Aktuelle Dermatologie 2019; 45(10): 445-467
DOI: 10.1055/a-0989-8591
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frankfurter Dermatologentagung − 6. November 2019

Annual Frankfurt Dermatology Meeting − November 6th, 2019
E. Valesky
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
,
P. Kleimann
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
,
M. Wolter
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
,
R. Kaufmann
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. Oktober 2019 (online)

Therapierefraktäre orofaziale Granulomatose bei einem 12-jährigen Mädchen

Konstanze Zydek

Anamnese Die Vorstellung einer 12-jährigen Patientin erfolgte aufgrund einer seit ca. 2 Jahren bestehenden symptomlosen Gewebsvermehrung am Zahnfleisch des Oberkiefers. Bei Kontakt, insbesondere beim Zähneputzen, kam es zu Blutungen. Neben der Blutungstendenz wurde der Befund als kosmetisch störend empfunden. Im Vorfeld erfolgte bereits eine zahnärztliche Vorstellung ohne Klärung der Ursache. Eine Vortherapie mit Prednisolon 20 mg/d über 6 Wochen habe zu einer dezenten Verbesserung verholfen. Infolge der Reduktion und des Absetzens trat jedoch ein Rezidiv auf.

Bei dem Mädchen war eine atopische Diathese mit einem Asthma bronchiale bekannt sowie Sensibilisierungen, die mit einem oralen Allergiesyndrom auf Nüsse, Paprika, Kiwi und Erdbeeren vergesellschaftet waren.

Untersuchungsbefund Das Mädchen präsentierte isoliert an der Gingiva des Oberkiefers eine ausgeprägte, flächige, knotig-derbe Gewebsvermehrung betont oberhalb der Zahnzwischenräume. Hierbei ist der frontale Bereich stärker betroffen als der laterale Bereich ([Abb. 1 a]). Entzündungszeichen, Ulzera oder eine Blutung sind nicht ersichtlich. Die Zunge sowie die enoralen Schleimhäute zeigen sich nicht betroffen.

Zoom Image
Abb. 1 a Gingivahyperplasie des Oberkiefers. b Nichtverkäsende Granulome mit zahlreichen Histiozyten, Riesenzellen und vereinzelten kleinen Lymphozyten in der HE-Färbung (40-fache Vergrößerung).

Dermatohistologischer Befund In der Hämatoxylin-Eosin-Färbung liegen unter einer abgeflachten Epidermis im mittleren Korium zahlreiche Histiozyten, Riesenzellen und vereinzelt kleine Lymphozyten vor. Ein Hinweis für Fremdmaterial findet sich nicht ([Abb. 1 b]).

Therapie und Verlauf Aufgrund der histologisch vorliegenden granulomatösen Gingivitis wurde der Verdacht auf ein Melkersson-Rosenthal-Syndrom gestellt. Bei hohem Leidensdruck erfolgte die Therapie mit Minocyclin 50 mg/d für insgesamt 4 Wochen. Hierunter kam es zu keinem Ansprechen bei zusätzlich schlechter Verträglichkeit. In Folge wurden mehrfach intraläsionale Triamcinoloninjektionen (3 × 5 mg, 1 × 20 mg) im Abstand von ca. 6 Wochen durchgeführt. Parallel erfolgte die Einleitung einer Systemtherapie mit Clofazimin für insgesamt 4 Monate. Auch diese Kombinationstherapie zeigte sich frustran. Bei Vorliegen von Granulomen wurde differenzialdiagnostisch eine orale Manifestation eines M. Crohns in Erwägung gezogen. Eine Stuhldiagnostik auf Calprotectin war nicht wegweisend. Eine Koloskopie wurde abgelehnt.

