Laryngorhinootologie 2024; 103(05): 330
DOI: 10.1055/a-2219-0560
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Stimmlippendysfunktion nach Herz-OPs: Früherkennung durch Sonografie“

Rezensent(en):
Rainer Schönweiler

*** Gut zwei Drittel der Kinder nach Aortenbogenoperationen und knapp die Hälfte der Kinder nach Norwood-Herzoperationen erleiden eine iatrogene, stets linksseitige Stimmlippenparese und sind daher nicht nur heiser, sondern auch aspirationsgefährdet. Die Standardmethoden, dies festzustellen, sind für HNO-Ärzt*innen die flexible Nasopharyngoskopie und Laryngoskopie. Damit sind die Erkennung von Seitenasymmetrien der Ab- und Adduktionsbewegungen und auch die Differenzialdiagnose einer Restbeweglichkeit mit hoher Zuverlässigkeit möglich. Im Falle einer entdeckten Stimmlippenminderbeweglichkeit kann die Endoskopie unmittelbar um eine flexible endoscopic Evaluation of Swallowing (FEES) oder eine flexible endoskopische Schluckuntersuchung (FESU) ergänzt werden, wobei man vorab lediglich eingefärbte Test-Boli bereitstellen muss. Damit wären in einem einzigen Untersuchungsdurchgang sowohl die Diagnose, die Ausprägung und die Therapieoptionen geklärt. In der Studie jedoch wurde dieses endoskopische Standardvorgehen erst nach einem auffälligen Stimmlippenultraschallscreening durchgeführt. Warum?

Für „Schluckendoskopien“ gibt es Risiken, auch wenn sie selten auftreten: Verletzungen besonders in den Nasenhaupthöhlen und im Nasenrachen, Epistaxis, besonders bei Antikoagulation, Hustenanfall, Laryngospasmus und Synkopen. Daher sind Einwilligungen der Eltern notwendig. Damit ist die Verwendung als Screening erschwert. Hinzu kommt ein gegenüber Ultraschalluntersuchungen höherer Vor- und Nachbereitungsaufwand. Daher wünschen wir uns eine risikoärmere und weniger aufwendige Methode – damit „punkten“ die Ultraschalluntersuchungen. Sie sind für viele Fragestellungen im Kopf-Hals-Bereich ein Standard, wobei man sich speziell für die Beurteilungen von Bewegungen im Kehlkopfinneren vorab Erfahrungen aneignen muss.

In der Studie wurde das neue Ultraschallscreening bei allen Kindern nach Norwood- und/oder Aortenbogen-OP durchgeführt. Die schluckendoskopische Verifizierung vermuteter Stimmlippenparesen wurde nur bei positiv gescreenten Kindern durchgeführt. Damit gab es bei 3 von 42 Patient*innen, also gut 7%, „Fehlalarm“. Da die Schluckendoskopie nicht bei allen Kindern durchgeführt wurde, konnten natürlich eventuelle falsch negative Ultraschallergebnisse überhaupt nicht quantifiziert werden. Doch es gibt andere Arbeiten, die in der Studie zitiert werden und die Sensitivitäten zwischen 0,84 und 0,95 sowie Spezifitäten zwischen 0,88 und 1,0 publizierten.

Bemerkenswert war, dass bei jedem 5. Kind aus der Gruppe ohne Stimmlippenparesen dennoch Aspirationen festgestellt wurden. Dies bedeutet auch bei negativem Ultraschallscreening eine hohe Aspirationsgefahr. In der Gruppe ohne Stimmlippenminderbeweglichkeit waren natürlich noch viel mehr Kinder von radiologisch festgestellten Aspirationen betroffen, d.h. jedes 2. Kind. Wenn die Aspirationsrisiken nach Aortenbogen- und Norwood-Operationen solche 2-stelligen Prozentwerte annehmen, unabhängig davon, ob sie Stimmlippenparesen davongetragen haben oder nicht, drängt sich die Frage auf, ob statt eines Stimmlippenscreenings durch Ultraschall – mit nur einer „Prädiktion eines Aspirationsrisikos“ – nicht gleich eine Schluckendoskopie mit direktem Nachweis einer Aspiration sinnvoller wäre.

Dies zu entscheiden, erfordert eine Abwägung von Risiken und Kosten genereller postoperativer Schluckendoskopien in Relation zur Machbarkeit und Zumutbarkeit bei einer in der Studie berichteten hohen Mortalität speziell bei der Norwood-OP von über 10%. Bis diese Frage geklärt ist, erscheint mir das vorgeschlagene Ultraschallscreening auf Stimmlippenparesen mit erst nachfolgender Schluckendoskopie (und radiologischer Schluckuntersuchung) als ein vernünftiger Kompromiss, um Komplikationen durch Aspirationen bei herzoperierten Kindern zu verringern.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Mai 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany