Nervenheilkunde 2020; 39(06): 424
DOI: 10.1055/a-1161-0491
Gesellschaftsnachrichten
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.

Tom Bschor
,
Anja M. Bauer
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Juni 2020 (online)

Interview: Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz

Andreas Heinz ist seit 2002 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Berlin Mitte. Seit 2009 ist er Vorstandsmitglied der DGPPN und aktuell Präsident der Gesellschaft. Wir führten ein Telefoninterview mit dem BGPN-Mitglied.

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Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Berlin Mitte. (Quelle: ©privat)

Was ist die wichtigste Bedeutung einer großen Fachgesellschaft wie der DGPPN?

Heinz: Die DGPPN ist eine wissenschaftliche Fachgesellschaft, die in der Lage ist, die verschiedensten Berufsgruppen zusammenzubringen. Sie dient dem Austausch mit der interessierten Öffentlichkeit und dem strukturiertem „Trialog“ mit Betroffenen und Angehörigen, der Vermittlung von Standards, Ideen und Innovationen. Die DGPPN veranstaltet den mittlerweile europäisch führenden Psychiatrie-Kongress, außerdem erarbeitet sie Leitlinien und Behandlungsstandards.

Was sind Ihre besonderen Ziele für die eigene Präsidentschaft?

Heinz: Ein Teil der Ziele wird immer von den Ergebnissen überrollt. Als ich letztes Jahr angefangen habe, gab es gerade die Kontroverse um die Neuordnung der Psychotherapeutenausbildung. Wichtige Themen sind Armut, soziale Ausschließung und psychische Gesundheit. Für globale Projekte haben wir eine Webseite eingerichtet, die Kontakte vermittelt.

Was haben Sie in Ihrer bisherigen Amtszeit als besonders schwierig erlebt?

Heinz: Ich glaube, das sind vor allem politische Entwicklungen, also neben der Psychotherapeutenausbildung auch die Entwicklung der Personalvorgaben, die ziemlich enttäuschend war. Letztlich ist die PsychPV zwar verlängert worden, aber mit Übergangsbestimmungen, die zunächst unterhalb der PsychPV liegen. In Berlin hat ein Chefarzt seine Position verloren, weil er versucht hat, wenigstens die Standards der alten PsychPV zu verteidigen. Immerhin haben wir erfolgreich eine Petition für zukunftsweisende Reformen durchgekriegt. Dann hatten wir zuletzt damit zu tun, wie Telefonkontakte abrechenbar sind – also so ganz basal handwerkliche Fragen in der aktuellen Corona-Situation. Letztendlich ist es schade, dass das, was man im ersten Jahr vorbereitet hat und das dann im zweiten Jahr zur Diskussionsreife kommt, jetzt, wo es nur noch Video- und Telefonkonferenzen gibt, schon wieder halb zum Erliegen kommt.

Ist es ein Vorteil, wenn der DGPPN-Präsident aus Berlin kommt?

Heinz: Das hat Vor- und Nachteile. Die Anfahrtszeit entfällt. Es gibt gerade fast nichts in der Psychiatriepolitik, zu dem die DGPPN nicht gehört wird, was einen erheblichen Zeitbedarf bedingt, auch ohne An- und Abreise. Ein Nachteil ist, dass man jeden Termin in Berlin erst einmal wahrnehmen kann (lacht).

Haben Sie als Präsident der Deutschen Gesellschaft einen Rat für die Berliner BGPN?

Heinz: Ich würde empfehlen, dass die Berliner Gesellschaft ihre 2 großen Tagungen im Jahr immer zum gleichen Zeitpunkt durchführt. Ansonsten finde ich, dass die Berliner Gesellschaft vieles richtig macht, zum Beispiel den Promotionspreis als Nachwuchspreis. Leider ist der klinische Diskussionszusammenhang zwischen Psychiatrie und Neurologie mit Auslaufen des Nervenarztes nicht mehr so intensiv wie früher, da finde ich es wichtig, dass es eine Gesellschaft gibt, die das zusammenhält.

Was ist Ihre Zukunftsvision für die Psychiatrie in 25 Jahren?

Heinz: Eine noch stärkere Ausrichtung auf das, was man die Lebenswelt der Patienten nennt, also dass ein Team möglichst nach Hause kommt und nicht der Patient in die Klinik geholt wird. Diese stationsersetzende Richtung kann zu weniger Zwangseinweisungen führen. Ich würde mir wünschen, dass die ärztliche psychotherapeutische Gesprächsführung noch mehr geschätzt und auch finanziell attraktiver wird. Dass es auch mehr psychotherapeutische Flexibilität gibt als in den Richtlinien mit einem Standardverfahren, z. B. auch mal kürzer als 50 Minuten Gesprächszeit. Dann hoffe ich insgesamt, dass die ambulante Versorgung flexibler wird. Ich glaube außerdem, dass ein großer Digitalisierungstrend kommen wird, der einerseits für die Menschen auf dem Land mehr Zugang schafft und andererseits leider soziale Distanz verstärkt. Das macht mir etwas Sorgen, ebenso, dass die Pathologisierung von Alltagserfahrung wie Trauerreaktionen weiter zunimmt.

Das Gespräch führte Dr. Anja Bauer, Berlin