Die „Plombe“ in der Therapie der Lungentuberkulose^[*]

Noch vor 100 Jahren hatte ein Patient mit fortgeschrittener Lungentuberkulose – allermeist einhergehend mit der Entstehung von Defektzonen der Lunge (Kavernen) – nur eine geringe Überlebenschance.

Erst kurz vor dem 1. Weltkrieg und v. a. in den 1920er- und 1930er-Jahren wurden Operationsmethoden zur Kompression der Lunge und der in ihr liegenden Hohlraumbildungen entwickelt: der künstliche Pneumothorax – kleine – und die operative Verformung des Brustkorbes durch Rippenentfernung und Rippenkürzung – große Kollapstherapie ([Abb. 1]).

Abb. 1 Unterschiedliches Ausmaß der Rippenresektion bei Thorakoplastik.

Eine weit schonendere Methode, die Lunge zusammenzudrücken – v. a. bei den in der Lungenspitze gelegenen Prozessen – war das Abschälen der extrapleuralen Faszie und die Verdrängung der wandständigen Pleura und der Lunge nach kaudal ([Abb. 2]).

Abb. 2 Wand des Brustkorbes mit den extrapleuralen Faszien.

Diese Methode fand vornehmlich Anwendung bei

• doppelseitig tuberkulös erkrankten Lungen mit Kavernenbildung,

• starker Verschwartung um Kavernengebiete und

• schlechtem Allgemeinzustand, der weder eine Thorakoplastik noch eine Lokalresektion der Lunge erlaubte.

Um komprimierte Lunge und Kavernengebiet zuverlässig niederzuhalten, bedurfte es eines raumfüllenden Festkörpers, der „Plombe“ [2] [6] [18] [19] [24].

Erste Versuche mit Luft, Kochsalzlösung oder Eigenblut lösten das Problem nur unvollkommen. So kam man auf die Idee, festere Teile, also Fettstückchen (Tuffier 1911), Rippenstückchen (Wilms 1913) oder gar eine Gummiblase (Gwerder 1913) einzubringen. Das überzeugte nicht. Der operativ tätige Lungenarzt F. Jessen aus Davos bezeichnete diese Versuche als ein „chirurgisches Gräuel“ [18].

Erst mit erwärmtem (ca. 60° C) Paraffin, das dann bei Körpertemperatur aushärtete, hatte man eine Substanz, die zuverlässig den erwünschten Effekt erbrachte [6] [18] [24] ([Abb. 3]).

Abb. 3 Über der Lungenspitze eingebrachte Paraffinkugeln.

Die flüssige Paraffinmischung sollte in Glasschälchen ausgegossen werden. Aus dem erkaltenden Paraffin formte man dann etwa 2 – 3 cm im Durchmesser haltende Kugeln, die schichtweise in den Hohlraum eingebracht wurden.

^* Herrn. Prof. Dr. Richard Achatzy in Freundschaft zugeneigt

Publication History

Article published online:
22 December 2020

• Literatur

• 1 Adelberger L, Serdarusitz H. Die Pneumolysen-Prothesen-Plastik. Thoraxchirurgie 1953; 1: 101-114
• 2 Aumann U. Übergangszeit in der Therapie der Lungentuberkulose. Tasten und Suchen in der prä-chemotherapeutischen Ära. Münster: Agenda-Verlag; 2019
• 3 Berghaus A. Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung von porösem Polyäthylen in der rekonstruktiven Kopf-Halschirurgie unter besonderer Berücksichtigung des Trachealersatzes (Habilitationsschrift). Berlin: Freie Universität Berlin; 1986
• 4 Bing J, Hansen EH, Lindén K. et al. New plombage material in surgical collapse therapy of pulmonary tuberculosis. Experimental and clinical studies with the absorbable gelatin sponge SpongostanR and the non-absorbable polyethylene sponge Polystan^R . Acta tbc Scand Suppl 1951; 25: 1-88
• 5 Bollmann T. Spontane Hämoptoe als Spätkomplikation nach extrapleuraler Nylon-Plombierung bei tuberkulöser Lungenkaverne. Pneumologie 2009; 63: P324
• 6 Brunner A. Die chirurgische Behandlung der Lungentuberkulose. Leipzig: J. A. Barth; 1924
• 7 Cagatay ST, Goldstraw P. Plombage thoracoplasty with lucite balls. Ann Thor Surg 2005; 79: 1063
• 8 Calado T. et al. Surgical treatment of complications 55 years after extraperiosteal Lucite ball plombage for pulmonary tuberculosis. Rev Portug Circ Cardiotorac Vasc 2017; 24: 139
• 9 Deist H, Krauss H. Die Tuberkulose. Stuttgart: F. Enke; 1951
• 10 Derra E. Handbuch der Thoraxchirurgie. Bd. 3. Berlin: Springer; 1958
• 11 Effenberger H, Wolf N. Zur Frage der Plombenperforation. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 1961; 124: 439-449
• 12 Elsner G. Persönliche Mitteilung vom 22. 07. 2020.
• 13 Engelmann C. Non-Hodgkin-Lymphom der Brustwand – Spätkomplikation einer extra-pleuralen Pneumolyse (Plombierung). Z Herz-, Thorax-, Gefäßchir 1997; 11: 295-298
• 14 Feuchtwanger M, Borman GB, Bruderman I. Late complications of extraperiosteal lucite ball plombage. Thorax 1961; 16: 153-155
• 15 Fox RT, Lees WM, Shields TW. et al. Extraperiosteal Paraffin Plombage Thoracoplasty. J Thorac Cardiovasc Surg 1962; 74: 371-384
• 16 Hafferl A. Lehrbuch der topographischen Anatomie. Berlin: Springer; 1969
• 17 Hansen JL, Jergensen MB. Extraperitoneal polystan plombage: Three to five yearsʼ follow up. Dis Chest 1957; 32: 646-655
• 18 Hein J, Kremer W, Schmidt W. Kollapstherapie der Lungentuberkulose. Leipzig: Thieme; 1938
• 19 Kleinschmidt O. Allg. und spezielle chir. Operationslehre. 3. Band. Berlin: Springer; 1940
• 20 Kleinschmidt O. Plexiglas zur Deckung von Schädellücken. Chirurg 1941; 13: 273-277
• 21 Kropp R. „Tuberkulose-Strümpfe“. Pneumologie 2017; 71: 164-165
• 22 Lucas BGB, Cleland WP. Thoracoplasty with plombage: A review of the early results in 125 cases. Thorax 1950; 5: 248-256
• 23 Schamaun M. Der heutige Stand der chirurgischen Behandlung der Lungen-Tbc. In: Heilmeyer L. Hrsg. Ergebnisse der Inneren Medizin und Kinderheilkunde. 12. Bd. Berlin: Springer; 1959: 214 ff
• 24 Semb C. Die Chirurgie der Lungen. In: Kirschner M, Nordmann O. Hrsg. Chirurgie Bd. V: Die Brust. Berlin und Wien: Urban und Schwarzenberg; 1941
• 25 Stobernack A, Achatzy R, Engelmann C. Spätkomplikationen nach extrapleuraler Pneumolyse wegen Lungen-Tbc. Chirurg 1997; 68: 921-927
• 26 Stucke K, Viereck HJ. Die Polyäthylenplombe in der Kollapschirurgie. Beiträge zur Klinik der Tuberkulose 1953; 109: 493-500
• 27 Tietze A. Beiträge zur Behandlung der Thoraxempyeme. DMW 1898; 24: 830-833