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DOI: 10.1055/s-2007-965100
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Farbensinnprüfung in der Praxis
Wann ist sie sinnvoll? Welche Diagnostik ist praktisch zu leisten? Wie wird die Untersuchung richtig durchgeführt?Publication History
Publication Date:
03 May 2007 (online)
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Was ist Farbe?
Farben sind Eigenschaften des Betrachters
Farben sind Eigenschaften des Betrachters, nicht der Sehobjekte. |
Erst die Verrechnung der Signale aus mehreren Rezeptoren bewirkt im Kortex Farbenwahrnehmung. Ein Zapfen allein ist farbenblind. |
Signalverarbeitung und Resultat stimmen bei den meisten Beobachtern so gut überein, dass uns Farbe als objektives Merkmal der visuellen Umgebung erscheint. Zwar kann das innere, persönliche und offenbar doch gemeinsame Erlebnis der Farben bis heute nicht eigentlich nachvollzogen werden. Die Analyse des Farbensinns gibt jedoch Einblick in neuronale Strukturen und Funktionen des visuellen Systems, sowie in Fehlfunktionen und strukturelle Fehler. So wie Farben Eigenschaften des Betrachters sind, sind es auch – eigentlich noch sinnfälliger – die Farbensinnstörungen.
Bei angeborenen Fehlfunktionen
Bei angeborenen Fehlfunktionen ist die Ermittlung von Art und Umfang der Farbensinnstörung selbst das eigentliche Untersuchungsziel. |
Erworbene Störungen des Farbensinns treten als Krankheitssymptome verschiedenster Strukturen des visuellen Systems auf. |
Im Vergleich zu Sehschärfe, Gesichtsfeld, Kontrastempfindung, Hell-Dunkel-Anpassung ist die Farbenwahrnehmung die komplexeste aller Sehfunktionen. Entsprechend sensitiv sind Farbensinnprüfungen in der ophthalmologischen Diagnostik und entsprechend vielfältig sind die Schadensvorgänge, die Farbensinnstörungen bewirken können.
Wann sind Farbensinnprüfungen sinnvoll?
Die Indikationen lassen sich, orientiert an den Symptomen der Patienten, in drei Gruppen gliedern:
Farbensinnprüfungen sind indiziert,
-
wenn der Patient eine Farbensinnstörung bemerkt
Eine Farbensinnstörung, die dem Patienten auffällt, zeigt eine Erkrankung von Netzhaut, Sehnerv, oder Sehbahn an.
-
wenn der Patient eine Sehstörung ohne erkennbares Korrelat bemerkt. Dann kann der Nachweis einer Farbensinnstörung – oder auch der Nachweis ihres Fehlens – zur Abklärung beitragen. Störungen des neuronalen Gefüges lassen sich so von Störungen der optischen Abbildung unterscheiden. Schäden durch retrobulbäre Ursachen (inflammatorisch, ischämisch, traumatisch, kompressiv) sind zunächst nicht ophthalmoskopisch erkennbar. Auch Schäden durch ultrastrukturelle Veränderungen – hereditär, toxisch – entziehen sich der Ophthalmoskopie. Funktionsprüfungen müssen dann die Diagnostik leisten. Farbensinnprüfungen sind besonders sensitiv;
-
wenn
Bei einer Sehstörung ohne Korrelat kann die Untersuchung des Farbensinns in einfacher Weise wesentliches zur Diagnostik beitragen.
Angeborene Rot-Grünsinn-Störungen fallen den Betroffenen nicht auf, weil sie niemals anderen Seherfahrungen machen konnten.
In welchen Formen können Farbensinnstörungen auftreten?
Die Erscheinungsformen der Farbensinnstörungen lässt sich gliedern in
-
Entsättigung: Farben werden blasser und trüber wahrgenommen, was den Betroffenen im Seitenvergleich auffällt. Ein beidseitiger Befall wird im Vergleich zur früher geleisteten Farbunterscheidung auffällig. Solche Symptome kennzeichnen Erkrankungen von Netzhaut und Sehnerv;
-
Verwechslungen: Einigen Beobachtern erscheinen Farben gleich, die von der Mehrheit ihrer Umgebung unterschiedlich gesehen werden. Dies ist die Konstellation der angeborenen Rot-Grünsinn-Störungen. Die häufig verwendete Bezeichnung „farbenblind“ ist zu grob. Bei Fehlen oder Unterwertigkeit eines Zapfentyps besteht nur eine Teilleistungsstörung des Farbensehens;
-
Chromatopsie: Es werden zusätzliche Farben wahrgenommen, die kein Außenweltkorrelat haben. Chromatopsien können bei Intoxikationen auftreten, aber auch bei zerebralen Insulten, dann typischerweise im Gesichtsfeldausfall. Sie können auch Vorzeichen eines Insults sein.
-
Achromatopsie: Es werden überhaupt keine Farben wahrgenommen. Entweder wird retinal kein entsprechendes Signal erzeugt, weil von Geburt an sämtliche Zapfen fehlen oder es wird zerebral das Netzhautsignal nicht mehr verstanden, weil ein Insult das zuständige Zentrum ausgelöscht hat.
Untersuchungen des Farbensinns beinhalten mehrheitlich einfache Techniken. Details der richtigen Indikation und Nutzung entscheiden über den diagnostischen Erfolg.
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Prof. Dr. H. Krastel
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