Rehabilitation (Stuttg) 2010; 49(1): 60-61
DOI: 10.1055/s-0029-1246156
Bericht

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Schnittstellen in der Rehabilitation: Koordination und Management – Ergebnisse des GfR-SAT-BBS-Symposiums am 6.11.2009 in Halle (Saale)

Rehabilitation Interfaces: Coordination and Management – Results of the GfR-SAT-BBS-Symposium, Nov. 6, 2009 in Halle (Saale)L. Beck1 , J. Lamprecht1
  • 1Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Thüringen (SAT), c/o Institut für Rehabilitationsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Publication Date:
22 February 2010 (online)

Am 6. November 2009 fand das jährlich von der Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften (GfR) veranstaltete rehabilitationswissenschaftliche Symposium in Halle (Saale) statt. Es wurde in diesem Jahr ausgerichtet vom Forschungsverbund Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Thüringen (SAT) in Kooperation mit dem Rehabilitationswissenschaftlichen Verbund Berlin, Brandenburg und Sachsen (BBS) und der Martin-Luther-Universität (MLU) Halle-Wittenberg. Die Veranstaltung zum Thema „Schnittstellen in der Rehabilitation – Koordination und Management” stand unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Wilfried Mau (geschäftsführender Sprecher des SAT) sowie von Prof. Dr. Michael Linden (Sprecher des BBS).

Zur Eröffnung wurden 150 Teilnehmer von Dr. Ina Ueberschär (Mitglied der Geschäftsführung der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland), Dr. Axel Reimann (Vorstandsvorsitzender der GfR), Prof. Dr. Bernd Six (Prorektor der MLU Halle-Wittenberg) und Prof. Dr. Wilfried Mau begrüßt. Anschließend wurden in drei inhaltlichen Themenblöcken die Ergebnisse überregional relevanter Projekte der beiden Forschungsverbünde präsentiert. Die ausführlichen Diskussionen zu den Themenblöcken fokussierten auf den Praxistransfer mit konkreten Erfordernissen der Koordination und des Managements an zentralen Schnittstellen der Rehabilitation in den nächsten fünf Jahren aus der Perspektive von Leistungsträgern, Leistungserbringern und Wissenschaftlern.

Der erste Themenblock bezog sich auf Verfahrensabläufe zur Feststellung des Reha-Bedarfs, des Reha-Zugangs sowie auf Steuerungsprozesse innerhalb von Reha-Kliniken. Prof. Dr. Matthias Morfeld (Hochschule Magdeburg-Stendal, Rehabilitationspsychologie) stellte aus dem Norden von Sachsen-Anhalt bevölkerungsbezogene Reha-Bedarfsanalysen bei Personen im Alter von über 55 Jahren mit Hüft- oder Kniegelenkarthrose vor. Das Projekt „Arthrose Stendal”, das sich an einer vorangegangenen Studie in North Yorkshire/England orientierte, lässt auf international vergleichbare Prävalenzraten von Arthrose des Knie- und Hüftgelenks schließen. Als besonders wichtig bei selbstberichtetem arthrosetypischem Schmerz wurde die Abklärung psychosozialer Komorbidität herausgearbeitet. Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse die notwendige Verstärkung schnittstellenspezifischer Kooperationen zwischen Betroffenengruppen, Versorgern und Leistungsträgern.

Die Schlüsselrolle niedergelassener Ärzte im komplexen Rehabilitationsprozess, die oft nicht bewusst wahrgenommen wird, betonte Prof. Dr. Michael Linden (Rehabilitationszentrum Seehof, Teltow/Berlin, und Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité – Universitätsmedizin Berlin). Angesichts der Häufigkeit chronischer Krankheiten muss sowohl den Behandlern als auch den Rehabilitanden die erforderliche Zielverschiebung von der oft nicht mehr möglichen Heilung zur langfristig möglichst günstigen Beeinflussung des Krankheitsverlaufs bewusst werden. Bereits vorhandene Strukturen, die Rehabilitation als Teilelement des kontinuierlichen Behandlungsprozesses beinhalten, sollten noch konsequenter genutzt werden. Die komplexen Koordinierungsanforderungen an der Schnittstelle zwischen Reha-Klinik und Vertragsärzten, Psychotherapeuten und anderen Institutionen sowohl vor, während als auch nach der Reha-Maßnahme wurden am Beispiel der psychosomatischen Rehabilitation dargestellt. Hier besteht noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.

