Diabetologie und Stoffwechsel 2013; 8(1): 33-34
DOI: 10.1055/s-0032-1330634
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Deutsche Stoffwechselakademie – Ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch zwischen Diabetologen und Kardiologen: Lebensstilmodifikation zur Prävention des Typ-2-Diabetes und der koronaren Herzkrankheit

M. Heni
1   Abteilung Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie, Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik Tübingen
2   Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen (IDM), Mitglied im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD)
,
D. Müller-Wieland
3   Allgemeine Innere Medizin, Diabetes, Gastroenterologie, Endokrinologie, Stoffwechselerkrankungen, Asklepios Klinik St. Georg
,
B. Gallwitz
1   Abteilung Endokrinologie und Diabetologie, Angiologie, Nephrologie und Klinische Chemie, Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik Tübingen
2   Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen (IDM), Mitglied im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD)
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Publication Date:
15 February 2013 (online)

Im Sommer letzten Jahres fand zum zweiten Mal die Deutsche Stoffwechselakademie statt. Die von Roche und einem interdisziplinären unabhängigen Expertengremium initiierte und von Roche getragene Stoffwechselakademie hat zum Ziel, auf der einen Seite wissenschaftlichen Austausch über die Grenzen der verschiedenen Fachdisziplinen (Diabetologie, Kardiologie, Lipidologie, Hypertensiologie) hinweg zu fördern. Weiter soll die Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse in die klinische Praxis gefördert und evaluiert werden, ggf. auch unter der Einbindung verschiedenster Akteure aus Wissenschaft, regionaler Gesundheitsversorgung, Krankenkassen und Politik. Für die Erstellung des Programms für alle Veranstaltungen ist die Expertenrunde aus Diabetologen, Kardiologen und Lipidologen verantwortlich, die 2011 gegründet wurde. Die ca. 25 eingeladenen „Fellows“ sind förderungswürdige Stoffwechselexperten, die kurz vor dem Facharzt oder der Habilitation stehen. Sie sind durch einige Arbeiten im eigenen Arbeitsgebiet schon bekannt, waren bisher aber vor allem in einer Fachgruppe tätig und haben selten interdisziplinär gearbeitet. Die eineinhalbtägigen, einmal jährlich stattfindenden Tagungen der Fellows laufen nach einem definierten Programm mit Impulsvorträgen durch die Experten, Kurzvorträgen durch die Fellows, Workshops mit Gruppenarbeit und Methodenseminaren ab. Des Weiteren stellen Teilnehmer ihre Originalarbeiten vor und diskutieren diese. Zusätzlich zu rein fachlichen Vorträgen gibt es eine topaktuelle „Dinnerspeech“ von renommierten Experten zu den unterschiedlichsten – auch gesellschaftlichen oder politischen – Themen. Dieser Austausch über die eigene Fachgrenze hinweg hat in den Teilnehmern in den letzten beiden Jahren neue Blickwinkel auf wissenschaftliche und klinisch-praktische Fragen eröffnet und zu neuen Kooperationen zwischen Wissenschaftlern mit unterschiedlichen Schwerpunkten geführt.

Ein wichtiges Diskussionsthema im vergangenen Jahr waren Möglichkeiten der nicht pharmakologischen Prävention von Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen. Für Typ-2-Diabetes mellitus haben mehrere große Studien gezeigt, dass durch Lebensstilmodifikation eine effektive Prävention möglich ist. In der letzten Ausgabe von Diabetologie und Stoffwechsel wurde hierzu ein umfangreicher aktueller Überblick gegeben [1]. In den großen Studien mussten etwa 7 Personen an einer Lebensstilintervention teilnehmen, um einen Diabetesfall zu verhindern. Diese „Number needed to treat“ lag damit etwa im Bereich von pharmakologischen Interventionen [1]. Interessanterweise sind solche Präventionsprogramme längerfristig nicht nur wirksam, sondern auch kosteneffektiv [2]. Die Teilnehmer der Stoffwechselakademie waren sich entsprechend einig, dass strukturierte Programme dringend in die Praxis umgesetzt werden müssen, um Typ-2-Diabetes zu verhindern und Kosten im Gesundheitssystem einzusparen.

Diskutiert wurde auch die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen gleich gut von Lebensstilintervention profitieren. Offensichtlich gibt es Non-Responder, deren Diabetesrisiko trotz optimaler Mitarbeit durch Lebensstilmodifikation nur wenig beeinflusst wird. Hierfür verantwortliche Mechanismen sind im Moment Gegenstand intensiver Forschungsarbeit und beinhalten wahrscheinlich Aspekte des Körperaufbaus [3] und auch verschiede genetische Faktoren [4] [5]. Auch die Frage, wie das Risiko von solchen Non-Respondern günstig beeinflusst werden könnte, wird im Moment erforscht und ist noch weitgehend unbeantwortet. Vorherrschende Meinung bei der Stoffwechselakademie war, dass Forschung auf diesem Gebiet dringend notwendig ist. Untersucht werden sollte auch, wie der Erfolg von Lebensstil-Intervention vorhergesagt werden kann und bei welchen Hochrisiko-Patienten zusätzliche medikamentöse Ansätze sinnvoll sein können.

