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DOI: 10.1055/a-0749-0759
Erfahrungen und Einstellungen zu körperlicher Aktivität und Training bei Patienten mit chronischen Schmerzen: Qualitative Interviewstudie
Experiences and Attitudes about Physical Activity and Exercise in Patients with Chronic Pain: A Qualitative Interview StudyPublication History
Publication Date:
06 December 2018 (online)
Zusammenfassung
Hintergrund
Chronische Schmerzen stellen ein großes Gesundheitsproblem mit Auswirkungen auf das Individuum, die Familie und die Gesellschaft dar [1]. Da bislang keine kurative Therapie chronischer Schmerzen existiert, wird der körperlichen Aktivität und dem Training eine zentrale Bedeutung beigemessen [2]. Trotz der bekannten signifikant positiven Auswirkung von körperlicher Aktivität und Training bei chronischen Schmerzen führen nicht alle Betroffenen diese konsequent durch. Es gilt, Strategien zu entwickeln, wie deren diesbezügliche Motivation gefördert werden kann. Dazu ist es zunächst notwendig herauszufinden, wie sie körperliche Aktivität und Training erleben.
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Ziel
Ziel der Studie war es, Erfahrungen von Patienten mit chronischen Schmerzen hinsichtlich körperlicher Aktivität und Training zu beschreiben.
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Methode
Mittels halbstrukturierter Interviews wurden 18 Personen zwischen 18 und 65 Jahren (16 Frauen, 2 Männer) zu ihren Erfahrungen bezüglich körperlicher Aktivität und Training befragt. Einschlusskriterien für die Studienteilnahme waren chronische Schmerzen seit mindestens 3 – 6 Monaten sowie die Teilnahme an einer multimodalen Schmerztherapie am Schmerz- und Rehabilitationszentrum des Universitätskrankenhauses Linköping (Schweden). Die Rehabilitation durfte noch nicht begonnen haben und keine weiteren pharmakologischen und invasiven Behandlungen erfolgen.
Die 30- bis 45-minütigen Interviews fanden im Schmerz- und Rehabilitationszentrum statt. Der Fragebogen bestand aus 3 Hauptfragen. Dabei sollten die Teilnehmenden zunächst über ihre Erfahrungen bezüglich körperlicher Aktivität und Training berichten. Anschließend wurden sie über ihre Motivation befragt, körperliche Aktivität und Training auszuführen. Zuletzt sollten sie ihre Erfahrungen in Bezug auf körperliche Aktivität und Training als Behandlung ihrer Schmerzen beschreiben. Die Interviews wurden auditiv aufgezeichnet, transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet.
Zusätzlich zu den Interviews sollten die Teilnehmenden 5 weitere standardisierte Fragebogen [1] [2] [3] [4] [5] zum aktuellen Level von körperlicher Aktivität und Training, dem Status bezüglich Depression und Ängstlichkeit, der Selbstwirksamkeit, schmerzbezogener Angstvermeidungsüberzeugungen sowie schmerzbezogener psychologischer Inflexibilität ausfüllen. Die dadurch erhaltenen Daten wurden statistisch ausgewertet und zur Beschreibung der interviewten Gruppe genutzt.
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Ergebnisse
Die Analyse der Interviews ergab 5 nachfolgend dargestellte Themenkomplexe. Zusammenfassend stehen sie unter dem Hauptthema „Schwierigkeiten bewältigen und Gelegenheiten ergreifen, um trotz chronischer Schmerzen körperlich aktiv zu sein“.
Ein Leben mit körperlicher Aktivität wertschätzen
Auch wenn chronische Schmerzen die Ausübung körperlicher Aktivität erschweren, wird es als erstrebenswert angesehen, weiterhin körperlich aktiv zu bleiben. Die Befragten gehen davon aus, dass regelmäßige körperliche Aktivität die Lebensqualität positiv beeinflusst. Dadurch erhoffen sie sich nicht nur eine Reduktion der chronischen Schmerzen, sondern auch die Prävention von Erkrankungen. Zugleich verbinden sie körperliche Aktivität mit Unabhängigkeit und Autonomie. Demgegenüber rufe eine reduzierte körperliche Aktivität Resignation, Trauer, Stress, Frustration und Hoffnungslosigkeit hervor.
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Körperliche Aktivität und Training – vor und nach Schmerzen
Die Wahrnehmung von körperlicher Aktivität und Training vor Beginn der Schmerzen unterscheidet sich stark zur Wahrnehmung nach Einsetzen der Schmerzen. Während die Befragten vor Beginn der Schmerzen durch körperliche Aktivität und Training positive Erfahrungen und ein Gefühl des Wohlbefindens erleben, erfahren sie nun eine Einschränkung in den Möglichkeiten der körperlichen Aktivität und des Trainings durch die Schmerzen. Dies ruft ein Gefühl des Scheiterns hervor und führt in Folge zu einer Reduktion vorheriger sportlicher Aktivitäten.
