GGP - Fachzeitschrift für Geriatrische und Gerontologische Pflege 2018; 02(03): 102-103
DOI: 10.1055/a-0584-6011
Kolumne
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Warum brauchen wir ein Qualitätsmanagement?

Sabine Hindrichs
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Publication Date:
13 June 2018 (online)

QM: Unterstützung für die Praxis oder Selbstzweck?

Wer hat eigentlich das Qualitätsmanagement erfunden? Und wie konnte es passieren, dass im Alltag das Qualitätsmanagement so Oberhand über die Pflege gewinnen konnte, dass es nicht als Unterstützung in der Praxis wahrgenommen wird, sondern als eine weitere, zumeist als überflüssige Bürokratie empfundene Anforderung in einer ohnehin schon sehr belastenden Arbeitssituation?

In der Industrie ist Qualitätsmanagement bereits seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil in der Organisation, Beschreibung und Festlegung von Prozessen und Arbeitsabläufen. Gedacht als strukturierende Unterstützung von festgelegten Arbeitsprozessen, wurde mit Einführung der Pflegeversicherung das Qualitätsmanagement bzw. die Sicherstellung von Qualitätszielen aus der Industrie in das Sozialgesetzbuch XI übernommen. Den Anspruch, qualifizierte fachliche Pflege zu erbringen, haben wir wohl alle, aber ist dies durch umfangreiche Vorgaben, Reglementierungen und Überprüfungsinstrumente zu erreichen? Ich habe da so meine Zweifel.

In meinem Berufsalltag erlebe ich vor Ort ein Qualitätsmanagement, das völlig losgelöst vom Tagesgeschäft und den damit verbundenen Anforderungen ist, weit weg von der Basis, und sich ausschließlich an gesetzlichen Anforderungen und normativen Vorgaben ausrichtet, ohne die Alltagswirklichkeit in der Pflege zu berücksichtigen oder gar sich daran zu orientieren.

Gesetzliche Rahmenbedingungen und die nationalen Expertenstandards sind die Grundlagen für unser pflegerisches Handeln. Die Aufgabe eines praxisnahen Qualitätsmanagements ist es, diese Grundlagen so aufzubereiten und der Einrichtung anzupassen, dass die erstellten Dokumente und Prozessbeschreibungen eine Arbeitsunterstützung und ein Arbeitsrahmen für die praktische Pflege vor Ort sind. Aber ist das so? Fragt man die Kollegen in der Pflege, was für sie Qualitätsmanagement heißt, wird die Antwort sicherlich nicht gerade positiv ausfallen. In der Regel wird Qualitätsmanagement mit Kontrolle und stetig wachsenden neuen Anforderungen, wie Checklisten und Auswertungen, gleichgesetzt. Ein Nutzen für die Arbeit beim Patienten bzw. Bewohner wird damit nicht verbunden. Im Gegenteil: Das Qualitätsmanagement wird nicht als ein sinnvoller Bestandteil der Pflege betrachtet, sondern zu den Personen und Dingen gezählt, die unsere Arbeit erschweren, unseren Berufsstand bevormunden und mit zu vielen Vorgaben überfrachten.

Ich glaube, ich kann für die Praxis sprechen, dass es nicht die Patienten oder Bewohner sind, die unsere tägliche Arbeit und unseren Beruf oft so schwierig machen. Es sind vielmehr die Rahmenbedingungen und Anforderungen, die im Alltagsgeschäft nicht erklärbar sind und deren Nutzen nicht erkennbar ist, die uns fragen lassen, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hat.

Pflegedienstleitungen, Stationsleitungen und Wohnbereichsleitungen sind in ihrem Tagesgeschäft oft sehr wenig mit Patienten bzw. Bewohnern beschäftigt. Sie versuchen unermüdlich, den Spagat zwischen Personalbeschaffung, Mitarbeitermotivation und den immer weiter wachsenden Anforderungen von Gesetzen und Qualitätsvorgaben halbwegs hinzubekommen. Am Ende eines Tages ist man hier einfach nur froh, dass die Einrichtung den Tag überstanden hat und unter den gegebenen Bedingungen alle Patienten oder Bewohner gut versorgt wurden. Auch wenn unsere eigenen persönlichen Ansprüche nicht immer erfüllt worden sind, so sind wir dennoch oder vielleicht gerade deshalb froh, es geschafft zu haben – zusammen als Team.

Prüfinstanzen, Qualitätsmanagement und in Konsequenz so manche Geschäftsführung sind in dieser Situation der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, indem sie uns erklären, was alles falsch läuft oder nicht sorgfältig und nicht zeitlich genau wie geplant von uns durchgeführt worden ist.

Es ist schon fast ein körperlicher Angriff auf uns Pflegende, wenn man in den Medien und der Politik die aktuelle Diskussion über die Pflege verfolgt. Sicherlich ist Geld ein Faktor und dass Leistung entsprechend entlohnt werden muss, aber das ist nicht zwingend der Hauptfaktor. Kein Geld der Welt kann die permanente Überschreitung sowohl körperlicher als auch physischer Belastungsgrenzen ersetzen bzw. ertragbar machen. Warum gibt es so viele Teilzeitstellen in der Pflege? Weil unter anderem viele der Kollegen die Anforderungen einer Vollzeitstelle schlicht und ergreifend weder körperlich noch psychisch erfüllen können. Permanentes Einspringen, zu wissen, dass der freie Tag, das freie Wochenende zu 80 % nicht frei sein wird, weil wieder jemand ausgefallen ist. Das schlechte Gewissen gegenüber den Patienten bzw. Bewohnern oder Kollegen macht sich bemerkbar, wenn ich nicht ans Telefon gehe, weil ich weiß, dass ich einspringen muss, damit nicht alles zusammenbricht. Diesen Druck hält keiner unbeschadet längere Zeit aus, und solange wir als Gesellschaft daran nichts ändern, werden wir in einem immer schneller werdenden Tempo dem pflegerischen Versorgungssupergau entgegentaumeln.

Wir haben alle unseren Qualitätsanspruch, aber Vorgaben auf dem Papier schaffen keine Qualität vor Ort im Alltag, und der Ausbau von Qualitätsprüfung schafft keine Qualitätssteigerung!

Ihre

Sabine Hindrichs
sabine@hindrichs-pflegeberatung.de