Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2019; 54(11/12): 652-667
DOI: 10.1055/a-0853-3060
Topthema
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Empfehlungen zur Erfassung und Beschreibung perioperativer kognitiver Störungen in Wissenschaft und Praxis

Recommendations for the Detection and Specification of Perioperative Neurocognitive Disorders
Friedrich Borchers
,
Cornelia Knaak
,
Sophie K. Piper
,
Claudia Spies
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 December 2019 (online)

Zusammenfassung

Perioperative kognitive Störungen treten bei über 70-jährigen Patienten häufig auf und führen zu einer reduzierten Lebensqualität. Dieser Beitrag stellt die 2018 publizierten Nomenklaturempfehlungen der Nomenclature Consensus Working Group vor, durch die perioperative kognitive Störungen erstmals exakt erfasst und beschrieben werden können. Dies ermöglicht ein gezieltes Screening und das frühzeitige Erkennen betroffener Patienten.

Abstract

Perioperative neurocognitive disorders (pNCD) are relevant to long term treatment outcome after elective surgery. The detection of pNCD is challenging and based on extended neuropsychological testing that often is not feasible due to economy driven time constraints during preoperative risk assessment. Only recently new recommendations for the nomenclature of cognitive change associated with anaesthesia and surgery facilitated the transition of the former research diagnosis postoperative cognitive dysfunction (POCD) as a clinical diagnosis based on DSM-5 criteria. In our article we provide an overview of the new recommended diagnostic criteria for pNCD based on the publication by the Nomenclature Consensus Working Group in November 2018. We discuss ideas for the implementation of clinical routine pNCD screening in patients aged 70 years or older with elective surgery and possible options for further support of patients screened positively and their families and care givers.

Kernaussagen
  • Perioperative (neuro-)kognitive Störungen (pNCD) sind bei Patienten ab dem 70. Lebensjahr häufig und gehen mit einem höheren Risiko für postoperative Komplikationen und einer reduzierten Lebensqualität einher. Jeder Anästhesist sollte deshalb pNCD erkennen und bei der Behandlung berücksichtigen.

  • Bei chirurgischen Patienten ab 70 Jahren sollte im Rahmen der präoperativen Risikoevaluation ein gezieltes Screening bezüglich des Vorliegens einer leichten/schweren neurokognitiven Störung (NCD) erfolgen.

  • Im Falle eines positiven Screenings einer bereits präoperativ bestehenden leichten/schweren NCD ist eine weitere Abklärung, z. B. durch eine ausführliche neuropsychologische Testung, vor der Operation zu empfehlen.

  • Neben der neuropsychologischen Testung müssen zur Diagnosestellung einer perioperativen (neuro-)kognitiven Störung (pNCD) nach DSM-5 das Vorliegen subjektiv wahrgenommener kognitiver Defizite sowie Einschränkungen der Funktionalität überprüft werden.

  • Bei Patienten mit einer vorbestehenden leichten/schweren NCD sollte gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehörigen eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung vor dem operativen Eingriff erfolgen.

  • Ein multimodales Konzept aus optimierter intraoperativer Narkoseführung, Reduktion des operativen Traumas sowie Behandlungskonzepten wie mHELP kann helfen, postoperativen (neuro-)kognitiven Störungen vorzubeugen.

  • Bei Verdacht auf eine postoperative leichte/schwere NCD (POCD) sollte eine weitere Diagnostik und Therapieberatung, z. B. in einer Gedächtnissprechstunde oder zukünftig in neu einzurichtenden ambulanten Versorgungsstrukturen, angeschlossen werden.