Psychiatr Prax 2011; 38(7): 320-322
DOI: 10.1055/s-0031-1276895
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Burnout als Krankheitskonzept

Burnout as a Disease CategoryPro: Axel  Schüler-Schneider Kontra: Barbara  Schneider, Andreas  Hillert
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Publication Date:
27 September 2011 (online)

Pro

Burnout-Syndrom ist eine Sonderform der Depression mit ausgeprägter maniformer Abwehr

Freudenberger übertrug 1974 den Begriff Burnout aus der Kerntechnologie in den sozialwissenschaftlichen Bereich. Gerade die Menschen, die in einem schönen, abwechslungsreichen Beruf mit viel Verantwortung und mit sozialem Engagement arbeiten, sind burnoutgefährdet [1]. Burnout ist das Ergebnis der Imbalanz zwischen den Merkmalen und Möglichkeiten einer Person und den Merkmalen und Möglichkeiten seines Berufes. Die Häufigkeit beträgt etwa 20 % [2].

Burnout-Syndrom ist eine Sonderform der Depression mit einer maniformen Abwehr. Durch vermehrte Aktivität wird versucht das sichere Scheitern zu verhindern. Es ist ein Prozess, der unbehandelt in eine Depression mündet [3]. Es ist wichtig, die resultierende Erkrankung, nämlich die Depression nach ihrem Schweregrad mit einer Ziffer aus dem Kapitel F des ICD-10 zu verschlüsseln und nicht die Befindlichkeitsstörung nach Ziffer Z73.0. So ist auch eine längere Krankschreibung möglich. Dies alleine ist aber keine ausreichende Therapie. Nur eine Aufarbeitung der Konflikte führt zu einer Stabilisierung. Die aktuellen Konflikte haben in der Regel eine lange Vorgeschichte und stellen oft eine Reaktivierung früherer Konflikte dar.

Das erbliche Risiko für Depression beträgt 5 %. Wenn Depressionen in der Familie vorliegen erhöht sich das Risiko, an einer Depression zu erkranken auf 15 %, bei eineiigen Zwillingen liegt es sogar bei 50 %.

Eine Untersuchung der WHO kam zum Ergebnis, dass es zu einer 10-fachen Zunahme von Depressionen in Deutschland seit 1960 gekommen ist. Es gibt mehr als 4 Millionen behandlungsbedürftige Depressionskranke in Deutschland [4].

Der arbeitsplatzbezogene Stress nehme zu und damit auch die Häufigkeit von Burnout-Syndrom und Depression. Dabei werden die Betroffenen immer jünger. Seit 1945 ist die Suizidrate in Deutschland von über 20 000 auf unter 10 000 pro Jahr deutlich zurückgegangen [5]. Gleichzeitig haben die Suchterkrankungen zugenommen.

Burnout-Syndrom eignet sich als ein differenziertes Krankheitskonzept und sollte nur für Depressionen, die durch Konflikte am Arbeitsplatz ausgelöst wurden, verwendet werden.

Mittlerweile kam es zu einer Popularisierung des Begriffs Burnout-Syndrom und er wurde nicht nur für Erschöpfungszustände durch engagierte Arbeit, sondern u. a. auch bei Kindern, Schülern und für private Erschöpfungszustände verwendet. Dies führte zu einer Verwässerung des Begriffs. So entfernte er sich von einer klar umrissenen Diagnose, die notwendig ist, um eine geeignete Therapie festzulegen. Burnout-Syndrom sollte nur für berufsbedingte Erschöpfungs- und Depressionszustände Anwendung finden. Ein wichtiger Teil der Therapie besteht in der Entfernung aus dem Arbeitsprozess, dies ist im privaten Bereich schwierig.

Pathophysiologie, Psychodynamik

Unbehandelt verläuft der Burnout-Prozess in 4 Phasen und unterscheidet sich wesentlich von der üblichen kontinuierlich fortschreitenden Entwicklung der Depression. Durch vermehrte Aktivität, Anstrengung und emotionale Verausgabung versuchen die Betroffenen das unausweichliche Scheitern zu verhindern. Dies entspricht der manischen Abwehr einer drohenden Depression.

Phase 0 – Überlastungssituation

Phase 1 – manische Abwehr der Depression

Phase 2 – Flucht und Rückzug

Phase 3 – schwere Depression mit Isolation, Antriebslosigkeit, gedrückter Stimmung und oft auch suizidalen Gedanken und Suizidalität.

