Geburtshilfe Frauenheilkd 1987; 47(8): 518-524
DOI: 10.1055/s-2008-1035865
Originalarbeiten

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geburtshilfliches Management bei schwerer fetaler Wachstumsretardierung*

Ergebnisbericht anhand von 278 Neugeborenen mit schwerer Dystrophie der Jahrgänge 1970-1985Obstetrical Management in Severe Foetal Growth RetardationReport on Results of a Study on 278 Newborn with Severe Dystrophy Born Between 1970 and 1985A. Bolte, U. Fuhrmann, W. Hamm, M. Kusche, K.-H. Schlensker, B. Stenzel
  • (Universitäts-Frauenklinik Köln, Direktor: Prof. Dr. A. Bolte)
* Auszugsweise vorgetragen während der 46. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Düsseldorf 1986
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
17. Juni 2008 (online)

Zusammenfassung

Am Geburtengut der Universitäts-Frauenklinik Köln der Jahrgänge 1970 - 1985 werden die Entbindungsmodalitäten bei nachgewiesener schwerer fetaler Wachstumsretardierung und die Auswirkungen der ausgeprägten Dystrophie des Neugeborenen (≦ 3. Gewichtsperzentile) auf die perinatale Sterblichkeit, die Asphyxierate und neonatale Komplikationen erörtert. Unter Berücksichtigung der im Verlauf des letzten Jahrzehnts optimalen diagnostischen Möglichkeiten erfolgten die Untersuchungen aufgegliedert in die Jahrgänge 1970 - 1975 und 1976 - 1985. Bei vorrangig sonographisch nachgewiesener schwerer fetaler Wachstumsretardierung erfuhr die primäre Schnittentbindung eine Zunahme von 10 auf 38%, während die Indikation zur Geburtseinleitung von 25% auf 6% deutlich rückläufig war. Die erwünschte leichte Abnahme der Inzidenz pränatal schwer dystropher Neugeborener von 1,6 auf 1,2% wird als Beginn der Auswirkung des Ultraschall-Screenings im Schwangerschaftsverlauf angesehen.

Die höhere perinatale Mortalität der schwer dystrophen Neugeborenen der Jahrgänge 1976 - 1985 wird mit der angewachsenen Häufigkeit stark untergewichtiger, dystropher Neugeborener (<1000 g) von 1,3% (1970 - 1975) auf 10,4% (1976 - 1985) erklärt. Wird die perinatale Sterblichkeitsrate um diese sehr kleinen dystrophen Frühgeborenen bereinigt, so ergibt sich für beide Jahrgangskollektive mit 3,3% bzw. 3,2% eine etwa gleich große perinatale Mortalität.

Unter den schwer dystrophen Neugeborenen traten bei Vergleich der beiden Jahrgangsgruppen deutliche Unterschiede hinsichtlich des von der Schwangerschaftsdauer abhängigen Reifegrades und der Geburtsgewichte auf. Während 1970 - 1975 noch 85% der dystrophen Kinder nach der 37. Schwangerschaftswoche, d.h. reif-dystroph, geboren wurden und nur 15% zusätzlich die Zeichen der Unreife aufwiesen, waren im Kollektiv der Jahrgänge 1976 - 1985 66% der Kinder reif-dystroph und ein Drittel zusätzlich zur Dystrophie unreif. Dementsprechend verminderten sich sowohl die mittlere Schwangerschaftsdauer als auch die mittleren Geburtsgewichte der dystrophen Frühgeborenen von 35,8 auf 33,8 Schwangerschaftswochen sowie von 1477 g auf 1238 g, während reifdystrophe Neugeborene in beiden Jahrgangskollektiven keine signifikanten Unterschiede aufwiesen.

Trotz des erheblichen Anstiegs der Sektiofrequenz - bei den reif-dystrophen Neugeborenen von 16 auf 30% und bei den dystrophen Frühgeburten von 32 auf 75% -, war bei den dystrophen Frühgeburten eine leichte Zunahme der perinatalen Sterblichkeit von 14 auf 20% zu verzeichnen, die allerdings zu Lasten der sehr leichten dystrophen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1000 g infolge der bekannten größeren neonatologischen Probleme ging. Die perinatale Mortalität der reifdystrophen Neugeborenen war unabhängig vom Geburtsgewicht in beiden Kollektiven mit 2,4 bzw. 2,6% gleich groß. Die durch Apgar-Wert und arteriellen Nabelschnur-pH gemessene Asphyxierate stellte sich im Geburtengut der Jahrgänge 1976 - 1985 deutlich besser dar, sie verminderte sich bei den dystrophen Frühgeborenen von 64 auf 45% und war bei den reif-dystrophen Neugeborenen mit 18% in beiden Jahrgangsgruppen gleich groß.

