Der Schmerzpatient 2019; 2(04): 145
DOI: 10.1055/a-0971-0297
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ohne Worte

Harry von Piekartz
,
Thomas Weiß
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Publication Date:
30 September 2019 (online)

Anfang des 20. Jahrhunderts tourte „der kluge Hans“ durch deutsche Städte und versetzte die Welt in Staunen. Er war neun Jahre alt und konnte Wörter buchstabieren, arithmetische Aufgaben lösen und Gegenstände oder Personen abzählen. Das Besondere: Hans war ein Pferd. Wenn man dem schwarzen Orlow-Traber einen Zettel zeigte, auf dem stand „Wieviel ist 15 minus 6?“, klopfte er in preußischer Präzision neunmal mit seinem rechten Vorderhuf auf den Boden. Um der Sache auf den Grund zu gehen, richtete das kaiserliche Bildungsministerium im Jahre 1904 eine dreizehnköpfige Kommission ein. Doch die Experten konnten keinen Schwindel entdecken. Drei Jahre später wurde das Rätsel gelöst: Das Pferd beherrschte zwar nicht die Mathematik, konnte dafür aber feinste Nuancen im Gesichtsausdruck und in der Körpersprache seines Gegenübers erkennen. Während Hans auf den Boden klopfte, beobachtete er den Fragesteller sehr genau. Als er sich der korrekten Anzahl von Schlägen näherte, wurde der Fragende immer angespannter, und wenn er die richtige Zahl erreicht hatte, erreichte auch die Anspannung des Menschen ihren Höhepunkt. In diesem Moment hörte das Pferd auf zu klopfen und sah, wie sich die Anspannung des Fragenden löste.