Laryngorhinootologie 2001; 80(6): 353
DOI: 10.1055/s-2001-15081
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Untersuchungen zur Bedeutung sprachevozierter Hirnrindenpotenziale in der objektiven Audiometrie

Studies on the Importance of Speech Evoked Cortex Potentials in Objective AudiometryF. Rosanowski
  • Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie (Vorstand: Prof. Dr. Dr. U. Eysholdt), Klinikum der Universität Erlangen-Nürnberg
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Objektive, d. h. von der Mitarbeit des Patienten unabhängige Methoden zur Erfassung des Sprachverständnisses für klinische Fragestellungen fehlen bisher. In aller Regel ist dafür im Rahmen umfangreicherer neuropsychologisch-neurophysiologischer Untersuchungsdesigns die Mitarbeit des Untersuchten erforderlich, und die Verfahren sind insofern „subjektiv”. Auf diese diagnostische Lücke zielte das mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Vorhaben „Untersuchungen zur Bedeutung sprachevozierter Hirnrindenpotenziale in der objektiven Audiometrie”.

In einer ersten Versuchsreihe an gesunden Probanden wurde untersucht, ob durch Sprachreize spezifische Hirnrindenpotenziale generiert werden können, die sich von rauschreizevozierten Potenzialen unterscheiden. Dies konnte verifiziert werden:

Die Differenzkurve aus Sprach- und Rauschreizantwort hatte nach 170 ms eine charakteristische negative Halbwelle („N 170”). Die N 170 ist kein Ausdruck des Verstehens der Bedeutung des jeweiligen Testwortes, da sie grundsätzlich vor der vollständigen Präsentation des jeweiligen Testwortes auftrat. Die N 170 unterscheidet sich nach wesentlichen Gesichtspunkten, nämlich dem Untersuchungsablauf, den Reizparadigmen und nach ihrer Latenz eindeutig von anderen ereigniskorrelierten Potenzialen. Der Vergleich mit Literaturdaten legt die Interpretation der N 170 als bloßes Abbild eines Lautüberganges nicht nahe. Die N 170 ist wohl eher in elektrophysiologisches Korrelat der Unterscheidung zwischen Sprache und Nicht-Sprache.

Der mögliche klinische Stellenwert wurde zunächst an Patienten mit manifesten aphasischen Syndromen überprüft. Dabei zeigte sich eine Veränderung der N 170 je nach Schwerpunkt und Ausmaß der mit der Aphasie assoziierten Sprachverständnisstörung. Diese Befunde stützt die auf der Basis der an Gesunden erhobenen Befunde aufgestellte Hypothese zur Bedeutung der N 170.

In einer weiteren Untersuchungsreihe an Patienten mit einem Stottersyndrom wurden ebenfalls Veränderungen der N 170 gemessen. Diese Befunde sprechen für eine organische, zentralnervöse Stotterursache und relativieren die Annahme einer psychischen Genese des Stotterns.

Mittels mehrkanaliger Ableitungen wurde versucht, die den Potenzialen zu Grunde liegenden intrazerebralen Dipolquellen zu lokalisieren und zu quantifizieren. Dabei konnten keine festen Regeln erkannt werden, nach denen sich - je nach Stimulusart, nach Stimulationsseite und nach Händigkeit - die Dipolquellen verhielten.

Mittlerweile durchgeführte weitere Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass die N 170 Reifungsprozessen unterliegt und im Adoleszentenalter ab etwa 14 Jahren Latenzen im Bereich Erwachsener erreicht. Befunde an Kindern und Jugendlichen mit einer Legasthenie unterstreichen den Wert des Verfahrens für die klinische Diagnostik der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung in dieser Altersgruppe.

PD Dr. F. Rosanowski

Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie
Klinikum der Universität Erlangen-Nürnberg

Bohlenplatz 21, 91054 Erlangen

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