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DOI: 10.1055/a-1245-6148
Arzneipflanzen bei Covid-19
Silveira D, Prieto-Garcia JM, Boylan F Estrada O, Fonseca-Bazzo YM, Jamal CM, Magalhães PO, Pereira EO, Tomczyk M, Heinrich M. COVID-19: Is there evidence for the use of herbal medicines as adjuvant symptomatic therapy? Front Pharmacol 2020; 11: 581840. doi:10.3389/fphar.2020.581840
Eine vom Text sehr umfangreiche, aktuelle Übersichtsarbeit beschäftigt sich mit der für die Phytotherapie sehr wichtigen Frage, welche Arzneipflanzen zur symptomatischen Begleittherapie von Covid-19-Erkrankungen empfohlen werden können. Es werden einleitend einige vorherige Empfehlungen genannt und dann unter Methodik Kriterien dieser Bewertung dargestellt, welche sich auf in Europa verwendete Heilpflanzen konzentriert und dann Evidenz und Risiko abwägt im Verhältnis zu üblichen chemisch definierten „symptomatischen Grippemitteln“. Evidenz und Risiko werden nach gängigen Kriterien bewertet, die dennoch relativ ausführlich abgehandelt werden. Deren Kombinationen werden dann zu 4 möglichen Bewertungen zusammengeführt: „positive“, „promising“, „negative“ und „unknown“.
Im Ergebnisteil beginnen die Autoren mit einer analogen Bewertung von 3 Vertretern aus den auch zur symptomatischen Behandlung von Erkältungen eingesetzten chemischen Stoffgruppen. Ibuprofen wird mit hoher Evidenz eingeordnet, obwohl keine entsprechende klinische Studie zu Ibuprofen genannt wird. Auch für andere NSAID heißt es nur: „However, there is no clear evidence of their effect in easing respiratory symptoms.” Ibuprofen erhält aber wegen seiner Nebenwirkungen und einer möglichen Thrombozytenaggregationshemmung ein „medium“ bezüglich Sicherheit. Codein wird mit niedriger Evidenz eingeordnet und die Sicherheit sei wegen schweren Nebenwirkungen gering. Paracetamol wird auch mit niedriger Evidenz eingeordnet und erhält wegen Nebenwirkungen im Respirationstrakt und Lebertoxizität eine niedrige Sicherheitsbewertung.
Es werden dann die einzelnen Pflanzen, immerhin 30, nach analogen Maßstäben abgearbeitet. Der Duktus und die Ableitung des jeweiligen Overall assessments der einzelnen Pflanzen wirken mitunter etwas unausgewogen bzw. willkürlich. So wird sehr oft angegeben, dass die Pflanze einen „soothing“ Effekt (beruhigend) auf den Respirationstrakt habe. Bei lokalen Schleimdrogen würde ich diese ungenaue Formulierung akzeptabel finden. Allerdings verwundert dann jedoch bei der Schleimdroge Spitzwegerich eine andere Formulierung und ein im Methodenteil nicht angekündigter Einfluss auf die Bewertung durch präklinische Ergebnisse: „… there are enough preclinical evidences to allow the use of this herbal medicine to relieve respiratory symptoms through exerting an expectorant and anti-inflammatory effect.“
Die Autoren werten an anderen Stellen alte pharmakologische Arbeiten sehr hoch, z. B. bei Ocimum gratissimum -Blättern: „…but its preclinical evidence and safety profile may allow the potential use in the relief of early symptoms of COVID-19.“
Bei einem Arzneimittel aus Pelargonium-sidoides-Wurzeln werden ausschließlich klinische Studien zur symptomatischen Behandlung genannt, im Overall assessment wird dann unvermittelt eine präventive Wirkung überraschenderweise auch als Immunstimulans als gegeben dargestellt: „Umkaloabo may be useful in the symptomatic relief of respiratory symptoms through exerting a soothing effect on the respiratory tract. A relatively large number of clinical studies and a series of meta-analyses provide evidence that Umkaloabo preparations seem to be efficacious both in the treatment (reducing symptoms and duration) and prevention of the common cold. However, it must be discontinued to avoid immunostimulation in complications in later phases of the disease. The clinical evidence is High, and this herbal medicine is considered presenting Medium safety.“
Bei Anis wird die klinische Evidenz hoch bewertet, obwohl nur eine klinische Studie zu Asthma bronchiale genannt wird: „Its traditional use as cough therapy in the context of upper respiratory conditions is not backed up by robust clinical data profile, but its safety profile allows for potential use in the relief of early symptoms of COVID-19. The clinical evidence may be considered High.“
Und die Lindenblüte wirke nun antiinflammatorisch: „Tilia cordata is not clinically proven to provide symptomatic relief of flu symptoms. However, this herbal medicine may be useful in the relief of respiratory symptoms through an anti-inflammatory effect.“
Anschließend werden weitere Heilpflanzen gebracht, nämlich solche ohne Monografien. Nach 24 Seiten folgt eine nach Abschnitten unterteilte Diskussion. Zunächst wird der Umgang verschiedener Fachgesellschaften bzw. nationaler Behörden mit Empfehlungen zur Covid-19-Behandlung gebracht. Dabei wird deutlich, dass es in Europa im Gegensatz zu asiatischen und anderen Ländern bislang kaum Empfehlungen für Heilpflanzen gibt.
In [Tabelle 4] der Originalarbeit wird das Vorgehen der Arbeitsgruppe deutlicher.
(1) Grading as per Table 1; (2) As per Table 3; (a) Products with less than 0.6 % allicin content are safe (Scharbert G et al., 2007); (*) Clinical experiment in SARS patients (Vahdat Shariatpanahi et al., 2013).
Es wird nun eine weitere, etwas willkürlich erscheinende Bewertung von Heilpflanzen im Vergleich zur schlechten „Baseline“ von den eingangs gebrachten chemischen Mitteln vorgenommen. „According to this ‘baseline’, five herbal medicines were found as potentially valid candidates in managing early or mild symptoms of cold, flu and bronchitis in the context of COVID-19 as they provide with ample safety margins and good evidence for efficacy: Althaea officinalis, Commiphora molmol, Glycyrrhiza glabra, Hedera helix , and Sambucus nigra .“ Es ergeben sich weitere 12 Heilpflanzen als vielversprechend und noch 4 für Asthma! Alle anderen Pflanzen fehle klinische und „präklinische“ Evidenz.
Bei der Diskussion über die Limitationen weisen die Autoren auf ihre legalistische Vorauswahl von für Erkältung zugelassenen Heilpflanzen hin. Weitere schön gegliederte Aspekte der Diskussion beziehen sich auf die Evidenz und Sicherheit im Kontext von Covid-19, beispielsweise die eine natürliche Immunabwehr störenden Antiphlogistika. Es folgen wichtige und interessante Hinweise zu möglichen Interaktionen von Pflanzen mit dem Virus.
Insgesamt bezeichnen die Autoren ihr Verfahren als „valide“, obwohl die Bewertungen noch einer externen Validierung bedürften.
Publication History
Article published online:
03 December 2020
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