Früherkennung und Prophylaxe sind schwierig, da es sich um leistungsorientierte Menschen handelt, die es nicht gewohnt sind zu scheitern. Gefährdete Menschen sollten vorsorgen und sich regelmäßig selbst testen. Sport, Freizeitaktivitäten, Entspannungsverfahren und Stabilisierung der eigenen Persönlichkeit und psychischen Gesundheit tragen wesentlich dazu bei, dass der Übergang von einer Überlastung in eine Depression nicht erfolgen kann. Durch adäquate Behandlung ist Hilfe in allen Stadien möglich.

Symptomatik

Emotionale Erschöpfung liegt vor, wenn Wochenende und Urlaub nicht mehr zur Erholung ausreichen.

Depersonalisation ist der Verlust der Identität. Verhalten und Empfinden entsprechen nicht mehr der ursprünglichen Persönlichkeit. Ideale werden verraten. Dies ist verbunden mit einer gefühllosen, gleichgültigen, zynischen oder sarkastischen Einstellung gegenüber anderen Menschen. Diese werden abgelehnt, die Faust wird in der Tasche geballt, es knallt auch mal eine Tür. Selbst geliebte Partner oder Freunde werden unwirsch, aggressiv, ohne Verständnis behandelt. Soziale Kontakte werden gemieden. Es kommt zur Vernachlässigung von Hobbys und Privatleben. Oft ist durch den erhöhten zeitlichen und emotionalen Einsatz das soziale Netz lange nicht mehr gepflegt worden und daher nur noch brüchig vorhanden. So führt der depressive Rückzug nicht zur notwendigen Erholung. Der Abwärtstrend in die Depression wird verstärkt.

Abnehmende Leistungsfähigkeit tritt erst bei anhaltender Erschöpfung und Depersonalisation auf und führt zur schweren Depression mit Suizidalität.

Körperliche Symptome können alle Organsysteme im Sinne einer somatoformen Störung betreffen.

Risikofaktoren und Prädisposition

Frühkindliche, nicht verarbeitete Traumatisierungen wie frühe Verluste, Missbrauch, Gewalt in der Familie sind oft lange Zeit schlummernde Herde. Dies wird oft jahrzehntelang verdrängt, um nicht mit dem erlittenen Schmerz konfrontiert zu werden. Mit der abnehmenden Leistungsfähigkeit kommt es auch zu einer Schwächung der psychischen Abwehr und alte verdrängte Erinnerungen kommen wieder ins Bewusstsein. Das trägt zur Dekompensation bei.

Perfektionismus, Idealismus und übertriebene Identifikation mit dem Beruf, Zwanghaftigkeit, mangelnde Selbstreflexion, Versagensängste spielen eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines Burnout-Syndroms. Die Work-Life-Balance gerät aus dem Gleichgewicht, wenn der Arbeitsaufwand, insbesondere auch das emotionale Engagement über längere Zeit nicht ausreichend belohnt wird, sowohl materiell als auch emotional [6].

Die spezielle Psychodynamik erfordert neues Behandlungskonzept: die Kurzzeit-Psychoanalyse

Als eine neue geeignete Therapieform entwickelte sich die Kurzzeit-Psychoanalyse. Die Behandlung erstreckt sich mit 3–4 Stunden pro Woche über 6–12 Wochen. Nach 4–6 Wochen sind die aktuellen und aktualisierten Konflikte geklärt, wenn auch nicht immer gelöst und die Familien- und Lebensgeschichte bei guter Compliance erarbeitet. Zu diesem Zeitpunkt kann eine realistische prognostische Einschätzung über den weiteren Verlauf erfolgen. Junge Menschen sind oft nach 6 Wochen schon wieder arbeitsfähig, bei älteren dauert es länger.

Wichtig ist die Entlastung von der Arbeit, um aus dem Abstand heraus über den eigenen Standpunkt, die Lebens- und Arbeitssituation, die Perspektiven, persönlichen Ziele, Visionen und bestehende Konflikte nachdenken zu können. Durch Bewegung und Sport, mindestens 3-mal 30 min pro Woche wird der Körper gefordert, der Kreislauf stabilisiert und damit auch der Gedanke an die eigene Gesundheit gefördert. Durch Entspannung wie Qi Gong, die Urform aller Entspannungsverfahren, 2500 v. Chr. entwickelt, Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation, Tai Chi etc. wird die psychotherapeutische Arbeit unterstützt. Eine medikamentöse antidepressive Therapie ist zu Beginn der Behandlung sinnvoll.

Literatur

Dr. med. Axel Schüler-Schneider

Guiollettstraße 27

60325 Frankfurt am Main

Email: psymed@t-online.de

Priv.-Doz. Dr. Barbara Schneider

Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
Johann Wolfgang Goethe-Universität

Heinrich-Hoffmann-Straße 10

60528 Frankfurt

Email: B.Schneider@em.uni-frankfurt.de