Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2021; 56(07/08): 536-543
DOI: 10.1055/a-1203-2826
Im Fokus

Ethische, psychosoziale und rechtliche Aspekte der Behandlung hirntoter Schwangerer

Ethical, Psychosocial and Legal Aspects of the Treatment of Pregnant Patients with Brain Death
Ann-Kristin Reinhold
,
Christian K. Markus
,
Markus Kredel
,
Rainer Beckmann
,
Wolfgang Muellges*
,
Monika Rehn
,
Achim Wöckel
,
Patrick Meybohm
,
Norbert Roewer
,
Peter Kranke

Zusammenfassung

Die Therapie Schwangerer mit irreversiblem Hirnfunktionsausfall ist ein Extrembeispiel nicht nur für die Möglichkeiten moderner Intensivmedizin, sondern auch für die daraus resultierenden ethischen, sozialen und rechtlichen Spannungsfelder, die für Mediziner kein vertrautes Terrain sind. Im Folgenden wird der Fall einer in der 9. SSW verunfallten Patientin mit infauster Prognose bei massivem Schädel-Hirn-Trauma und anamnestischem Wunsch zur Organspende vorgestellt. Vor diesem Hintergrund werden anhand ausgewählter Fälle aus der Literatur verschiedene Aspekte beleuchtet: die Frage der Therapiezielfestlegung, insbesondere Palliation vs. Fortführung; die Implikationen einer Hirntoddiagnostik; betreuungsrechtliche Überlegungen; Einbindung der Angehörigen, v. a. des Kindsvaters; Dynamiken im Behandlungsteam sowie schließlich die Frage einer möglichen Organspende. Das Fallbeispiel verdeutlicht zudem, dass auch bei denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen und dem Zusammenkommen scheinbar unvereinbarer Faktoren eine Schwangerschaft überraschend unbeeinträchtigt ausgetragen werden kann. Die recherchierten Fakten und Erwägungen sowie die zitierte weiterführende Literatur in diesem Artikel sollen einen Überblick über potenzielle Dilemmata verschaffen und als fundierter Ausgangspunkt für ähnlich gelagerte Fälle dienen.

Die Therapie Schwangerer mit irreversiblem Hirnfunktionsausfall ist ein Extrembeispiel – nicht nur für die moderne Intensivmedizin, sondern auch für die daraus resultierenden ethischen, sozialen und rechtlichen Spannungsfelder. Anhand einer in der 9. SSW verunfallten Patientin mit infauster Prognose und Wunsch zur Organspende werden Fälle der Literatur unter verschiedenen Aspekten beleuchtet.

Abstract

The therapy of brain-dead pregnant women is an extreme example not only of the possibilities in current critical care, but also of resulting ethical, social and legal controversies, an area not familiar to most clinicians. Based on the case of a patient with fatal traumatic brain injury, a previously unknown early pregnancy and stated will to donate organs, we will discuss several aspects using published case reports: therapeutic goals, especially palliative care vs. continuation; implications of brain death diagnosis; considerations on legal care; involvement of relatives, especially the childʼs father; dynamics within the care team; and finally the issue of putative organ donation. This complex case once more depicts that even facing such highly unfavourable framework and seemingly irreconcilable factors, pregnancy can prevail. The researched facts and considerations in this article are intended to give an overview of potential dilemmas and might serve as a starting point in similar situations.

Kernaussagen
  • In der komplexen Situation ist der mütterliche Wille sorgfältig zu explorieren, die Option einer Organspende sollte jedoch nicht vom Behandlungsteam primär aktiv angesprochen werden.

  • Die fetalen Überlebenschancen sollten ständiger Re-Evaluation unterliegen und das Therapieziel sollte ggf. entsprechend angepasst werden.

  • Eine frühe Hirntoddiagnostik ist sinnvoll, um Klarheit zu verschaffen; allerdings wird hierdurch der therapeutische Spielraum, wie z. B. eine Palliation, ggf. eingeengt.

  • Die rechtliche Lage, insbesondere bezüglich Therapiezieländerung bei vitalem Fetus, muss frühestmöglich geklärt werden; eine enge Kommunikation mit dem zuständigen Gericht ist wünschenswert.

  • „Communication is key“: Dies gilt sowohl für den Kontakt mit rechtlichen Vertretern, Angehörigen und insbesondere dem Kindsvater als auch für das gesamte Behandlungsteam. Dabei muss unterschiedlichen individuellen ethischen Ansichten Rechnung getragen werden.

* In Gedenken an Prof. Wolfgang Müllges, verstorben am 07.02.2021.




Publication History

Article published online:
23 July 2021

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