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DOI: 10.1055/a-1290-2476
Unerwartete positive Aspekte bei COVID-19 im Krankenhaus
COVID-19 hat in diesem Jahr unser aller Leben nachhaltig, in noch nie dagewesener Weise, beeinflusst. Die zwischenmenschlichen Beziehungen wurden durch Lockdown, Quarantäne und aufwendige Maßnahmen beim Einkaufen und Besuchen der Gastronomie massiv erschwert. Inzwischen hat man sich auch daran gewöhnt, dass man von Menschen gegrüßt wird, die man wegen der Maske im Augenblick nicht erkennt, hier hilft nur eine herzliche Erwiderung des Grußes.
Für viele Erwerbstätige hatte oder hat die Krise existenzielle Folgen. Der medizinische Sektor war auf ganz andere Weise betroffen. Die Arbeitsplätze in den Kliniken waren zu jedem Zeitpunkt sicher. Die furchterregenden Szenarien, die wir aus anderen Ländern wie Italien, Frankreich und den USA kennen, sind bei uns erfreulicherweise in diesem Ausmaß (noch) nicht aufgetreten. Für extreme Unsicherheit sorgte der eklatante Mangel an Einmalmaterial. Im Gegensatz dazu war zum Beispiel offensichtlich der viel beschworene Mangel an Geräten weit überschätzt, wie die massiven Stornierungen der Beatmungsgeräte bei dem führenden Hersteller jetzt zeigen.
Die finanziellen Auswirkungen auf die Krankenhäuser sind im Moment noch nicht abschätzbar, durch den behördlich verordneten Aufnahmestopp für elektive Eingriffe und das Freihalten von Intensivbetten ist es zu einem massiven Erlösausfall gekommen. Inwieweit die Unterstützung durch die Bundesregierung hier für eine Kostendeckung sorgt, ist von Klinik zu Klinik unterschiedlich. Ob wirklich im ambulanten Bereich durch nicht erfolgte Einweisungen von kritisch kranken Patienten eine erhöhte Mortalität vorliegt, wird schwierig nachzuweisen sein. Unerwartete Aspekte gab es allerdings für Patienten, die während des Aufnahmestopps notfallmäßig in eine Klinik eingeliefert wurden. Psychologisch schwierig zu verkraften war hier in vielen Fällen das Besuchsverbot, das Familien oft Wochen auseinandergerissen hat. Bildbotschaften über WhatsApp oder Facetime waren nur ein unvollkommener Ersatz.
Die deutlich geringere Belegung hatte jedoch positive Auswirkungen auf die während der Zeit in Behandlung befindlichen Patienten, da die Zahl der Mitarbeiter in der Regel nicht in dem Maße wie die Aufnahmen verringert waren. So bestand (trotz Abbau von Urlauben und Überstunden) ein seit vielen Jahrzehnten nicht gekanntes Verhältnis zwischen der Zahl der Pflegenden und der Ärzte sowie der Zahl der Patienten. Ärzte konnten sich fast exklusiv um die stationären Patienten kümmern. Die Sprechstunden fanden ja auch nicht statt. Die Pflegenden hatten plötzlich sehr viel mehr Zeit für die eigentliche Arbeit am Patienten. Physiotherapeuten konnten die Länge der Therapien an den Patienten anpassen und nicht an den eigenen engen Terminplan. Verblüffend war der Anblick der Stationsgänge. In Jahrzehnten gab es nie solche leeren Gänge, da keinerlei Besucher zugelassen waren. Auch die Arzt- und Schwesternzimmer waren nicht wie üblich von Angehörigen frequentiert, was zu einer wesentlich entspannteren Atmosphäre im Vergleich zum normalen Zustand geführt hat. Aufzüge waren nicht ununterbrochen belegt. Das Auftreten von Durchfall- und Erkältungskrankheiten beim Personal und Patienten ist in relevantem Umfang zurückgegangen.
Wider Erwarten haben sich Patienten und Angehörige kaum über die getroffenen Maßnahmen beschwert. Im Gegenteil, es wurden sogar Rückmeldungen gegeben, dass die Ruhe und die Abwesenheit der Angehörigen (v. a. anderer Patienten) zur Genesung beigetragen haben. Es wäre wünschenswert, dass die Krankenhäuser diese positiven Aspekte bei der Rückkehr in die neue Normalität im Blick behalten werden, zum Beispiel bei der Regelung der Besuchszeiten. Bei all der Misere gab es so also auch einige unerwartete Lichtblicke, was den Schluss zulässt, dass wünschenswerte Verhältnisse auf Station offensichtlich nur durch Katastrophen herbeigeführt werden können.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
15. Dezember 2020
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