Klin Monbl Augenheilkd 2019; 236(02): 132-133
DOI: 10.1055/a-0818-1764
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neurologische Aspekte des Glaukoms

Neurological Aspects of Glaucoma
Carl Erb
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Publikationsdatum:
14. Februar 2019 (online)

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Die glaukomatöse Optikusneuropathie wird in der Regel von den Augenärzten als eine rein ophthalmologische Erkrankung angesehen, bei der ausschließlich der Sehnervenkopf strukturell untersucht und meistens mit der achromatischen Perimetrie der funktionelle Schaden erfasst wird. Zudem besitzen sie den Anspruch, durch ihre augeninnendrucksenkende Therapie den verschiedenen Glaukomformen insofern gerecht zu werden, dass sie die glaukomatöse Progression erheblich verlangsamen und der altersentsprechenden, natürlichen Progression angleichen wollen. Und doch zeigt sich immer wieder in den verschiedenen Studien, dass allein die drucksenkende Therapie nicht ausreicht, um die Progression der Sehnervenveränderungen in den Griff zu bekommen [1]. In den letzten Jahren wurden intensive Anstrengungen unternommen, zusätzliche Risikofaktoren für die Progression herauszufiltern, die für die glaukomatöse Optikusneuropathie ungünstig sind. Hierbei haben sich vor allem vaskuläre Risikofaktoren herausgestellt, wie eine nächtliche diastolische Blutdruckabsenkung unter 50 mmHg [2], starke Blutdruckschwankungen [3], ein erhöhter Blutdruck [4] sowie generell kardiovaskuläre Erkrankungen [5]. Zudem wurde es in den letzten Jahren immer deutlicher, dass beim primären Offenwinkelglaukom (POWG) eine primäre Mitochondriopathie vorliegt, die durch mitochondriale DNA-Veränderungen charakterisiert ist [6] und im späteren Verlauf durch sekundäre Mitochondriopathien, wie z. B. beim Diabetes mellitus, überlagert wird. Aus diesen Beobachtungen heraus ergibt sich die Frage, ob das Glaukom nicht generell eine Mitochondriopathie darstellt, die zu einer neurodegenerativen Erkrankung führt. In diesem Sinne sind viele neue Arbeiten entstanden, die uns heute ein völlig anderes Bild von einem POWG zeigen, als wir es noch vor 20 Jahren her kannten. Diese neu gewonnenen Erkenntnisse werden in der klinischen Routine aber bisher wenig berücksichtigt. Denn die Wahrnehmung dieser Befunde bedeutet ein generelles Überdenken im Umgang mit dem POWG. Es wird in der Zukunft nicht mehr ausreichen, lediglich mit augeninnendrucksenkenden Augentropfen den Glaukompatienten zu behandeln. Wir müssen lernen, dass wir es mit dem POWG mit einer komplexen neurodegenerativen Erkrankung zu tun haben, die weit mehr als nur den Sehnerv beteiligt. Die vorliegenden Arbeiten sind ein wichtiger Beitrag zu diesem Verständnis.