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DOI: 10.1055/a-1920-8252
Reform der Notfallversorgung
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Im Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2018 [1] wird auf einen negativen Trend hingewiesen, der einer Reform bedarf: „Ambulant gut behandelbare Patienten nehmen vermehrt direkt den Rettungsdienst und die Kliniken in Anspruch und blockieren so mit vergleichsweise harmlosen Beschwerden spezialisierte Behandlungskapazitäten“. Eine Situation, die sich in den nachfolgenden Jahren intensivierte und heute ein weiterhin gravierendes Problem gerade im Bereich des Rettungsdienstes ist. Die ungefilterte Inanspruchnahme des Rettungsdienstes bei Bagatellfällen führt zu einer Fehlsteuerung und Überlastung des Systems, insbesondere vor dem Hintergrund des fehlenden Personals.
Das Gutachten schlug als Lösung des Problems eine telefonische Ersteinschätzung vor und die Gründung integrierter Notfallzentren zur Selektion in ambulante und stationäre Versorgung. Dem folgte das Bundesgesundheitsministerium 2019 mit der Vorlage eines Referentenentwurfes [2], der von einem gemeinsamen Notfallleitsystem sprach, das über die 112 und die 116 117 zu erreichen sein sollte. Dieses soll in Zukunft die zentrale Leitfunktion für Hilfesuchende in medizinischen Notfallsituationen übernehmen. Der Entwurf wurde intensiv und kontrovers zwischen den verschiedenen Institutionen wie z. B. der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft diskutiert. Eine Regierungskommission hat nunmehr die Aufgabe, eine Gesamtreform vorzubereiten. Diese soll dafür sorgen, die bisher weitgehend getrennt organisierten Bereiche der ambulanten, rettungsdienstlichen und stationären Notversorgung zu einem integrierten System zusammenzufügen. Die letzte Bundesregierung erteilte dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag aufgrund eines Änderungsantrages zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG), ein entsprechendes Konzept für die Ersteinschätzung bis zum Termin Juli 2022 zu erarbeiten.
Durch die Coronapandemie geriet dieser Auftrag ein wenig in den Hintergrund und wurde erst jetzt in einem Unterausschuss des G-BA wieder aufgegriffen. In einem Beschlussentwurf wurden nunmehr 4 verschiedene Vorschläge (A–D) zur Gestaltung des Ersteinschätzungsverfahrens unterbreitet [3]. Ihnen gemeinsam ist, dass die Ersteinschätzung für die Patienten in einem Krankenhaus durch medizinisches Fachpersonal – auch Notfallsanitäter – mittels eines standardisierten Ersteinschätzungsinstrumentes durchgeführt werden soll. Das digitale System – entweder am Telefon oder am Tresen der Notaufnahme – soll die Dringlichkeit der Behandlung nach einer speziellen Skala festlegen und dann Empfehlungen für die ambulante oder stationäre Versorgung geben.
Die Varianten A–D unterscheiden sich bezüglich des Ablaufes und der Zuordnung zu den bestimmten Versorgungsebenen. Die Dringlichkeit wird in die Stufen 1 bis 5 eingeteilt. In der Variante A soll der Patient entweder in der „Portalpraxis“ des Krankenhauses behandelt werden oder in einer (Partner-)Praxis, in der der Arzt entscheidet, in welchem Zeitraum diese durchgeführt werden soll. Die Praxis muss in 30 Minuten mit dem Auto erreichbar sein. In der Variante B soll ärztliches Personal prüfen, ob eine Weiterleitung der Stufen 4–5 in eine ambulante Praxis vertretbar ist, wobei in der Zeit zwischen 19 und 7 Uhr keine Weiterleitung erfolgen sollte. Bei der Variante C sollen Patienten der Stufe 1–3 im Krankenhaus und 4–5 im ambulanten Bereich behandelt werden. Bei der Variante D werden Patienten der Stufe 4–5 entweder in der Portalpraxis des Krankenhauses behandelt oder in die ambulante Praxis weitergeleitet, wobei ein weiteres Kriterium die zumutbare Entfernung der Praxis ist.
Kritik gibt es an der Reihenfolge der Reformmaßnahmen: dass die Ersteinschätzung vor der Vorlage einer Gesamtreform erfolgen soll. So lange nicht geklärt ist, welches Leistungsspektrum die unterschiedlichen Versorgungsebenen haben sollen, ist ein Gesamtkonzept nicht sinnvoll. Verschiedene Forderungen in Hinblick auf die Anlaufstellen in den Krankenhäusern und die Dienstbereitschaft der vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen stehen im Raum. Die zeitlichen Vorgaben nach der Coronapandemie sind ehrgeizig vor dem Hintergrund der verschiedenen Sichtweisen der beteiligten Institutionen und der knappen Ressourcen.
Zur Verwirrung trägt u. a. die Nomenklatur des Zielprojektes – des Patienten – bei, der durchgehend als Notfallpatient bezeichnet wird. Patienten, die einer ambulanten, evtl. auch noch aufgeschobenen Behandlung bedürfen, stellen per definitionem keine Notfallpatienten dar, sondern, wenn überhaupt, „Akutpatienten“.
Publication History
Article published online:
10 October 2022
© 2022. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Gutachten 2018 – Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. Accessed August 08, 2022 at: https://www.svr-gesundheit.de/gutachten/gutachten-2018/
- 2 Bundesgesundheitsministerium. Referentenentwurf: Gesetz zur Reform der Notfallversorgung. Accessed August 08, 2022 at: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/detail/gesetz-zur-reform-der-notfallversorgung.html
- 3 Kurz C, Osterloh F. Ersteinschätzungsverfahren: Vier Konzepte liegen vor. Dtsch Arztebl Ausg A 2022; 119: A1120-1121