Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0042-101467
Überdiagnostik mit Bildgebung bei Rückenschmerzen
Qualitätssicherung mittels GKV-RoutinedatenQuality Assurance using routine data: Overdiagnosis by radiological imaging for back painPublication History
Publication Date:
13 May 2016 (online)
Zusammenfassung
Hintergrund | Bei akuten nicht-spezifischen Rückenschmerzen sind die Beschwerden üblicherweise selbst begrenzend. Nur bei klinischem Verdacht auf einen gefährlichen Verlauf sollte gemäß Nationaler Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz sofort eine bildgebende Diagnostik erfolgen. Ansonsten gilt es, mindestens 6 Wochen abzuwarten.
Patienten und Methodik | Mit Routinedaten der gesetzlichen Techniker Krankenkasse wurde analysiert, bei wie vielen Versicherten, die erstmalig akute Rückenschmerzen hatten und bei denen kein Hinweis auf einen gefährlichen Verlauf vorlag, eine nicht indizierte Bildgebungsdiagnostik erfolgte.
Ergebnisse | Bei ca. 10 % der Fälle erfolgte nach Diagnosestellung eine radiologische Bildgebungsdiagnostik. Wenn eine Bildgebung durchgeführt wurde, fand sie in einem Drittel der Fälle zu früh statt oder war gänzlich unnötig. Da es sich methodisch um eine sehr konservative Schätzung handelt, steht zu vermuten, dass in der Versorgungsrealität das Ausmaß der Überdiagnostik größer ist.
Folgerungen | Bei jedem Dritten, der wegen erstmalig aufgetretener akuter nicht-spezifischer Rückenschmerzen eine radiologische Diagnostik erhält, wird die sechswöchige Wartezeit nicht eingehalten. Hochgerechnet auf die gesetzliche Krankenversicherung sind jährlich 48 957 Versicherte betroffen. Überdiagnostik ist nicht nur ökonomisch problematisch, sondern hinsichtlich Patientenorientierung und -sicherheit kann sie dem Patienten auch erheblichen Schaden zufügen – entweder durch die Diagnostik selbst oder durch die Diagnostik ausgelöste Therapieformen.
Abstract
Background and Problem: Acute nonspecific back pain disorders are typically self-limiting. According to the national guideline low back pain, only in case of clinical suspicion of a serious course radiological imaging should take place immediately. Otherwise, the guideline recommends waiting at least six weeks.
Patients and Methodology: Using Statutory Health Insurance (SHI) routine data of the Techniker Krankenkasse we analyzed how many of the insured persons suffering from acute back pain for the first time with no indication of a serious outcome received a non-indicated diagnostic imaging.
Results: In about 10 % diagnostic imaging is conducted after initial diagnosis. If an imaging is carried out, roughly one third of these cases takes place ahead of time or is completely unnecessary. Methodically this is a very conservative estimation, thus it seems likely that the extent of overdiagnosis in actual medical care situation is even larger.
Conclusions: Every third patient who received radiological diagnostics due to first acute nonspecific back pain underwent the procedure more quickly than recommended (less than six weeks). Overdiagnosis is not only economically problematic but also with respect to patient orientation and patient safety. It may cause substantial damage to patients – either by the use of diagnostics itself or by means of therapies initiated after diagnostics.
Schlüsselwörter
Qualitätssicherung - Überdiagnostik - Rückenschmerz - Nationale Versorgungsleitlinie - GKV-Routinedatenanalyse* geteilte Erstautorenschaft
-
Literatur
- 1 Kraft R, Hersperger M, Herren D. Diagnose und Indikation als Schlüsseldimensionen der Qualität. Schweizerische Ärztezeitung 2012; 93: 1485-1489
- 2 Mühlhauser I, Müller H. Patientenrelevante Endpunkte und patient-reported-outcomes in klinischer Forschung und medizinischer Praxis. In: Klusen N, Fließgarten A, Nebling T, Hrsg. Informiert und selbstbestimmt. Der mündige Bürger als mündiger Patient. Baden-Baden: Nomos; 2009: 34-64
- 3 Schrappe M. Qualität 2030 – Die umfassende Strategie für das Gesundheitswesen. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2015
- 4 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Gutachten 2000/2001 – Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Band III: Über-, Unter- und Fehlversorgung. Baden-Baden: Nomos; 2002
- 5 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Schutz vor Überversorgung – gemeinsam entscheiden. Angemeldete S3-Leitlinie, Register-Nummer 053–045. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/053-045.html Letzter Zugriff am 07.03.16
- 6 American Academy of Family Physicians. Imaging tests for lower-back pain. http://www.choosingwisely.org/doctor-patient-lists/imaging-tests-for-lower-back-pain/ Letzter Zugriff am 07.03.16
- 7 Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale VersorgungsLeitlinie; Kreuzschmerz: Langfassung Version 4 2010. zuletzt verändert: August 2013.
