Osteologie 2019; 28(03): 174
DOI: 10.1055/a-0871-8678
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Begutachtung und Bewegungstherapie bei wichtigen osteoporose-assoziierten Frakturen

Restoration of Functional Capabilities and Exercise after Major Fractures due to Osteoporosis
Pfeifer Michael
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Publication Date:
12 September 2019 (online)

Liebe Freunde der Osteologie!

Einer der Schwerpunkte des vorliegenden Heftes besteht in der Rolle der medizinischen Sport- und Bewegungstherapie zu Prävention und Rehabilitation von Frakturen des Skelettsystems bei Osteoporose. Dabei waren alle Autoren Mitglied einer Arbeitsgruppe, die sich einmal jährlich jeweils anlässlich der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Erforschung des Knochen- und Mineralstoffwechsels getroffen hat, um neue Forschungsergebnisse auf diesem Gebiet der nicht-medikamentösen Trainingstherapie untereinander auszutauschen. Diese so genannte „ASBMR Working Group on Musculoskeletal Rehabilitation“ traf sich zwischen 1998 und 2013 insgesamt 15 Mal, wobei zwischenzeitlich zwei Reviews (Pfeifer M et al. 2004, Sinaki M et al. 2010) und schließlich 2017 eine Monographie unter dem Titel „Non-Pharmacological Management of Osteoporosis“ im Springer Verlag international publiziert wurden.

In den letzten beiden Dekaden wurden zahlreiche Studien zu diesem Thema veröffentlicht, die allerdings bedingt durch eine eher geringe Fallzahl sowie zu kurze Laufzeiten mit teilweise inadäquaten Surrogatparametern als Endpunkte nur wenig zu einer Verbesserung der Evidenzlage beitragen konnten. Insgesamt gesehen wurden zu wenige Studien bei Patienten mit bereits vorhandenen Wirbelkörperfrakturen durchgeführt, um hier zu konsistenten Aussagen zu gelangen. Die weitaus größte Anzahl der Studien widmet sich der Primärprävention, wobei sich aber auch hier lediglich zwei randomisierte, prospektive Studien mit dem primären Endpunkt Fraktur finden lassen. Sinaki M et al. publizierten 2002, dass durch ein konsequentes Krafttraining der Rückenstreckmuskulatur nach 10 Jahren die Zahl der auftretenden Wirbelkörperfrakturen um etwa 2 Drittel gesenkt werden kann.

Im Hinblick auf nicht-vertebrale Frakturen beschrieben Kemmler W et al. in der EFOPS-Studie 16 Jahre nach Durchführung eines intensiven sportmedizinischen Krafttrainings eine signifikante Frakturreduktion. Bei beiden Studien wird die lange Laufzeit durch eine relativ geringe Fallzahl erforderlich, um zu signifikanten Ergebnissen zu kommen.

Leider fehlen hier die großen multi-zentrischen Studien, wie sie in der Pharmaindustrie durchgeführt werden und etwa 3 000 bis 5 000 Probanden einschließen. Möglicherweise ließen sich mit einer derart hohen Fallzahl auch deutliche signifikante Effekte im Hinblick auf eine Frakturreduktion nach kürzeren Laufzeiten von etwa 2 bis 3 Jahren bereits nachweisen. Zur Durchführung und Finanzierung dieser Studien wäre hier allerdings das Engagement der öffentlichen Hand und/oder der Krankenkassen erforderlich, die damit zur Etablierung einer preisgünstigen und nebenwirkungsfreien Behandlungsmethode in der kontinuierlich älter werdenden Gesellschaft einen ganz wesentlichen kostengünstigen Beitrag zur Senkung des Frakturrisikos leisten könnten.

Der zweite und nicht minder wichtige Teil des vorliegenden Heftes ist der Begutachtung von Frakturen bei Osteoporose gewidmet. Bei der Bearbeitung dieses Themas haben ich und Dr. Martin Gehlen festgestellt, dass es weder im Rentenrecht noch im sonstigen Sozialversicherungs- und Unfallrecht klare Empfehlungen oder Richtlinien gibt, wie bei Patienten nach dem Erleiden einer Fraktur bei Osteoporose verfahren werden soll. Insbesondere fehlen Hinweise, welche Tätigkeiten diesen Patienten noch zugemutet werden können und von welcher Leistungsfähigkeit im Alltag bei Patienten mit bestimmten Frakturen noch auszugehen ist. Hier sind zum Teil „haarsträubenden Willkürentscheidungen“ Tür und Tor geöffnet, so dass den betroffenen Patienten in aller Regel nur der Weg über die Sozialgerichte möglich ist, um gegebenenfalls Hilfe zu erhalten und zu ihrem Recht zu kommen.

Wir wünschen Euch/Ihnen viele neue Erkenntnisse und reichlich Spaß bei der Lektüre der vorliegenden Ausgabe der Osteologie!

Bad Pyrmont im Juli 2019

Dr. med. Michael Pfeifer