Ein laufendes Kooperationsverfahren zwischen Renten- und Krankenversicherung zur möglichst frühzeitigen Erkennung der Chronifizierungsgefahr und zur zügigen Einleitung von Reha-Maßnahmen stellte Werner Mall (AOK Berlin) vor. Hier werden nach klaren Zuweisungs- und Ausschlusskriterien geeignete Versicherte durch die Krankenkasse systematisch identifiziert und erhalten mit Unterstützung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung und der Rentenversicherung bei der Beantragung zeitnah Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Das Verfahren verdeutlicht, dass die Sozialversicherungsträger neben den Krankenhäusern und Vertragsärzten wichtige Initiatoren von Reha-Maßnahmen darstellen. Das durch das Projekt erreichbare Potenzial an rehabedürftigen Patienten könnte durch eine Erweiterung des derzeitigen Verfahrens auf zusätzliche Indikationen noch weiter gesteigert werden; bisher wurden überwiegend muskuloskelettale sowie z. T. auch Atemwegs- und psychische Erkrankungen einbezogen.

Eine assessmentgestützte Steuerung der medizinischen Rehabilitation an der Schnittstelle zum Arbeitgeber erfolgt in Thüringen in Zusammenarbeit mit mehreren Großbetrieben. Nach der Darstellung von Dr. Wolf-Dieter Müller (Fachklinik Bad Liebenstein) konnten hier mit einem praxistauglichen Verfahren zur Prozessoptimierung die Ergebnisse der Rehabilitation hinsichtlich funktionaler Gesundheit, insbesondere Teilhabe, sowie Lebensqualität verbessert werden.

Im zweiten Themenblock wurden Ergebnisse und Perspektiven von Nachsorgeangeboten diskutiert. Dr. Larissa Beck (Institut für Rehabilitationsmedizin, MLU Halle-Wittenberg) präsentierte zunächst erste Ergebnisse zur Leistungsinanspruchnahme und Eigenaktivität im Rahmen der Nachsorge bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. In einem multizentrischen Projekt im Förderschwerpunkt „Chronische Krankheiten und Patientenorientierung” konnten durch ein im Vergleich zur Standard-Rehabilitation deutlich intensiveres Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstraining mit systematischer Motivationsarbeit die körperliche Funktionskapazität und das psychische Wohlbefinden gesteigert werden. Auch die Unterstützung bei der Planung der langfristigen Trainingsfortführung am Wohnort zeigte Erfolge bei der Aufrechterhaltung der Bewegungsaktivitäten. Die langfristige Eigenaktivität und Inanspruchnahme von Nachsorgeleistungen ist Gegenstand der im Projekt vorgesehenen Verlaufsuntersuchungen über ein Jahr. Für Nachsorgeleistungen nach rheumatologischer Rehabilitation ergaben sich Hinweise auf einen bundesweiten und trägerübergreifenden Weiterentwicklungsbedarf zur Konkretisierung und Vereinheitlichung des Angebotsspektrums.

Bestehende Hindernisse bei der Einleitung und Durchführung von Nachsorgeangeboten für adipöse Kinder und Jugendliche insbesondere an der Schnittstelle zwischen stationären und langfristig notwendigen ambulanten Leistungen und Aktivitäten legte PD Dr. Wilfried Nikolaizik (Kinder-Reha-Klinik „Am Nicolausholz”, Bad Kösen) dar. Im Anschluss präsentierte er basierend auf bisherigen Studienergebnissen mögliche Lösungsvorschläge, wie ein adäquates und erfolgreiches Nachsorgeangebot für diese Zielgruppe gestaltet werden könnte.

