-4064
Forschung kompakt

Sensomotorische Fähigkeiten bei akuten und subakuten unspezifischen Nackenschmerzen: eine nicht randomisierte prospektive klinische Studie mit Intervention

Sensorimotor Performance in Acute-Subacute Non-Specific Neck Pain: A Non-Randomized Prospective Clinical Trial with InterventionContributor(s):
Daniel Leyser

Zusammenfassung

Physiotherapeutischer Hintergrund

Klar ist, dass bei Personen mit Nackenschmerzen empfohlen wird, kinematische Variablen zu verbessern [1], und dass die passive manuelle Therapie einen nachweisbaren positiven Effekt auf die aktive sensomotorische Kontrolle der Halswirbelsäule (HWS) haben kann [2]. Unklar ist aber, ob unterschiedliche Höhen der Lokalisation der Mobilisation auch einen unterschiedlichen Einfluss auf die sensomotorische Kontrolle haben.


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Fragestellung

Die Studie untersuchte den Einfluss der Höhe der Lokalisation der Mobilisation bei Nackenschmerzen auf Schmerz und sensomotorische Fähigkeiten. Der Einsatz eines Laserziel-Tests, des DidRen Laser-Tests, unterstützte das Forscherteam darin, die sensomotorischen Fähigkeiten in Form von kinematischen Parametern zu erfassen und folgende drei Fragestellungen zu beantworten:

  1. Wie reliabel sind kinematische Parameter bei einer schnellen aktiven Kopfrotation bei gesunden Personen?

  2. Gibt es Unterschiede bezüglich der kinematischen Parameter bei der Kopfrotation zwischen Gesunden und Personen mit akuten bis subakuten unspezifischen Nackenschmerzen?

  3. Haben passive manuelle Mobilisationen der oberen oder unteren HWS-Bereiche einen unterschiedlichen Einfluss auf kinematische Parameter bei der schnellen aktiven Kopfrotation?


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Studiendesign

Die Studie hatte das Design einer nicht randomisierten prospektiven klinischen Studie mit Intervention und wurde von einer Ethikkommission in Brüssel zugelassen.


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Methode

38 Patient*innen aus einer Physiotherapiepraxis in Brüssel und 52 gesunde Proband*innen aus dem Umfeld der sechs Autor*innen wurden im Jahr 2019 rekrutiert. Die Patient*innen füllten die französischen Versionen des Fragebogens „Neck-Disability-Index“ (NDI), des Bournemouth Fragebogens (BQ) und der Tampa Scale of Kinesiophobia (TSK) aus und gaben die Intensität ihrer Nackenschmerzen auf der Numerischen Schmerz-Ratingskala (NPRS) an. Die gesunden Proband*innen füllten diese Fragebögen ebenso aus, außer der TSK.

Anschließend führten alle erstmals den DidRen Laser-Test durch. Bei dem DidRen Laser-Test wurde ein Laserpointer am Kopf befestigt, den die Teilnehmenden so schnell wie möglich auf drei verschiedene 90 cm entfernte Zielpunkte richten sollten. Die Zielpunkte waren so angebracht, dass eine maximale Kopfrotation von 30° bei der Aufgabe erreicht wurde. Die kinematischen Parameter wurden mit einem Sensor (14 €) und einem Mikrokontroller (23 €) gemessen [3]. Ein Test bestand aus fünf Zyklen rechts/links Rotationen. Nach dem Test unterschied sich der weitere Ablauf zwischen den gesunden Proband*innen und den Teilnehmenden mit Nackenschmerzen.

Die Gesunden wiederholten zuerst den DidRen Laser-Test, mit dem später die Reliabilitätswerte berechnet wurden. Im Anschluss wurde das Bewegungsausmaß der aktiven zervikalen Rotation gemessen und die HWS manuell untersucht. Die Proband*innen, bei denen während dieser manuellen Untersuchung Nackenschmerzen festgestellt wurden, wurden von der Studie ausgeschlossen.