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Ein Kampf – Schwierigkeiten und Herausforderungen
Die Befragten geben weitere Gründe an, die zu einer Verringerung der körperlichen Aktivität und des Trainings führen. Basierend auf vorherige Erfahrungen haben sie Angst, durch körperliche Aktivität und Training die Schmerzen zu verstärken und sich möglicherweise selbst zu schaden. Körperliche Beeinträchtigungen erschweren die Ausführung bestimmter körperlicher Aktivitäten. Gründe sind hier insbesondere die Schmerzen, aber auch fehlende Energie wegen z. B. schlechtem Schlaf. Als schwierig erachten sie auch, bisherige Gewohnheiten zu verändern. Dazu zählt, die veränderten persönlichen Grenzen wahrzunehmen und die Aktivitäten entsprechend zu gestalten und zu dosieren.
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Körperliche Aktivität ermöglichen
Um körperliche Aktivität zu ermöglichen, ist es wichtig, diese in ihrer Form und Dosis entsprechend an den körperlichen Status anzupassen. Die Erfahrung, durch körperliche Aktivität die Schmerzen zu reduzieren, fördert die Motivation. Das Setzen von erreichbaren Teilzielen und die Fokussierung auf diese wird als wichtig erachtet, um die Motivation aufrechtzuerhalten.
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Notwendigkeit der kontinuierlichen und aktiven Unterstützung
In Bezug auf physiotherapeutische Maßnahmen berichten die Befragten, dass sich die physiotherapeutische Behandlung auf lokale Körperregionen beschränkte. Die Verbesserung genereller Funktionen und die Motivierung zur Ausübung allgemeiner körperlicher Aktivitäten waren selten Bestandteil der Therapie. Positiv heben sie hervor, dass die Therapeuten Ratschläge zu allgemeinen Schmerzmanagement erteilten.
Häufig erzielen die Therapien nur geringe Verbesserungen der Schmerzsituationen. Die Befragten fühlen sich nicht ausreichend über Ursachen ihrer Erkrankungen sowie möglicher Therapieoptionen informiert. Zudem bemängeln sie eine unzureichende individuelle Anpassung der Behandlung und eine fehlende Evaluation. Eine kontinuierliche Unterstützung durch kompetentes und empathisches therapeutisches Personal sei notwendig, um Vertrauen aufzubauen.
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Schlussfolgerungen
In der Absicht, körperliche Aktivität und Training durchzuführen und deren tatsächlicher Ausübung, konnte eine Lücke identifiziert werden. Diese lässt sich hauptsächlich auf Schmerzen in der Ausübung sowie mangelnde ex- und intrinsische Motivation zurückführen. Zur Unterstützung der körperlichen Aktivität im Rahmen von Therapiesitzungen sollte eine sorgfältige Analyse der Patienten erfolgen, um die Therapie entsprechend individuell anzupassen. Eine enge Zusammenarbeit der Betroffenen mit dem therapeutischen Personal ist unerlässlich, um individuelle Strategien zu erarbeiten und erreichbare Teilziele zu definieren.
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Literatur
- 1 Van Hecke O, Torrance N, Smith BH. Chronic pain epidemiology and its clinical relevance. Br J Anaesth 2013; 111: 13-18
- 2 Turk DC, Wilsopn HD, Cahana A. Treatment of chronic non-cancer pain. Lancet 2011; 377: 2226-2235
- 3 IPAQ-Group. International Physical Activity Questionnaire. 2017 www.sites.google.com/site/theipaq (22.09.2018)
- 4 Zigmond AS, Snaith RP. The hospital anxiety and depression scale. Acta Psychiatr Scand 1983; 67: 361-370
- 5 Nicholas MK. The pain self-efficacy questionnaire: taking pain into account. Eur J Pain 2007; 11: 153-163
- 6 Waddell G, Newton M, Henderson I. et al. A Fear-Avoidance Beliefs Questionnaire (FABQ) and the role of fear-avoidance beliefs in chronic low back pain and disability. Pain 1993; 52: 157-168
- 7 Wicksell RK, Olsson GL, Melin L. The chronic pain acceptance questionnaire (CAPQ) – further validation including a confirmatory factor analysis and a comparison with the Tampa Scale of Kinesiophobia. Eur J Pain 2009; 13: 760-768