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DOI: 10.1055/a-1068-5102
Klinische Klimafolgenforschung – Betroffenheit vulnerabler Patientengruppen in einer sich verändernden Umwelt durch Erwärmung und urbane Luftbelastung („hot and dirty“)
Publication History
Publication Date:
10 February 2020 (online)
Wir Klinikärzte wissen seit der Veröffentlichung des Weltklimarates 2007 (IPCC-Report), dass bei einer globalen Erwärmung von durchschnittlich 2° C nicht nur Schwellen- und Entwicklungsländer komplex durch Landwirtschaft/Ernährung, die Küsten/Meeresspiegelanstiege u. a. m. betroffen sein werden. Sondern auch, dass in den gemäßigten Breiten – also bei uns auf der Nordhalbkugel – die Folgen der Erwärmung zu einer Morbiditätssteigerung von Krankheitsverläufen, besonders chronischer kardiorespiratorischer Krankheiten, führen werden. Als Grenzorgan zur Umwelt kommt in diesem Kontext der Lunge eine Portalfunktion zu. Bei der Annahme einer Erwärmung von nur 1° C steigt die Mortalität in Regionen oberhalb der Alpen bei respiratorischen Erkrankungen um 3–6 %, letztere bei älteren Menschen > 80 Jahre, in der Regel multimorbiden Patienten. Eine Untersuchung in den USA dazu zeigt, dass bei einem Temperaturanstieg von 10° F die Hospitalisierungsrate bei respiratorischen Patienten um 4,3 % zunimmt. Diese Zahl ist klinisch griffig, also ca. 5 %, doch im kälteren Alaska ist die sogenannte Resilienz für Hitze schwächer ausgeprägt als im wärmeren Texas, wo mehr Adaptation erworben werden konnte. Folglich sind Vulnerabilitäten eine evidente Steuergröße der klinischen Betroffenheit und damit ein Maß der adaptiven Kapazität unserer chronisch kranken Patienten, die bei dieser Gruppe aus 2 Gründen vermindert ist: zum einen wegen der chronischen Krankheit, ggf. verbunden mit hohem Alter und Multimorbidität, und zum anderen durch die Therapie derselben, beispielsweise einer Bluthochdruckbehandlung, die auch adaptive Regulationen bei Hitze beeinträchtigen kann.
Zu der allgemeinen Erwärmung, die auch in der kalten Jahreszeit ca. 2–3° C beträgt, kommt in Metropolen – am ausgeprägtesten in Megacities (> 10 Mio. Einwohner), aber auch in deutschen Großstädten, z. B. Berlin – ein sogenannter Heat-Island-Effekt, also innerstädtische Wärmeinseln hinzu. Am Beispiel Berlin kann ein Temperaturgradient bei Hitze von bis zu 8° C zwischen dem kühleren Stadtrand und dem Stadtzentrum (Alexanderplatz) auftreten. Folglich ergibt die Translation dieser geoklimatischen Erkenntnisse für die klinische Medizin dreierlei: Zum einen, dass der Wohn- und Aufenthaltsort des Großstadt-Patienten in die klinische Medizin mit einzubeziehen ist. Zum zweiten sollten bei vulnerablen Patienten die klinischen Verläufe effizienter erfasst werden (Neue Medien/Telemonitoring, Künstliche Intelligenz) und drittens durch konsequente Patientenführung und medikamentöse Therapie präventiv das gestiegene Exazerbations- bzw. Dekompensationsrisiko, das zum Teil lebensbedrohlich sein kann, gemindert werden.
Ein weiterer Punkt ist die lokale Umwelt-Atemluftbelastung (urban Air Pollution), die auch am Ort der höchsten Temperaturen auftritt. Feinstaub, Stickoxide und Ozon führen zusätzlich zu mehr Mortalität (vorzeitige Todesfälle) und Morbidität, d. h. dass bei chronisch Kranken das Risiko einer Zunahme von Beschwerden, Symptomen und Belastungsintolleranz steigen kann [[1]–[3]]. Wie auch immer, nun kommen 2 Umweltänderungen simultan zusammen, die besonders die vulnerablen Patientengruppen belasten (ca. 370 000 Einwohner, auch unsere Patienten, leben an belasteten Hauptstraßen). Klinisch führt die Risikosteigerung zu mehr Instabilität des Krankheitsverlaufes, auf die Ärzte in Ambulanzen und Kliniken mit mehr Medikamentenverordnungen, mehr Krankschriften, mehr Arztkonsultationen bzw. Notfallrettungseinsätzen und mehr nachfolgenden Hospitalisierungen reagieren. Aktuelle Forschungsansätze betrachten beides: den globalen Treibhauseffekt mit Erwärmung und Extremen und die steigende lokale, besonders urbane Luftbelastung. Sie kommen zu dem Schluss, dass der fortschreitende Klimawandel, inklusive Wetterextremen, wie Hitzewellen, das Risiko schwerer Luftbelastungsphasen erhöhen wird.
Was bedeutet dieser Erkenntnisstand für Klinikärzte im Herbst 2019, einer Zeit mit großen globalen Klimabewegungen, wie „Fridays for future“ und Zeiten einer sogenannten gesellschaftlichen Transformationsphase? Meine Haltung umreisst grob folgende Vorschläge und Empfehlungen:
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Selber als Klinikarzt Vorbild sein in der Verminderung der Kohlendioxidemission (Treibhausgase – global) und von Feinstaub, NO2 und Ozon (Air Pollution lokal).
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Mehr Aus- und Fortbildung zu klinischen Folgen des Klimawandels und Air Pollution.
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Mehr Forschung zur Identifikaktion vulnerabler Gruppen (Patienten).
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Mehr Entwicklung von Adaptationsstrategien (neue Medien/Telemonitoring/Künstliche Intelligenz/Konzept des klimaadaptierten Krankenhauses/Klimatisierung sowie der klimaadaptierten Arzneimitteltherapie).
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Literatur
- 1 Landrigan PJ, Fuller R, Acosta NJR. et al The Lancet Commission on pollution and health. http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(17)32345-0 (zuletzt abgerufen: 20.01.2020)
- 2 Schulz H, Karrasch S, Bölke G, Cyrys J, Hornberg C, Pickford R, Schneider A, Witt C, Hoffmann B. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit. 2018
- 3 Lelieveld J. Schlechte Luft durch Verkehr, Industrie und Landwirtschaft – Auswirkung der Luftqualität auf die Volksgesundheit. klinikarzt 2020; 49: 22-25