Geburtshilfe Frauenheilkd 2010; 70(5): R21-R44
DOI: 10.1055/s-0030-1250008
GebFra-Weiterbildung
Refresher
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfälle in der Frauenheilkunde

A. Strauss1 , I. Meinhold-Heerlein2 , I. M. Heer1 , C. Kümper1
  • 1Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe und Michaelis Hebammenschule, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Christian-Albrechts-Universität, Kiel
  • 2Frauenklinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Aachen, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
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Publication Date:
21 May 2010 (online)

Zusammenfassung

Notfallsituationen in Geburtshilfe und Gynäkologie unterscheiden sich entsprechend des grundsätzlichen Dualismus des Faches Frauenheilkunde grundsätzlich voneinander. Während Schwangerschaft und Geburt stets durch die ärztliche Sorge um 2 Individuen geprägt sind, tritt uns die gynäkologische Notfallpatientin analog zum Setting, bekannt aus anderen Fächern, gegenüber.

Literatur

Anlage 1: Übersicht Geburtshilfliche Notfälle.

Diagnose

Symptome

Befunde

Maßnahmen

Was ist zu beachten?

Weitere Differenzialdiagnosen

Placenta praevia marginalis, totalis

schmerzlose, oft starke Blutung

vaginal- oder rektalsonografische Lagebeurteilung des inneren Muttermunds im Bezug zur Plazenta (B-Bild und Farbdopplersonografie)

wenn kein Sistieren der Blutung: (Not)sectio

wenn Blutungsstopp: stationäre Überwachung

bei hohem Blutverlust Gefahr des hämorrhagischen Schocks, des IUFT, der Gerinnungsstörung; in 10 % Verlust des Uterus

vorzeitige Plazentalösung

plötzliche Schmerzen, bretthartes Abdomen

CTG‐Alterationen

Sonografie (eine frische Blutung kann schwer darstellbar sein). Bei Bestätigung: Notsectio

Eine unklare Tachykardie im CTG, auch ohne vaginale Blutung, kann als Zeichen einer drohenden fetalen Hypoxie Hinweis auf eine Plazentalösung sein

Uterusatonie

hochstehender Fundus uteri, starke vaginale Blutung postpartal, hämorrhagischer Schock

Schockindex > 1, im Verlauf Gerinnungsstörung

Uterus anreiben, Uterus halten (Credé-Handgriff), Plazenta beurteilen (Vollständigkeit?), vaginale Speculumeinstellung (Geburtsverletzung?), Eisblase auf Uterus, Harnblase leeren, Quantifizierung des Blutverlusts

Vorgehen stufenweise: Oxytocin Bolus 3 IE, Oxytocin Dauerinfusion 10 IE auf 500 ml (90–300 ml/h, Sulproston 500 µg in 500 ml NaCl (Nalador®) 100–300 ml/h, Prostaglandin-F2α-Tamponade und/oder lokale Injektion in das Myometrium. Bei Persistenz der Blutung (drohender Gerinnungsstörung): chirurgische Maßnahmen (manuelle/instrumentelle Nachtastung), ggf. Hysterektomie

Gefährlichste Komplikation für die Mutter in der gesamten peripartalen Periode. Insbesondere nach langer Gabe von Oxytocin (Wehenschwäche) steigt die Gefahr einer atonen Blutung. Hysterektomie nicht „zu spät“ durchführen (Gerinnungsstörung). Keine gleichzeitige Gabe von Oxytocin und Sulproston (Nalador®)

Uterusruptur

Blutung, perakute Schmerzen, bretthartes Abdomen

Tokografie: Tonusverlust, keine Wehen mehr. Kardiografie: Alteration der Herztöne (Bradykardie)

Sonografie – bei Bestätigung: Notsectio

Z. n. Sectio – Rupturrisiko 1 % bei Quer-, 4 % bei Längsschnitt. Die gut sitzende Regionalanästhesie kann die Ruptur verschleiern. Lösung: intrauterine Drucksonde

(Prä-)Eklampsie

HELLP-Syndrom

Kopfschmerzen, Augenflimmern, Ohrensausen, Oberbauchschmerzen (rechts), Ödeme, Krampfanfall, (Blutung)

Hypertonus (> 170/110 mmHg), Proteinurie, Thrombozytopenie, Erhöhung Transaminasen, Hyperreflexie, Gerinnungsstörung

Monitoring Vitalparameter, Laborwertbestimmung, CTG, Magnesiuminfusion bei Hypertonie/Hyperreflexie zur Krampfanfallsprophylaxe (Initialdosis 4–6 g MgSO4, Erhaltungsdosis 1–2 g/h, Zielspiegel 2,0–3,0 mmol/l), ggf. fetale Dopplersonografie

postpartale Entwicklung einer (Prä-)Eklampsie oder eines HELLP-Syndroms möglich (20 %)

HELLP-Syndrom auch ohne Hypertonus möglich

Anlage 2: Übersicht Gynäkologische Notfälle.

