Gesundheitswesen 2004; 66(11): 732-738
DOI: 10.1055/s-2004-813779
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Präventive Hausbesuche im Alter: eine systematische Bewertung der vorliegenden Evidenz

Preventive Home Visits to the Elderly: Systematic Review of Available EvidenceM. Meinck1 , N. Lübke1 , J. Lauterberg2 , B.-P Robra3
  • 1Kompetenz-Centrum Geriatrie beim MDK Hamburg
  • 2AOK-Bundesverband, Stabsbereich Medizin, Bonn
  • 3Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie (ISMHE), Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. November 2004 (online)

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Zusammenfassung

Präventive Hausbesuche im Alter zielen auf die Reduktion der Mortalität, eine Vermeidung von Pflegeheim- und Krankenhausaufnahmen, die Verbesserung des funktionalen Status und des allgemeinen Wohlbefindens älterer Menschen in Gesundheitssystemen. Nur vereinzelt sind präventive Hausbesuche Regelleistungen. Seit mehr als 20 Jahren werden kontrolliert randomisierte Studien durchgeführt, um ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Dieser Beitrag bewertet die vorliegende Evidenz präventiver Hausbesuche im Alter im Zusammenhang mit Überlegungen um die Einführung eines solchen Leistungsangebotes im deutschen Gesundheitssystem. Mittels einer systematischen Literaturrecherche wurden drei aktuelle Übersichtsarbeiten (davon zwei Meta-Analysen) identifiziert, die insgesamt 26 mehrheitlich kontrolliert randomisierte Studien berücksichtigen. Weitere drei kontrollierte Originalarbeiten wurden identifiziert und ausgewertet. Die Originalarbeiten sind sehr heterogen hinsichtlich Zielsetzung, Zielgruppen, Intensität und Dauer der Hausbesuchsprogramme sowie der durchführenden Personen (Anzahl, Profession, Qualifikation und Kooperation). Eine gepoolte studienübergreifende Auswertung ist damit erschwert. Als relevante Zielgrößen konnten Mortalität, Pflegeheimaufnahmen, Krankenhausaufnahmen, funktionaler Status und psychosozialer Status berücksichtigt werden. Die systematischen Übersichtsarbeiten kommen zu unterschiedlichen Bewertungen der Wirksamkeit. Mittels quantitativer, studienübergreifender Auswertung konnte in einer Analyse die Wirksamkeit präventiver Hausbesuche im Alter sowohl für Studien mit selektiertem als auch unselektiertem Einschluss der Studienteilnehmer nachgewiesen werden. Die zweite Meta-Analyse konnte dieses Ergebnis nicht bestätigen. Wirksamkeit wurde hierbei erst mittels stratifizierter Analysen nachgewiesen, die als relevante Einflussfaktoren eine hohe Anzahl an Hausbesuchen, die Durchführung eines multidimensionalen Assessments mit Folgebesuchen, das Durchschnittsalter und die Morbidität der Teilnehmer ermittelten. Kein Einflussfaktor nahm jedoch auf mehr als eine der untersuchten Zielgrößen Einfluss. Insofern liegt damit ein sehr unspezifischer Wirksamkeitsnachweis bei weitgehend ungeklärten Erfolgsdeterminanten vor. Hausbesuchsprogramme wurden in unterschiedlichen Gesundheitssystemen erprobt. Ergebnisse aus kontrollierten (randomisierten) deutschen Studien wurden bisher nicht publiziert. Die Ergebnisse der Studien aus dem Ausland sind jedoch nur eingeschränkt auf die Bedingungen des deutschen Versorgungssystems übertragbar, da Möglichkeiten und Ausmaß einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verbesserung der präventiven Versorgung älterer Menschen vom jeweiligen nationalen Versorgungsniveau abhängig sind. Der Zusatznutzen eines Screenings ist vom empirischen Niveau der Versorgung, nicht von einem normativen Standard abhängig. Die Einführung präventiver Hausbesuche in Deutschland kann über Studien hinaus derzeit nicht empfohlen werden. Kontrollierte Studien in Deutschland erscheinen jedoch ausreichend begründet und sollten konzeptionell aufeinander abgestimmt durchgeführt werden.

Abstract

The aim of preventive home visits to elderly persons is to reduce mortality, to avoid admissions to nursing homes and hospitals and to improve the functional status and general wellbeing of the elderly. Preventive home visits are rarely a standard service in national health care systems. For over 20 years, controlled randomized studies have been carried out to test their effectiveness. This systematic review evaluates the evidence available on preventive home visits for elderly persons in the context of considerations relating to the incorporation of such a service into the German health care system. Three current systematic reviews (two of them meta-analyses) were identified in a systematic literature survey. They consider a total of 26 studies, most of them RCTs. A further three original controlled studies were identified and evaluated. The original studies were very heterogeneous with respect to goals, target groups, intensity and duration of the home visit programme and with respect to the individuals performing the study (number, profession, qualifications and cooperation). This makes it more difficult to perform a pooled overall evaluation. It was possible to consider mortality, admissions to nursing homes, functional status and psychosocial status as relevant target parameters. The systematic reviews arrive at different assessments of effectiveness. A quantitative, across-studies evaluation demonstrated that preventive home visits to elderly persons were effective both in studies with selected and with unselected inclusion of participants. The second meta-analysis did not confirm this result. Effectiveness here was only demonstrated using stratified analyses which investigated a large number of home visits, the performance of a multidimensional assessment with follow-up visits and the average age and morbidity of participants as relevant influencing factors. However no factor exerted an influence over more than one of the investigated target parameters. The findings thus constitute very unspecific evidence of effectiveness with largely unclear determinants of success. Preventive home visit programmes have been tested in various health systems. Results from controlled (randomised) German studies have not been published to date. The results of studies from other countries have only limited applicability to the conditions in the German health care system because the opportunities for, and extent of, economical and effective improvement in the preventive care of the elderly depend on the standard of care existing in the individual country. The additional value of screening depends on the empirical level of care and not on a given standard. At present the introduction of home visits in Germany cannot be recommended beyond studies. However there appear to be sufficient reasons for controlled studies in Germany which should be carried out in a coordinated way with mutual agreement on concepts.

Literatur

1 So beschäftigte sich die Arbeitsgruppe „Gesund altern” des Deutschen Forums Prävention und Gesundheitsförderung mit diesem Thema.

Dr. P. H. Matthias Meinck, Dipl.-Soz.

Kompetenz-Centrum Geriatrie beim MDK Hamburg

Hammerbookstr.5

20097 Hamburg

eMail: matthias.meinck@kcgeriatrie.de