Ein weiterer Aspekt der Stoffwechselakademie war die Frage, inwieweit nicht pharmakologische Ansätze auch in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen sinnvoll sind. Insbesondere für die koronare Herzkrankheit (KHK) gibt es klare Daten für eine präventive Wirkung von Lebensstilmodifikation (z. B. [6] [7] [8]). Die Teilnehmer der Stoffwechselakademie betonten, dass insbesondere Nikotinverzicht, Ernährungsumstellung und moderate körperliche Aktivität direkt und indirekt über den dadurch erzielten Gewichtsverlust das kardiovaskuläre Risiko und auch die Mortalität günstig beeinflussen können. Wirksam sind solche Ansätze sowohl in der Primärprävention als auch in der Sekundärprävention, d. h. bei Patienten mit bereits bekannter KHK [6] [7] [9]. Auch zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen sollten Lebensstilprogramme also viel stärker als bisher eingesetzt werden. Auch wenn die „Number needed to treat“ von Lebensstilmodifikation zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse in der Größenordnung von häufig eingesetzten Medikamenten liegt [10], kann sie diese keinesfalls ersetzen. Vor allem in der Sekundärprävention sollten nicht pharmakologische Präventionsmaßnahmen zusätzlich zu bewährten Medikamenten empfohlen werden.

Die Teilnehmer der Stoffwechselakademie waren sich einig, dass weitere Forschung auch zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen wichtig ist. Untersucht werden sollte insbesondere, welche Programme am effektivsten sind, wie Patienten erfolgreich motiviert werden können, und ob es auch hierbei Non-Responder gibt. Zudem sind weitere Untersuchungen notwendig, um die zugrunde liegenden Mechanismen für die beobachteten günstigen Effekte besser zu verstehen und effektiv nutzen zu können.

Zusammenfassend wurde in den Diskussionen klar, dass Lebensstilmodifikation sehr effektiv und kostengünstig in Prävention und Therapie von Typ-2-Diabetes mellitus, KHK und anderen kardiovaskulären Erkrankungen eingesetzt werden kann. Um eine breite Umsetzung in der klinische Praxis zu ermöglichen, müssen in Medizin und Gesellschaft entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

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M. Heni
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D. Müller-Wieland
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B. Gallwitz
 
  • Literatur

  • 1 Fritsche A, Stefan N. Prävention des Typ-2-Diabetes. Diabetologie und Stoffwechsel 2012; 7 (06) 51-60
  • 2 Diabetes Prevention Program Research Group. The 10-year cost-effectiveness of lifestyle intervention or metformin for diabetes prevention: an intent-to-treat analysis of the DPP/DPPOS. Diabetes Care 2012; 35 (04) 723-730
  • 3 Stefan N, Fritsche A, Häring HU. Individualized prevention of type 2 diabetes. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2009; 52 (07) 677-682
  • 4 Müssig K, Heni M, Thamer C et al. The ENPP1 K121Q polymorphism determines individual susceptibility to the insulin-sensitising effect of lifestyle intervention. Diabetologia 2010; 53 (03) 504-509
  • 5 Haupt A, Thamer C, Heni M et al. Gene variants of TCF7L2 influence weight loss and body composition during lifestyle intervention in a population at risk for type 2 diabetes. Diabetes 2010; 59 (03) 747-750
  • 6 Mann JI. Diet and risk of coronary heart disease and type 2 diabetes. Lancet 2002; 360 (9335) 783-789
  • 7 Thompson PD, Buchner D, Pina IL et al. Exercise and physical activity in the prevention and treatment of atherosclerotic cardiovascular disease: a statement from the Council on Clinical Cardiology (Subcommittee on Exercise, Rehabilitation, and Prevention) and the Council on Nutrition, Physical Activity, and Metabolism (Subcommittee on Physical Activity). Circulation 2003; 107 (24) 3109-3116
  • 8 Kromhout D, Menotti A, Kesteloot H et al. Prevention of coronary heart disease by diet and lifestyle: evidence from prospective cross-cultural, cohort, and intervention studies. Circulation 2002; 105 (07) 893-898
  • 9 Scrutinio D. The potential of lifestyle changes for improving the clinical outcome of patients with coronary heart disease: mechanisms of benefit and clinical results. Rev Recent Clin Trials 2010; 5 (01) 1-13
  • 10 Iestra JA, Kromhout D, van der Schouw YT et al. Effect size estimates of lifestyle and dietary changes on all-cause mortality in coronary artery disease patients: a systematic review. Circulation 2005; 112 (06) 924-934