Diagnose

Symptome

Befunde

Maßnahmen

Was ist zu beachten?

Weitere Differenzialdiagnosen

Ovarialtorsion

akuter, stechender, einseitiger Unterbauchschmerz, bei intermittierender Torsion u. U. kolikartiger Schmerz, Übelkeit, Erbrechen

negativer Schwangerschaftstest, palpable (teigige) Schwellung im Adnexbereich, Fieber und Leukozytose bei Nekrose des Ovars, Dopplersonografie: zunächst venöse, später arterielle Flussveränderungen (pathognomonisch), ein regelrechtes dopplersonografisches Flussmuster schließt eine Torsion jedoch nicht aus

frühzeitige Diagnosesicherung und Therapie durch Laparoskopie, Versuch der Retorquierung auch bei makroskopisch wenig hoffnungsvollen Befunden, mindestens 24 h stationäre Überwachung postop., Re-Laparoskopie bei Therapieversagen (Anstieg der Entzündungsparameter, Fieber, keine Beschwerdebesserung)

Ovarialzystenruptur, Tuboovarialabszess, Extrauteringravidität

Ovarialzysten/-ruptur

akuter Schmerzbeginn, Abwehrspannung, Volumenmangel(schock)

negativer Schwangerschaftstest, Raumforderung in einem Adnexbereich, (mäßig viel) freie Flüssigkeit im Douglas'schen Raum

Schmerztherapie, Kontrolle der hämodynamischen Parameter und des Hb-Wertes, ggf. Behandlung eines Volumenmangelschocks, Diagnosesicherung und Therapie durch Laparoskopie bei schwerem Krankheitsverlauf oder diagnostischer Unsicherheit

Tuboovarialabszess, Ovarialtorsion, Extrauteringravidität

Tuboovarialabszess

Unterbauchschmerz (u. U. schleichender Beginn), Portioschiebeschmerz

Fieber, Leukozytose, erhöhte Entzündungswerte, pathologische vaginale Flora, nachgewiesene Infektion mit Neisseria gonorrhoeae oder Chlamydia trachomatis

intravenöser Zugang und Flüssigkeitssubstitution, operative Abszessspaltung und Drainage (Laparoskopie [Bauchspiegelung]), antibiotische Therapie (z. B. Ampicillin 2 g 4 × tgl. + Clindamycin 1,2 g 2 × tgl. i. v. oder Cefuroxim + Doxycyclin + Metronidazol), wenn keine primär operative Sanierung: klare Definition von konservativen Therapieversagern: kein Abfiebern innerhalb von 72 Stunden oder Vergrößerung des Abszesses unter Therapie

Ovarialtorsion, Extrauteringravidität, Ovarialzystenruptur

Extrauteringravidität

sekundäre Amenorrhö 6–8 Wochen, schwache vaginale Blutung, ggf. akutes Abdomen

Tubarabort: wellenförmiger einseitiger Unterbauchschmerz

Tubarruptur: stärkster, plötzlicher Unterbauchschmerz

Schwangerschaftstest positiv, aufgelockerter, für das Schwangerschaftsalter zu kleiner Uterus

Sonografie: leeres Cavum, (ringförmige) Raumforderung im Adnexbereich, freie Flüssigkeit im Douglas'schen Raum oder betont einseitig im Adnexbereich

intravenöser Zugang und Flüssigkeitssubstitution, Stabilisierung der Vitalparameter, Bestimmung von β‐hCG, Blutbild, Gerinnung (Kreuzblut), Laparoskopie (wenn möglich organerhaltendes Vorgehen, bei Rezidiv oder zerstörter Tubenarchitektur und makroskopisch einwandfreier Gegenseite bzw. bei operativer Notwendigkeit → Salpingektomie, alternativ medikamentöse Therapie (Methotrexat) oder Beobachten, Rhesusprophylaxe (falls erforderlich)

Ovarialtorsion, Tuboovarialabszess, Ovarialzystenruptur

CTG: Kardiotokografie, HCG: humanes Choriongonadotropin, IUFT: intrauteriner Fruchttod

Prof. Dr. Alexander Strauss

Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe und Michaelis Hebammenschule
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Campus Kiel
Christian-Albrechts-Universität

Arnold-Heller-Straße 3, Gebäude 24

24105 Kiel

Email: astrauss@email.uni-kiel.de