- 8 Elshaug AG, Watt AM, Mundy L, Willis CD. Over 150 potentially low-value health care practices: an Australian study. Med J Aust 2012; 197: 556-560
- 9 Selby K, Cornuz J, Neuner-Jehle S et al. «Smarter Medicine»: 5 Interventionen, die in der ambulanten allgemeinen inneren Medizin vermieden werden sollten. Schweizerische Ärztezeitung 2014; 95: 769-770
- 10 Techniker Krankenkasse. Deutschland hat Rücken Der TK-Rückenreport. Medienservice März 2012. http://www.bodylife.com/uploads/media/TK-Rueckenreport.pdf Letzter Zugriff am 29.03.2016
- 11 Bundesministerium für Gesundheit. Arbeitsunfähigkeit: Fälle und Tage nach Diagnosen 2012, Ergebnisse der Krankheitsartenstatistik der gesetzlichen Krankenversicherung. http://bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Statistiken/GKV/Geschaeftsergebnisse/AU_nach_Diagnosen_2012.pdf Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 12 Raspe H. Rückenschmerzen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Heft 53. http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/rueckenschmerzen.pdf?__blob=publicationFile Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 13 Bungard S, Hertle D, Kliner K et al. BKK Gesundheitsreport 2013. Gesundheit in Bewegung. Schwerpunkt Muskel- und Skeletterkrankungen. Berlin: BKK Bundesverband; 2013. http://www.bkk-dachverband.de/fileadmin/publikationen/gesundheitsreport/fruehere_gesundheitsreporte/BKK-Gesundheitsreport_2013.pdf Letzter Zugriffam 29.03.2016
- 14 Arbeitsgruppe Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie. Gute Praxis Sekundärdatenanalyse (GPS), Leitlinien und Empfehlungen. 3. Fassung 2012, geringfügig modifiziert 2014. http://dgepi.de/fileadmin/pdf/leitlinien/GPS_revision2-final_august2014.pdf Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 15 Swart E, Ihle P, Gothe H, Matusiewicz D Hrsg Routinedaten im Gesundheitswesen. Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven. 2. vollst. überarb. Auflage. Bern: Huber; 2014
- 16 Horenkamp-Sonntag D, Linder R, Verheyen F Analyse bundesweiter GKV-Routinedaten: Zusammenhang zwischen regionalen Morbiditätsveränderungen und Leistungsinanspruchnahmen. 9. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung und 5. Jahrestagung Aktionsbündnis Patientensicherheit. Bonn. 2010 http://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/236372/Datei/2428/Morbiditaetsveraenderungsanalysen-Versorgungsforschungskongress-2010-Poster.pdf Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 17 Horenkamp-Sonntag D, Linder R, Wenzel F et al. Datenzugang und Datenvalidierung: Prüfung der Datenqualität und Validität von GKV-Routinedaten. In: Swart E, Swart E, Ihle P et al, Hrsg. Routinedaten im Gesundheitswesen. Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven. 2. vollst. überarb. Auflage. Bern: Huber; 2014: 314-329
- 18 Chenot J, Haupt C, Gerste B. Zeitliche Trends bei der Versorgung von Rückenschmerzpatienten. In: Klauber J, Günster C, Gerste B et al, Hrsg. Versorgungs-Report 2013/2014. Stuttgart: Schattauer; 2014: 155-184
- 19 Schäfer T, Pritzkuleit R, Hannemann F et al. Trends und regionale Unterschiede in der Inanspruchnahme von Wirbelsäulenoperationen. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J, Hrsg. Krankenhaus-Report 2013 Stuttgart: Schattauer; 2013: 111-133
- 20 Marschall U, L’hoest U, Wolik A. Vergleich der Kosteneffektivität von Operation, multimodaler und interventioneller Schmerztherapie bei Rückenschmerzen: Eine Analyse mit Krankenkassendaten“. In: Repschläger U, Schulte C, Nicole Osterkamp N (eds.): BARMER GEK Gesundheitswesen aktuell 2012. Berlin: Barmer GEK; 2012: 262-285 http://presse.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Presseportal/Subportal/Presseinformationen/Archiv/2012/120829-Rueckenschmerzen/PDF-Rueckenschmerzen.pdf Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 21 Linder R, Schneider U, Köthemann Verheyen F. Ärztliches Verordnungsverhalten von potenziell inadäquaten Medikamenten für Ältere Menschen. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 983-989
- 22 Neubauer S, Zeidler J, Schilling T et al. Unter welchen Voraussetzungen eignen sich GKV-Routinedaten zur Überprüfung von Leitlinien im Versorgungsalltag? – Eine Analyse anhand der Indikation Herzinsuffizienz. 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Lübeck 2013 http://www.egms.de/static/en/meetings/gmds2013/13gmds226.shtml Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 23 Linder R, Zeidler J, Schilling T et al. Stents hinterfragt: Werden Patienten mit koronaren Herzerkrankungen leitliniengerecht versorgt? 58. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. Lübeck 2013 http://www.egms.de/static/en/meetings/gmds2013/13gmds194.shtml Letzter Zugriff am 07.03.2016
- 24 Schneider U, Linder R, Hagenmeyer E-G et al. Analyse diagnostischer Maßnahmen mit GKV-Routinedaten: Zur Richtlinienkonformität der Stufendiagnostik bei vermuteter Schlafapnoe. 6. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie. München 2014 http://file.dggoe.de/jahrestagung_2014/Tagungsprogramm_DGGOE2014_Web_2014-02-27.pdf Letzter Zugriff am 07.03.2016