Kommentar Die orofaziale Granulomatose umfasst eine Gruppe von rezidivierenden oder persistenten Erkrankungen, welche charakteristisch durch eine Granulombildung zu Schwellungen des orofazialen Weichteilgewebes führt. Im englischen Sprachgebrauch unterscheidet die Bezeichnung der „orofacial granulomatosis“ nicht eindeutig vom kutanen M. Crohn und der Cheilitis granulomatosa z. B. im Rahmen eines Melkersson-Rosenthal-Syndroms. Eine Prävalenz ist nicht bekannt. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, jedoch ist eine Erstdiagnose bei jungen Erwachsenen, ohne eine Geschlechterpräferenz, gehäuft beschrieben. Die klinische Präsentation ist vielgestaltig. Schmerzlose Schwellungen können im gesamten orofazialen Bereich auftreten. Als zusätzliche Begleiterscheinungen sind Ulzerationen, Gingivitis, Gingivahyperplasie oder Lippenfissuren beschrieben. Eine eindeutige Ätiologie oder Pathogenese konnte bisher nicht identifiziert werden. Am ehesten wird von einem multifaktoriellen Geschehen ausgegangen. Vermutet werden genetische, immunologische, allergo- und infektiologische Triggerfaktoren. Favorisiert wird eine Einteilung in primäre (idiopathische) und sekundäre Formen. Eine idiopathische Variante stellt die lokalisierte granulomatöse Lippenschwellung (Miescher Cheilitis) dar. Das Melkersson-Rosenthal Syndrom beschreibt den Symtomkomplex aus Lippenschwellung, Fazialisparese und einer Lingua plicata. Auch hier gibt es unterschiedlich starke Ausprägungen mit mono- oder oligosymptomatischen Varianten. Zu den sekundären Formen wird eine mykobaterielle Infektion oder Pilzinfektionen der Zähne gezählt. Auch bei einer Rosacea wurde die orofaziale Granulomatose beschrieben. Zudem kann die Gingivahyperplasie als Teilaspekt bei Systemerkrankungen wie Sarkoidose oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn einhergehen. Insbesondere bei Beginn in der Kindheit mit laborchemischer Infektkonstellation, Anämie, Eisenmangel, Vitamin B12- oder Folsäure-Mangel, Erhöhung des Calprotectins sowie entsprechender Symptomatik ist eine weitere Diagnostik mittels Koloskopie zu empfehlen.

Die Diagnose wird meist anhand einer histologischen Untersuchung gesichert. Der Nachweis nichtverkäsender Granulome ist typisch. Zum Ausschluss einer systemischen granulomatösen Erkrankung sollte eine Bildgebung des Thorax erfolgen, wobei eine hiläre Lymphadenopathie hinweisend für eine Sarkoidose oder Tuberkulose ist. Zudem sollte das Vorliegen einer Atopie mit der Frage nach v. a. Lebensmittelallergien, Asthma bronichale oder Ekzemen evaluiert werden. Eine standardisierte Therapie existiert nicht. Eine dauerhafte Abheilung kann bei einer lokalen Infektion oder der Identifizierung eines auslösenden Allergens erreicht werden. Häufig ist jedoch eine antientzündliche Therapie zur Langzeitkontrolle notwendig. Bei milden Formen sind topische Kortikosteroide oder Calicineurin-Inhibitoren wirksam. Falls unzureichend werden systemische oder intraläsionale Kortikosteroide eingesetzt. In einigen Fällen wurde die erfolgreiche Therapie mit u. a. Minocyclin 100 mg pro Tag berichtet. In Anlehnung an Fallberichte beim Melkersson-Rosenthal-Syndrom kann die Einnahme von Clofazimin diskutiert werden. Bei Vorliegen eines M. Crohn zeigen Systemtherapien wie Azathioprin oder TNF-α-Inhibitoren vielversprechende Erfolge. In therapierefraktären Fällen ist als ultima ratio eine paradontologische Vorstellung mit oralchirurgischer Abtragung in Betracht zu ziehen.

Literatur

1 Miest R, Bruce A, Rogers RS. Orofacial granulomatosis. Clin Dermatol 2016; 34 (4): 505 – 513

2 Maalini P, Davis G, John R et al. Orofacial granulomatosis in children − a review. Dental Update 2019 46: 1, 42 – 48

3 Troiano G, Dioguardi M, Giannatempo G et al. Orofacial granulomatosis: clinical signs of different pathologies. Med Princ Pract 2015; 24: 117 – 122


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