Bei der Gruppe mit Nackenschmerzen wurde nach dem ersten Laser-Test das aktive Bewegungsausmaß der aktiven zervikalen Rotation gemessen. Im Anschluss wurden die Teilnehmer*innen manuell mit dem Co–C2 axialen Rotationstest nach Satpute und passiven segmentalen Bewegungstests (PPIVMs & PAIVMs) untersucht, um sie gemäß der Schmerzlokalisation „obere HWS“ (C0–C2) oder „untere HWS“ (C3–C7) einzuteilen und danach im entsprechenden Bereich mit zentralen oder unilateralen passiv akzessorischen intervertebralen Bewegungen posterior-anterior zu behandeln. Sie erhielten so viele Behandlungseinheiten, bis sie mit der Schmerzreduktion zufrieden waren. Nach den Mobilisationen führte diese Gruppe erst den zweiten DidRen Laser-Test aus.

Um die Untersuchungen zu verblinden, überwachte ein erster Untersucher das Ausfüllen der Fragebögen, den DidRen Laser-Test und den aktiven zervikalen Rotationstest für die Beweglichkeit, ein zweiter Untersucher, der gegenüber den Ergebnissen aus der ersten Untersuchung verblindet war, führte die zervikale manuelle Untersuchung und die Mobilisationen aus.


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Einschlusskriterien

In die Gruppe der Patient*innen wurden Personen eingeschlossen, für die galt: Schmerzen < 3 Monate, NDI > 8 %, NPRS > 3.


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Ausschlusskriterien

Für die Patient*innengruppe gab es folgende Ausschlusskriterien: vergangene HWS-OPs, Schwindel bei Nackenbewegungen, ärztlich diagnostizierte Radikulopathie. In der Gruppe der gesunden Proband*innen wurden diejenigen ausgeschlossen, die Nackenschmerzen, Schmerzen an der oberen Extremität oder im vergangenen Jahr Kopfschmerzen hatten, wenn sie bereits wegen einer spinalen Erkrankung in Behandlung waren oder bei der manuellen Untersuchung Schwindel angaben.


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Outcome

Die Berechnung des Intraklassen-Korrelationskoeffizienten (ICC), des Standardmessfehlers (SEM) und des kleinsten nachweisbaren Unterschiedes (MDC) sollte zeigen, ob die Messungen verlässlich genug sind, um Veränderungen abzubilden. Der Effekt der Höhe der Schmerzlokalisation auf die kinematischen Variablen wurde mit der Effektgröße bei ANOVA post-hoc Solm-Sidak berechnet. Auch der Effekt der passiven manuellen Behandlungen sollte mit der Effektgröße nach ANOVA post-hoc Solm-Sidak gezeigt werden.


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Ergebnisse

Von den 38 Patient*innen hatten 17 die Schmerzlokalisation hochzervikal und 21 tiefzervikal. Der ICC für Bewegungsausmaß beim DidRen Laser-Test war 0,57, für die maximale Winkelbeschleunigung 0,95 und die maximale Abbremsung 0,96. Der SEM war 0,58° und jeweils 0,02°s2. Bei der ANOVA-Berechnung zeigte sich, dass sich der Abstand zwischen zwei Extrema der Winkelbeschleunigung bei Patient*innen und gesunden Proband*innen signifikant unterschied. Der Unterschied war geringer als die berechneten Werte für den kleinsten nachweisbaren Unterschied. Es konnte kein Unterschied zwischen den Patientengruppen tiefzervikal und hochzervikal gefunden werden.


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Schlussfolgerung

Für die meisten kinematischen Parameter errechnete die Studie moderate bis gute Reliabilitätswerte. Mit durchschnittlich fünf Terminen über sechs Wochen passiver Manualtherapie ließen sich die Schmerzen deutlich verringern (Median: von 6/10 auf 0/10 NPRS, p < 0,001) und die kinematischen Werte zwar statistisch, aber nicht klinisch signifikant verbessern. Der Unterschied zwischen Patient*innen und gesunden Proband*innen war demnach für eine klinische Relevanz bei den kinematischen Werten zu gering. Der „fehlende“ Unterschied zwischen den Patientengruppen tief- und hochzervikal wird in der Studie mit der möglichen Ungenauigkeit des axialen Rotationstest nach Satpute und der geringen Fallzahl begründet.


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Publication History

Article published online:
12 September 2022

Georg Thieme Verlag KG
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