Zentralbl Chir 2017; 142(01): 32-38
DOI: 10.1055/s-0042-124416
Technical Note
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Qualitätssicherung in der Lehre – Entwicklung und Analyse von Checklisten zur Beurteilung von Lehrvideos zum Erlernen praktischer Fertigkeiten

Miriam Rüsseler
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Jasmina Sterz
2   Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Phaedra Kalozoumi-Paisi
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Anna Schill
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Bernd Bender
1   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Sebastian H. Hoefer
3   Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Iris Schleicher
4   Medizinische Fakultät, Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland
,
Alexander I. Damankis
5   Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Marburg, Deutschland
,
Dennis Josephs
5   Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Marburg, Deutschland
,
Falk Ochsendorf
6   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Christina Stefanescu
7   Klinik für Kinderchirurgie und Kinderurologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Holger Hoffmann
8   Dr. Reinfried Pohl, Zentrum für medizinische Lehre, Universitätsklinikum Marburg, Deutschland
,
Teresa Schreckenbach
2   Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Deutschland
,
Felix Walcher
9   Universitätsklinik für Unfallchirurgie, Medizinische Fakultät Universitätsklinikum Magdeburg, Deutschland
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
15 March 2017 (online)

Einleitung

Weltweit ist das Internet mittlerweile die größte, und im Vergleich zu gedruckten Informationen die aktuellste Quelle für medizinisches Wissen [1]. Vor allem medizinische Laien nutzen es als Hauptinformationsquelle für Gesundheitsfragen [2]. Auch viele Medizinstudierende und Studierende anderer Gesundheitsberufe bevorzugen Onlinelernquellen als primäre Informationsquelle für ihren Lernprozess gegenüber Lehrbüchern und medizinischen Journalen [3], [4]. Insbesondere im Rahmen der Änderungen und Anpassungen in den medizinischen Curricula hin zum selbstverantwortlichen, selbstregulierten, problemorientierten Lernen bedienen sich immer mehr Studierende der Onlinequellen auf ihrer Suche nach dem benötigten Wissen [5], [6], [7], [8]. Der unterstützende Effekt von E-Learning im Lernprozess konnte in verschiedensten Bereichen gezeigt werden [9], [10], [11]. Der Wachstum des E-Learnings wird durch die zunehmende Nutzung von Smartphones als „Lernquelle überall und jederzeit“ noch verstärkt [12].

Ein Großteil der im Rahmen des Studiums zu erlernenden praktischen Fertigkeiten wird im Rahmen von Praktika, Famulaturen und im PJ erlernt. Hierbei spielt das Eigenstudium und die eigenständige Anwendung praktischer Fertigkeiten eine wesentliche Rolle [13]. Verschiedene Studien belegen, dass praktische Fertigkeiten durch die Nutzung von Videos besser erlernt werden können [14], [15], [16], [17], [18], [19]. Videos haben den Vorteil, schwierige medizinische Konzepte durch animierte Grafiken/Diagramme, durch Analogien, Patienten/Schauspieler zu verdeutlichen und auch den Zeitablauf einer Fertigkeit/Fähigkeit zu demonstrieren. Studierende nutzen online verfügbare Videos, um Fertigkeiten zu rekapitulieren, die schwierig zu verstehen waren, um sie aufzufrischen, bevor sie diese am Patienten anwenden und um sie zu erlernen, falls sie diese bisher in ihren Praktika nicht beobachten konnten [18].

Während die jeweilige Suchmaschine den Studierenden basierend auf ihren Suchbegriffen mit hoher Treffsicherheit entsprechende Webseiten zur Sichtung anbietet, kann die Richtigkeit der Inhalte, die Reliabilität und Validität und daher der konkrete Nutzen nicht garantiert werden. Da keinerlei Qualitätskriterien und -kontrollen aus fachlicher und didaktischer Sicht existieren, ist die inhaltliche und fachliche Qualität vorhandener Videos sehr unterschiedlich [20], [21], [22], [23]. Fischer et al. bewerteten in ihrer Studie nur 62 % der Videos zur Kniegelenkpunktion als brauchbar und zweckdienlich für Ausbildungszwecke. Nur 46 % der analysierten Videos zeigten korrekte sterile Bedingungen [21]. Von den 73 in der Arbeit von Lee et al. analysierten Videos zur laparoskopischen Cholezystektomie wurden nur 11 % als gut, jedoch 30 % als mangelhaft bewertet [24].

Für den Informationssuchenden – sowohl den Laien als auch den zukünftigen Experten – sind die Eignung, die Qualität und der Wahrheitsgehalt erst nach Durchsicht des jeweiligen Videos oder der Quelle beurteilbar. Da das hierfür erforderliche spezifische Hintergrundwissen fehlt, ist dies für den Einzelnen nur schwer möglich. Bisher existierende, in sozialen Netzwerken übliche Bewertungen wie „gefällt mir/gefällt mir nicht“, Anzahl der „Zuschauer“ insgesamt oder pro Tag, Anzahl der Kommentare, korrelieren nicht mit der von Experten beurteilten Qualität des jeweiligen Videos [21], [24], [25]. Somit besteht ein hohes Risiko, dass die Lernenden inhaltlich fehlerhafte Videos ansehen und die gezeigten Fertigkeiten entsprechend falsch memorieren und damit potenziell Patienten gefährden oder sogar schaden können.

Die in den bisher aufgeführten Arbeiten benutzten Bewertungskriterien für Videos sind sehr verschieden. Sie sind auf das jeweils spezifische Themengebiet/die jeweils spezifische Fragestellung der Arbeit zugeschnitten. Daher ist die Übertragbarkeit dieser Kriterien auf andere Themengebiete von Lehrvideos kaum möglich. Ein einheitliches, validiertes, ubiquitär einsetzbares Bewertungssystem von Videos für die medizinische Lehre wird in der Literatur immer wieder gefordert, existiert jedoch bis dato nicht [24], [26], [27].

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, Checklisten zur inhaltlichen und qualitativen Bewertung von Lehrvideos zu erarbeiten. Wesentliche Kriterien waren die einfache Anwendbarkeit durch einen einheitlichen Bewertungsmaßstab und eine möglichst geringe Anzahl der Bewertungskriterien (Items), sowie hohe Interrater-Reliabilität (IRR), um ohne Notwendigkeit einer Schulung eine möglichst hohe Übereinstimmung zwischen den Bewertern zu erreichen. Die Checklisten sollen von medizinischen Experten genutzt werden, um bestehende Videos für die Studierenden zu bewerten und zu empfehlen bzw. abzuraten. Die entsprechende Empfehlungsliste soll zukünftig nach Lernzielen sortierbar auf einer Lernplattform erstellt durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt „Praktische klinische Kompetenz“ [28] in Zusammenarbeit mit der AG Lehre der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie den Lernenden und Lehrenden zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig sollten die Checklisten auch als Grundlage zur künftigen Erstellung von Lehrvideos genutzt werden können.