Die Nachsorge im Anschluss an Rehabilitation wegen Schlaganfall wurde von Prof. Dr. Johann Behrens und Dipl.-Päd. Michael Schubert (Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, MLU Halle-Wittenberg) fokussiert. Die Überwindung der auch hier bestehenden zahlreichen Schnittstellenprobleme gelingt v. a. Patienten, die sozial gut eingebunden sind. Um dadurch entstehende soziale Ungleichheiten in der Versorgung zu vermeiden bzw. zu vermindern, wird eine kontinuierliche, systematische Fallbegleitung der betroffenen Rehabilitanden, z. B. unter Einbindung von Selbsthilfeorganisationen, als notwendig erachtet.

Im letzten Themenblock wurden verschiedene Aspekte der beruflichen Rehabilitation und Wiedereingliederung behandelt. Prof. Dr. Wolfgang Slesina (Sektion Medizinische Soziologie, MLU Halle-Wittenberg) analysierte zunächst die Prozess- und Ergebnisqualität von Bildungsmaßnahmen in unterschiedlichen stationären und ambulanten Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation. Trotz überwiegender Überlappungen der Teilnehmerkreise fanden sich bereits zu Maßnahmebeginn zum Teil bedeutsame Unterschiede z. B. hinsichtlich Alter und psychischer Gesundheit. Für den Erfolg während und nach der Maßnahme spielen v. a. die körperliche Gesundheit bzw. Fehlzeiten eine wesentliche Rolle. Hier könnten zu entwickelnde Risikoscores eine Möglichkeit zur frühzeitigen Identifikation von vermehrtem Interventionsbedarf bieten.

Prof. Dr. Christa Schlenker-Schulte (Institut für Rehabilitationspädagogik, MLU Halle-Wittenberg und Forschungsstelle zur Rehabilitation von Menschen mit kommunikativer Behinderung) veranschaulichte an konkreten Fallbeispielen die Vielfalt kommunikationsbasierter Probleme von Menschen mit Hör-Sprach-Behinderung in Ausbildung und Beruf. Maßnahmen zur Barrierefreiheit, technische sowie Kommunikationshilfen werden – trotz bestehender gesetzlicher Grundlagen – noch nicht konsequent genug um- bzw. eingesetzt.

Zum Abschluss stellte Prof. Dr. Wolfhard Kohte (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeits-, Unternehmens- und Sozialrecht, MLU Halle-Wittenberg) aktuelle Urteile zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, zur stufenweisen Wiedereingliederung und zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vor und wies auf deren Zusammenwirken und ihren Geltungsbereich nicht nur für schwerbehinderte Patienten hin. Er betonte die zunehmende Tendenz, Arbeitgeber im Zusammenhang mit beruflicher Wiedereingliederung in die Pflicht zu nehmen, z. B. im Rahmen von Beweislastverfahren und der erforderlichen Beteiligung von Betriebsräten. Es wurde allerdings auch deutlich, dass in diesem Bereich noch zahlreiche offene Fragen der Klärung bedürfen (z. B. Schaffung geeigneter Verfahrensabläufe, Umgang mit Datenschutzregelungen, potentielle Wirksamkeit von Anreizsystemen u. a.).

Insgesamt wurde die Veranstaltung als Forum zum intensiven Austausch von Experten aus unterschiedlichsten rehabilitationsrelevanten Einrichtungen zu aktuellen Forschungsdaten und Perspektiven für die Zukunft genutzt.

Weitere Informationen zur Tagung finden sich unter: http://www1.medizin.uni-halle.de/reha-verbund.

Korrespondenzadresse

Dr. Larissa Beck

Wissenschaftliche Geschäftsstelle des

Forschungsverbundes Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Thüringen (SAT)

c/o Institut für Rehabilitationsmedizin

Martin-Luther-Universität

Halle-Wittenberg

Magdeburger Straße 8

06112 Halle (Saale)

Email: Larissa.Beck@medizin.uni-halle.de