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DOI: 10.1055/s-0034-1399054
Screening für sexuelle Funktionsstörungen nach DSM-5
Publication History
Publication Date:
24 March 2015 (online)
Sexuelle Probleme und sexuelle Funktionsstörungen dürften zu den häufigsten psychischen bzw. psychosomatischen Syndromkomplexen überhaupt gehören. Schätzungen für die 12-Monatsprävalenz von sexuellen Problemen liegen bei 51 % für Frauen und 42 % für Männer, wobei etwa 10 % der Männer und 11 % der Frauen angeben, darunter in klinisch bedeutsamer Weise zu leiden (Mitchel et al. 2013). In der Versorgungspraxis werden sexuelle Funktionsstörungen jedoch kaum diagnostiziert (Beier et al. 2000; Hoyer 2013; Reinecke et al. 2006).
Ein Grund dafür liegt in den komplexen diagnostischen Ausschlussprozessen, die vor der Stellung der Diagnose einer sexuellen Funktionsstörung erforderlich sind. Sexuelle Probleme können durch vielfältige medizinische Krankheitsfaktoren oder Substanz- bzw. Medikamentenkonsum ausgelöst oder bedingt sein, genauso wie durch psychische Störungen, durch Partnerschaftsprobleme oder andere gravierende Stressoren (vgl. DSM-5, deutsch: Falkai et al. 2015). Zu erkennen, ob die sexuellen Symptome entweder Begleitsymptome der genannten Störungen (bzw. Belastungsfaktoren) sind oder ob sie die Kriterien für eine eigenständige (ggf. komorbide) Störung erfüllen, setzt die aufwändige Zusammenführung und Auswertung einer Fülle diagnostischer Informationen voraus. Ein funktionierendes, interdisziplinäres Netzwerk aus ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen, SexualtherapeutInnen bzw. SexualmedizinerInnen wäre diesbezüglich wünschenswert, ist aber allenfalls in spezialisierten Einrichtungen gegeben. Nicht zuletzt erschweren Vermeidungsmotive auf Seiten von PatientInnen eine eindeutige diagnostische Urteilsbildung (vgl. Hoyer 2013).
Ein einfacher Lösungsansatz für die angesprochenen Probleme liegt in der Nutzung von Screening-Verfahren. Als Screening-Tests werden zeit- und kostengünstige Vortests zur ersten Identifizierung von Personen mit klinisch relevanten Merkmalen bezeichnet. Ein Beispiel ist die Mammographie zur Entdeckung des Brustkrebses. Hinweise aus dem Screening ziehen dann eine vertiefte, vollumfassende diagnostische Untersuchung nach sich. Eine weitere Nutzungsmöglichkeit von Screening-Verfahren besteht in der Erfassung psychisch besonders belasteter PatientInnen im medizinischen Versorgungssystem (z. B. in der Psycho-Onkologie) oder im psychosozialen Versorgungssystem (z. B. in Beratungsstellen). Dabei werden zunehmend Fragebögen zu Screening-Zwecken eingesetzt (vgl. Hoyer et al. 2003), welche die Einschätzung erleichtern, ob weitere psychodiagnostische oder therapeutische Maßnahmen erforderlich sind. Ein Beispiel hierfür ist die Hospital Anxiety and Depression Scale (deutsch: Hermann-Lingen et al. 2011), welche der Erfassung von Angst und Depression bei PatientInnen mit körperlichen Erkrankungen oder (möglicherweise psychogenen) Körperbeschwerden dient.
Untersuchungen mit einem einfachen Screeninginstrument, das die in den Klassifikationssystemen für psychische Störungen genannten sexuellen Funktionsstörungen abfragt, zeigen eine sehr gute Handhabbarkeit und Akzeptanz und gleichzeitig gute Ergebnisse zur Validität (Labbate und Lare 2001; Hoyer et al. 2009). Angesichts der augenblicklichen Revision der Sektion „Sexuelle Funktionsstörungen“ im DSM-5 (Falkai et al. 2015: 577), liegt es nahe, den „Kurzfragebogen zur Sexualität“ (vgl. Hoyer und Jahnke 2014) gemäß den Vorgaben des DSM-5 anzupassen.
Laut DSM-5 werden sexuelle Funktionsstörungen diagnostiziert, wenn eine vorgegebene Mindestanzahl störungsspezifischer Symptome vorliegt (A-Kriterien), unter denen die Person für mindestens ungefähr sechs Monate (B-Kriterium) in klinisch bedeutsamer Weise leidet (C-Kriterium). Die Diagnose wird ausschließlich dann vergeben, wenn die Symptome nicht besser durch (a) eine nicht-sexuelle Störung erklärt werden können, sie (b) nicht als Folge ernsthafter Belastungen innerhalb der Paarbeziehung oder als Folge anderer bedeutsamer Stressoren verstanden werden können und sie (c) nicht ausschließlich auf die Wirkung einer Substanz bzw. eines Medikaments oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurückgehen.