Psychiatr Prax 2007; 34(1): 46-49
DOI: 10.1055/s-2006-959065
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Priorität für Atypika? Aktuelle Studien rücken einiges zurecht

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31 January 2007 (online)

 

Für kontroverse Diskussionen sorgt die im September 2005 im New England Journal of Medicine erschienene CATIE-Studie zur Effektivität antipsychotischer Substanzen bei chronischer Schizophrenie [1]: das pharmaunabhängige National Institute of Mental Health (NIMH) hat sie zum Vergleich von vier sogenannten "atypischen" Antipsychotika (Olanzapin, Risperdal, Quetiapin, Ziprasidon) mit dem "typischen" Perphenazin bei der Behandlung chronisch Schizophrener über (geplante) 18 Monate durchgeführt. Primäres Studienziel war die Frage, ob sich hinsichtlich eines (in der Praxis häufigen) Behandlungsabbruches die bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit postulierte Überlegenheit "atypischer" Substanzen abbilden würde. Das ernüchternde Ergebnis der Studie: 1061 von 1432 eingeschlossenen Patienten (74%) brachen die Behandlung vor dem Ablauf der geplanten 18 Monate ab. Während Olanzapin mit einer Abbruchquote von 64% und hinsichtlich einiger Parameter (Wirkung auf Psychopathologie, längere Dauer einer erfolgreichen Behandlung, weniger Hospitalisierungen) "moderate" Unterschiede zu Perphenazin erkennen ließ, gab es zwischen den anderen "Atypika" und Perphenazin keine Unterschiede. Für Olanzapin wurden Gewichtszunahme und Störungen des Glukose- und Fettstoffwechsels, für Perphenazin (wenn auch nicht statistisch signifikant von den "Atypika" unterschieden) extrapyramidale Nebenwirkungen (EPS) und für Risperidon Hyperprolaktinämien als häufige Nebenwirkungen angegeben. Als Ergebnis fassen die Autoren zusammen, dass sich bezüglich einer (beschränkten) Wirksamkeit von allen untersuchten "Atypika" einzig Olanzapin dem "herkömmlichen" Perphenazin überlegen erwies. Andererseits zeigte Olanzapin jedoch mehr Gewichtszunahme und andere Risikofaktoren, die für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms folgenschwere Implikationen haben können. Deshalb werde die Abwägung zwischen Wirksamkeit, Nebenwirkungen aber auch Arzneimittelpreisen die künftigen Anwendungsmuster der Antipsychotika bestimmen. In einem Editorial zur "CATIE"-Studie hat R. Freedman dieses Ergebnis dahingehend zusammengefasst, dass selbst die gefürchteten tardiven Dyskinesien unter herkömmlichen Antipsychotika weniger besorgniserregend zu sein scheinen als die potentiell fatalen metabolischen Probleme [2]. Die Frage, ob der bescheidene Zuwachs an Effektivität durch Olanzapin oder Clozapin ihren Einsatz rechtfertige, sei eine Frage der klinischen Abwägung und der Entscheidung aufgeklärter Patienten.

Zu einem ganz anderen Urteil kamen diesbezüglich Fritze et al. in einer "Mitteilung der DGPPN", die in der CATIE-Studie keinen Anlass sehen, "die Priorisierung atypischer Neuroleptikazu modifizieren" [3]. Gestützt wird diese Auffassung auf die sachlich zutreffende Kritik, dass in der CATIE-Studie Patienten mit bestehender tardiver Dyskinesie aus der Perphenazingruppe ausgeschlossen worden sind, was "potenziell" zu einer "erheblichen Verfälschung" der Befunde zugunsten des Perphenazin geführt habe. Dem steht jedoch entgegen, dass die (Ausnahme Olanzapin) Nichtüberlegenheit der "Atypika" gegenüber Perphenazin in der CATIE-Studie nicht überwiegend auf EPS, die lt. Studienprotokoll mit Anticholinergika behandelt wurden und bei 8% der Perphenazin- vs. 2% der Olanzapinpatienten zum Therapieabbruch führten, sondern auf mangelnde Wirksamkeit (Abbruchgrund bei 15-28% der Patienten), Unverträglichkeit (10-19%) und die Entscheidung der Patienten (bis 34%) zurückzuführen ist.

Dass das EPS-Risiko durch "herkömmliche" gegenüber "atypischen" Antipsychotika überschätzt wird, zeigen Studien, in denen entweder vergleichbare Äquivalenzdosierungen verwendet oder Anticholinergika zur Behandlung akuter EPS eingesetzt werden: eine Studie, die 5-20mg/d Olanzapin mit (nicht äquivalenten) 5-20mg/d Haloperidol unter prophylaktischer Gabe eines Anticholinergikums an 309 hospitalisierten, schizophrenen Patienten (ohne Ausschluss tardiver Dyskinesien!) verglich, ergab weder bezüglich Compliance und symptomatischer Besserung, noch bezüglich extrapyramidaler Symptome und Lebensqualität Vorteile des "atypischen" Olanzapin gegenüber Haloperidol [4].

Fritze et al. [3] behaupten, einer (in der Ära der "Hochdosierung" typischer Neuroleptika) ermittelten Inzidenz tardiver Dyskinesien von 5% stehe eine "geschätzte" Inzidenz von jährlich 1% unter "Atypika" gegenüber. Dem widerspricht, dass kürzlich in einer Studie eine jährliche Inzidenz tardiver Dyskinesien unter Haloperidol von 2,7% [5] und unter "Atypika" im Rahmen einer Metaanalyse eine Gesamtinzidenz von 2,1% angegeben wurde [6]. Daraus ist - besonders mit Hinblick auf die von Fritze et al. [3] völlig ausgeblendeten Risiken der "Atypika" bezüglich metabolischer und hormoneller Veränderungen - kein nachvollziehbarer Grund für eine "Priorisierung" der "Atypika" abzuleiten.

Auch die von Fritze et al. [3] angeführten besseren Wirkungen "atypischer" Antipsychotika auf "kognitive Funktionen" sind kritisch zu hinterfragen: in der S3-Behandlungsleitlinie der DGPPN (2005) werden "Atypika" zwar mit dem höchsten Empfehlungsgrad A zur Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen empfohlen, die dafür angebotene Evidenz ist aber mehr als dürftig. Das Design der verwendeten Studien sei (so wörtlich in der Leitlinie) "mit unterschiedlicher Vorbehandlung, unterschiedlichem medikamentenfreiem Intervall, fehlender Verblindung und Randomisierung, zu kurzer Behandlungsdauer, fehlendem zweiten Messzeitpunkt, ungenügender Fallzahl, ungeeigneten neuropsychologischen Testverfahren und zu hohen Dosierungen der Typika sowie unterschiedlicher Medikation mit Anticholinergika" kritisiert worden. Es ist nicht nachvollziehbar, wie daraus ein (höchster) Empfehlungsgrad A abgeleitet werden kann, wenn die zitierte Metaanalyse neuerer Studien zu dem Schluss kommt, der "neurokognitive Vorteil" atypischer Neuroleptika sei womöglich nicht so groß, wie ursprünglich angenommen [7].

Kognitive Defizite schizophrener Patienten bestehen bereits zu Beginn der Erkrankung und zeigen unter neuroleptischer Behandlung ("typisch" wie "atypisch") im weiteren Verlauf eine weitgehende Stabilität bzw. geringgradige Besserung. Das ist das Ergebnis einer im Vergleich zu zahlreichen methodisch mangelhaften Studien zum Vergleich hoher Dosierungen herkömmlicher mit moderaten Dosierungen "atypischer" Antipsychotika qualitativ hochwertigen prospektiven Untersuchung an 71 ersterkrankten Schizophrenen, die zu verschiedenen Zeitpunkten (verglichen mit einer alters-, bildungs- und geschlechtsgematchten, gesunden Kontrollgruppe) mit einer umfangreichen neuropsychologischen Testbatterie untersucht wurden [8],[9].

Mit Ausnahme des Untertests "Wortflüssigkeit" ergab sich für keinen der verwendeten neuropsychologischen Tests ein signifikanter Einfluss der antipsychotischen Medikation und kein Unterschied zwischen "typischen" und "atypischen" Antipsychotika.

"Atypika" sind weder pharmakologisch, noch hinsichtlich erwünschter und unerwünschter Wirkungen eine homogene Gruppe. Ihre - lediglich unter Anwendung unverhältnismäßig hoher Vergleichsdosen "typischer" Antipsychotika - behauptete "Überlegenheit" gegenüber konventionellen Substanzen ist in neueren, nicht pharmagesponsorten Studien nicht mehr nachzuweisen.

So ergab eine durch Hugenholtz et al. durchgeführte Metaanalyse von 32 randomisierten klinischen Studien zum Vergleich "atypischer" und herkömmlicher Neuroleptika (überwiegend Haloperidol), dass in diesen Studien Haloperidol in Dosierungen eingesetzt wurde, die deutlich über den für mäßige bis schwere psychotische Störungen empfohlenen Dosierungen der US Food and Drug Administration (FDA) bzw. der britischen British National Formulary lagen [10]. Die Schlussfolgerung der Autoren lautet, dass die "Überlegenheit" der "atypischen" Neuroleptika in den analysierten Studien wahrscheinlich auf der zu hohen Vergleichsmedikation von Haloperidol (mit ihren zu erwartenden Auswirkungen bezüglich extrapyramidaler Nebenwirkungen, aber auch Lebensqualität, Kognition und sekundärer Minussymptomatik) beruht.

Eine Studie zur neuroleptischen Weiterbehandlung von 2230 schizophrenen Patienten nach ihrer stationären Behandlung zwischen 1/1995 und 12/2001 im Rahmen der Gemeindepsychiatrischen Versorgung in Finnland verglich (ähnlich CATIE) die Abbruchraten der medikamentösen Therapie, die Zahl der stationären Wiederaufnahmen und die allgemeine Mortalität unter einer Monotherapie mit den 10 in Finnland gebräuchlichsten Antipsychotika [11]. Von den untersuchten Antipsychotika erwiesen sich Perphenazin-Depot, Clozapin, und Olanzapin hinsichtlich der Behandlungstreue und Vermeidung von Wiederaufnahmen allen anderen untersuchten Medikamenten (einschließlich Haloperidol, das mit 8mg/Tag[Medianwert] dosiert wurde) überlegen. Die Autoren kommen zu der Schlussfolgerung, dass die Effektivität der untersuchen Antipsychotika der ersten (herkömmliche) und zweiten ("Atypika") Generation (darunter Chlorprothixen, Thioridazin, Risperidon, Haloperidol, Chlorpromazin, Levomepromazin und Kombinationen) erhebliche Unterschiede aufweist und dass sich Perphenazin-Depot, Clozapin und Olanzapin ("gruppenübergreifend") als wirksamste Medikamente hinsichtlich Rehospitalisierung und Therapieabbruch erweisen.

Die sog. CUtLASS 1 (Cost Utility of the Latest Antipsychotic Drugs in Schizophrenia Study)-Studie liefert weitere Evidenz dafür, dass die in früheren Studien gefundene Überlegenheit der "Atypika" wohl in erster Linie auf (dem Industriesponsoring zuzuschreibende) "Designartefakte" (überhöhte Dosierung der herkömmlichen Vergleichssubstanzen) und einen Bewertungs-"bias" zugunsten gesponsorter Medikamente zurückzuführen ist [12]. Diesen Bewertungs-"bias" haben kürzlich Heres et al. in ihrer Arbeit "Why Olanzapine beats Risperidone, Risperidone beats Quetiapine, and Quetiapine beats Olanzapine" überzeugend aufgezeigt [13]. Bei einem "Follow-up" über 12 Monate zeigten die untersuchten "Atypika" (Risperidon, Olanzapin, Amisulprid, Zotepin und Quetiapin) in CUtLASS 1 gegenüber herkömmlichen Antipsychotika wie u.a. Chlorpromazin, Flupentixol, Haloperidol einschließlich der gängigen Depotpräparate keine Vorteile hinsichtlich der untersuchten Parameter Lebensqualität, Abbruchraten, symptomatische und unerwünschte Wirkungen [12].

Auch bezüglich der therapeutischen Effizienz der "Atypika" als Gruppe bei schwierig zu behandelnden bzw. therapieresistenten schizophrenen Psychosen ergeben aktuelle, nicht pharmagesponsorte Studien ein ernüchterndes Bild:

In einer Erweiterung der CATIE-Studie wurden 99 Patienten, die als Teilnehmer der CATIE-Studie eine Therapie mit einem atypischen Antipsychotikum (Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon) abgebrochen hatten entweder mit Clozapin (n = 49) oder aber mit einem Atypikum weiterbehandelt, das sie vorher nicht erhalten hatten (19 Olanzapin, 15 Quetiapine, 16 Risperidon). Dabei erwies sich Clozapin sowohl bezüglich der Therapieabbrüche aus irgendeinem Grund wie auch der Therapieabbrüche wegen mangelnder therapeutischer Wirkung allen anderen "Atypika" eindeutig überlegen. Aufgrund der überlegenen Effektivität des Clozapins fordern die Autoren verstärkte Bemühungen um einen häufigeren Einsatz des Medikamentes. In CUtLASS 2 14 wurde Clozapin über 12 Monate mit Risperidon, Olanzapin, Quetiapin und Amisulprid bei 136 Patienten verglichen, deren Medikation nach dem erfolglosen Einsatz von mindestens 2 anderen Antipsychotika auf Clozapin umgestellt worden war. Clozapin zeigte sich in dieser Studie bezüglich der symptomatischen Besserung den übrigen "Atypika" überlegen. Hinsichtlich der Lebensqualität konnten keine Unterschiede zwischen den Substanzen festgestellt werden. Die Schlussfolgerung der Autoren stellt ihre Untersuchung in eine Reihe mit den Ergebnissen von CUtLASS 1, wonach mit Ausnahme von Clozapin die untersuchten "Atypika" im Verlauf eines Jahres keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen Neuroleptika bei Patienten ergaben, deren neuroleptische Medikation mangels therapeutischer Wirksamkeit umgestellt wurde.

Im Unterschied zu der von Fritze et al. [3] weiterhin geforderten "Priorisierung" atypischer Neuroleptika in der Behandlung schizophrener Psychosen fallen - im Licht aktueller, nicht pharmagesponsorter klinischer Studien - die Urteile internationaler Experten deutlich zurückhaltender aus. So schreibt z.B. Lieberman (Erstautor der CATIE-Studie) in einem Kommentar zu CATIE und CUtLASS 1 [15]: "Die Ergebnisse von CUtLASS 1 und CATIE sind ernüchterndUngeachtet einiger (im Text vorgebrachter) Einschränkungen muss jede vernünftige und objektive Betrachtung der Evidenz im Lichte von CUtLASS 1 und CATIE zu der Schlussfolgerung führen, dass - vielleicht mit Ausnahme von Clozapin - die SGAs (second generation antipsychotics/"Atypika") nicht der große therapeutische Durchbruch sind, für den sie einst gehalten wurden; bestenfalls stellen sie einen kleinen (incremental) Fortschritt dar."

Auch Gardner et al. [16] kommen in einer kritischen Übersicht zu "Atypika" (modern antipsychotic drugs) zu der Schlussfolgerung: " Die modernen Antipsychotika bieten einige nützliche therapeutische Optionen und das Risiko extrapyramidaler Nebenwirkungen ist grundsätzlich geringer als bei den alten Medikamenten. Als Gruppe unterscheiden sich die modernen Antipsychotika erheblich bezüglich ihrer Pharmakologie und der Risiken spezifischer Nebenwirkungen. Mit Ausnahme von Clozapin bieten sie keine wesentlichen Vorteile bezüglich Effektivität und Verträglichkeit. Einige bergen in Verbindung mit Diabetes, Hyperlipidämie und Hypertonus potenziell wichtige Nebenwirkungen. Als Gruppe sind sie wesentlich teurer als herkömmliche Medikamente, die z.T. als Generika erhältlich sind. Es erscheint sinnvoll, bei der Behandlung schizophrener Psychosen Medikamente beider Gruppen (herkömmliche und neu entwickelte) in Betracht zu ziehen und die Patienten über die relativen Vorteile, Risiken und Kosten zu informieren, die mit der jeweiligen Auswahl verbunden sind."

Mit Hinblick auf die hier referierten aktuellen Studien ist der in der S-3 "Behandlungsleitlinie Schizophrenie" (DGPPN, 2006) postulierte Einsatz von "Atypika" als nicht differenzierter "Gruppe" von Substanzen als "Medikamente der ersten Wahl" unter der Leitlinie einer evidenzbasierten Medizin nicht nachvollziehbar. Die Empfehlungen der "Behandlungsleitlinie Schizophrenie" führen in der Konsequenz zu einer zu Recht infrage gestellten Kostensteigerung bei der medikamentösen Versorgung schizophrener Patienten, die sich z.B. in den USA zwischen 1994 (5% der schizophrenen Patienten erhielten "atypische" Neuroleptika) und 2004 (90% "Atypika") von $ 140 Mio. auf über 1 Billion US-$ erhöht haben [17].

Keinem Patienten, der von herkömmlichen Antipsychotika nicht profitiert oder unter nicht therapierbaren Nebenwirkungen leidet, soll und darf aus finanziellen Gründen eine Behandlung mit besser wirksamen oder verträglichen Medikamenten vorenthalten werden. Andererseits sollte der Einsatz herkömmlicher Antipsychotika jedoch nicht - wie dies die S3-Leitlinie der DGPPN und der Kommentar von Fritze et al. [3] nahe legen - a priori auf seltene "Ausnahmefälle" begrenzt, sondern - wie dies auch internationale Experten nahe legen, als gleichwertige Therapieoption in Betracht gezogen werden.

Literatur

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  • 17 Rosenheck R . Comparative Effectiveness of Antipsychotic Drugs. A Commentary on Cost Utility of the Latest Antipsychotic Drugs in Schizophrenia Study (CUtLASS 1) and Clinical Antipsychotic Trials of Intervention Effectiveness (CATIE).  Arch Gen Psychiatry. 2006;  63 1069-1072