Die während der Neonatalperiode auftretenden und besonders bei den extrem untergewichtigen dystrophen Neugeborenen häufigen und zu einem Teil unvermeidbaren Komplikationen wie Sepsis, Langzeitbeatmung, zerebrale Blutungen und Fälle von Spontanpneumothorax limitieren die Erfolgschancen bei der Behandlung der frühzeitig auftretenden schweren Wachstumsretardierung. Der im eigenen Untersuchungsgut beobachtete Anstieg der Komplikationsrate von 14 auf 41% macht nicht nur die Notwendigkeit zu einer Verbesserung der neonatalen Intensivmedizin deutlich, sondern zeigt zumindest ebenso eindrücklich auch die Grenzen der peri-neonatologischen Bemühungen. Einerseits sollte die möglichst frühzeitige Diagnostik der pränatalen Wachstumsretardierung zu einer Verminderung der schweren Neugeborenendystrophie führen, andererseits findet aber die Behandlung, die bisher nur in einer vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung bestehen kann, ihr natürliches Limit nach einer Schwangerschaftsdauer, die ein Mindestgeburtsgewicht um oder nur möglichst wenig unter 1000 g erwarten läßt. Dies schließt nicht aus, daß heute in einzelnen peri-neonatologischen Zentren gute Erfolge bei noch wesentlich untergewichtigeren Neugeborenen erzielt werden.

Abstract

The article discusses and reviews the obstetrical modalities in confirmed severe growth retardation and the effects exercised by marked dystrophy of newborn (≦3rd percentile of weight) at the Department of Gynaecology of the University of Cologne between 1970 and 1985 on perinatal mortality, rate of asphyxiation and neonatal complications. In view of the optimal diagnostic possibilities available during the past decade, the examinations were subdivided into two groups (1970 - 1975 and 1976 - 1985). In severe foetal growth retardation - mainly confirmed sonographically - the proportion of primary Caesarcan sections increased from 10% to 38%, whereas indication for inducing labour clearly dropped from 25% to 6%. The desired slight reduction in incidence of prenatally severely dystrophic newborn from 1.6% to 1.2% is regarded as the beginning of the effect of ultrasound screening during pregnancy.

The higher perinatal mortality of the severely dystrophic newborn of the years 1976 - 1985 is explained by the increased incidence of dystrophic newborn who are considerably underweight (<1000 g) from 1.3% (1970 - 1985) to 10.4% (1976 - 1985). If perinatal mortality rate is corrected accordingly, perinatal mortality for both groups is about equal, namely, 3.3% and 3.2% respectively.

Among the severely dystrophic newborn there were distinct differences on comparing the two groups in respect of the degree of maturity depending on the pregnancy period, and of the weight at birth. In 1970 - 75 85% of the dystrophic children were born after the 37th pregnancy week, i.e. mature-dystrophic, and only 15% showed in addition the signs of immaturity. In the 1976 - 1985 group 66% of the children were mature and dystrophic and one-third immature in addition to dystrophy. Correspondingly, both the mean pregnancy period and the mean birth weights of the dystrophic premature newborn dropped from 35.8 to 33.8 pregnancy weeks and from 1477 to 1238 g, respectively, whereas mature dystrophic newborn did not show any significant differences in both groups. Despite the considerable increase in the incidence rate of Caesarean sections - in the mature dystrophic newborn from 16% to 30% and in the dystrophic premature newborn from 32% to 75% - the dystrophic premature newborn showed a slight increase in perinatal mortality from 14 to 20%, which, however, was mostly represented by the extremely lightweight dystrophic premature neonates with a birth weight of less than 1000 g, since with these newborn the neonatological problems were of course greater. The perinatal mortality of the mature dystrophic newborn was equally high in both groups (2.4% and 2.6% respectively) independent of the weight at birth. The asphyxiation rate measured by the Apgar score and arterial umbilical cord pH was clearly better in the newborn during 1976 - 1985; with the dystrophic premature births it dropped from 64% to 45% and was equally great in both groups for the mature dystrophic newborn, namely, 18%.

Complications such as sepsis, long-term artificial respiration, cerebral haemorrhages and incidence of spontaneous pneumothorax, which occur during the neonatal period and are particularly frequent with the extremely underweight dystrophic newborn and partly even unavoidable, limit the chances of success of the treatment of early severe growth retardation. The increase in the complication rate from 14 to 41% observed in our own patient material underlines not only the need for an improvement in neonatal intensive-care medicine but also the limitations of peri-neonatological efforts. On the one hand, earliest possible diagnosis of prenatal growth retardation should lead to a reduction of the incidence of severe newborn dystrophy, whereas on the other hand the treatment - which so far can only consist in early termination of pregnancy - has a natural limit after a pregnancy period which leads one to expect a minimum birth weight around or as slightly as possible below 1000 g. This does not exclude that today good successes can be achieved in some perineonatological centres even with newborn who are much more significantly underweight.