intensiv 2021; 29(02): 62-63
DOI: 10.1055/a-1329-0139
Kolumne

Das hätten wir jetzt nicht gebraucht!

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Quelle: Paavo Blåfield/Thieme Gruppe

An einem Sonntag im Dezember – im Übrigen der 13. des Monats, das konnte ja nicht gut gehen! –, rief mich meine Mutter gegen 15 Uhr an und löste bei mir gleich Besorgnis und ein bisschen Hysterie aus. Sie klagte über seit Stunden bestehende und stärker werdende Schmerzen. Im Unterbauch, Oberschenkel oder vielleicht doch von den Nieren!? Sie wusste es nicht und war offensichtlich am Ende ihrer Kraft. Sie würde jetzt einen Arzt rufen. Da ich gerade mit einer Außenbandruptur etwas bewegungseingeschränkt war, rief ich meinen Sohn an, der uns sofort zu meiner Mutter fuhr. Bei ihr angekommen,war sie schon auf dem Weg in ein Krankenhaus, und unsere Odyssee begann. Die Nachbarn berichteten, in welche Krankenhausnotaufnahme sie gebracht werden würde und dass wir vor Ablauf von drei Stunden uns dort nicht melden sollten. Wir erfuhren auch, dass der ärztliche Bereitschaftsdienst erst am späten Abend hätte kommen können, sodass meine Mutter wohl die 112 bemüht hatte.

Das angefahrene Krankenhaus ist ein Haus der Maximalversorgung. Und natürlich war ich da noch nie und kenne dort niemanden. Also mussten wir die gebotenen drei Stunden abwarten und haben gegen 18.30 Uhr in der Notaufnahme angerufen – um dort zu erfahren, dass sie keinen Patienten mit unserem Namen haben. Wir könnten aber über die Leitstelle des MKT erfahren, wohin meine Mutter gebracht wurde. Nein, konnten wir nicht. Aus Datenschutzgründen. Wir könnten nun auf dem nächsten Polizeirevier – nachdem wir uns ausgewiesen hätten – erfahren, wo sie ist. Nun arbeitet ja mein Sohn bei der Kripo München, daher hat er die Initiative ergriffen und seine Großmutter gesucht. Und, oh Wunder, sie war doch in diesem Krankenhaus. Nicht dass sich bei unserem nächsten Anruf dort irgendjemand bei uns entschuldigt oder wenigstens mit viel Arbeit oder so herausgeredet hätte. Nein, ich wurde noch gemaßregelt und sollte „ein bisschen langsam machen …“. Wenigstens hat man mir gesagt, dass meine Mutter nach wie vor starke Schmerzen und die Verdachtsdiagnose sich nicht bestätigt hätte. Es würde nun ein CT folgen, und ich sollte in zwei Stunden noch einmal anrufen. Einen Arzt zu sprechen, war nicht möglich.

„Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen: Das Leben ist mein außergewöhnlichster Umstand.“

Stefan Rogal (*1965), dt. Autor, Kolumnist und Herausgeber

Also, neue Zeit – neues Glück. Aber zu früh gefreut. Bei unserem nächsten Anruf gegen 22.30 Uhr lief gerade das CT. Ich habe sehr freundlich angefragt, ob ich meine Telefonnummer hinterlassen könnte, damit ich angerufen werde, wenn sich etwas ergibt. Ich habe es tunlichst unterlassen, die Kollegin darauf hinzuweisen, dass sie es versäumt hatte, bei einem meiner sie offensichtlich extrem nervenden Anrufe eben diese Nummer zu erfragen. Bis in die frühen Morgenstunden kam keinerlei Anruf. Als ich gegen 6 Uhr dort wieder angerufen habe, teilte man mir mit, dass meine Mutter auf eine urologische Station verlegt wurde. Dort erfuhr ich, dass sie immer noch Schmerzen habe, heute aber im Haus verlegt werde. Am Vormittag haben wir in der Wohnung meiner Mutter die nötigsten Sachen zusammengepackt und standen dann vor zwei Bundeswehrsoldaten am Haupteingang des Krankenhauses, das jetzt in irgendeinem Zimmer meine Mutter beherbergte. Das Einzige, was wir erfuhren, war die Station und die dazugehörige Telefonnummer – immerhin. Wir durften das Haus nicht betreten, ein Arzt war nicht zu sprechen (keiner der Männer machte irgendwelche Anstalten, uns behilflich zu sein). Dafür durften wir ihre Sachen dort lassen. Alles war sehr reglementiert bis hin zu der Summe von 30 Euro, die wir unserer Mutter zukommen lassen durften. Mein Sohn war sehr angespannt und ich am Limit. Immerhin war meine Mutter nun bald 24 Stunden in diesem Haus, und wir wussten nichts.

Noch vom Parkplatz des Krankenhauses aus rief mein Sohn auf dieser Station an. Die Schwester gab keine Auskunft – was ja im Normalfall richtig ist. Im Normalfall hätten wir allerdings auch längst am Bett meiner Mutter gesessen oder ich hätte so lange auf dem Flur gestanden, bis mir ein Arzt über den Weg gelaufen wäre. Wenigstens durften wir wieder mal unsere Rufnummern angeben. Im Lauf des Tages bekam meine Mutter dann offenbar ihre Tasche, in der zum Glück auch ihr Handy war. Von nun an bekamen wir alle nötigen, unnötigen, widersprüchlichen und sehr subjektiv geprägten Informationen von meiner Mutter selbst – einer über 80-jährigen und unter i.v.-Schmerzmitteln stehenden (ich habe mir von ihr immer wieder vorlesen lassen, was auf den Infusionsflaschen steht), verängstigten und/oder genervten Frau.

Es sollte tatsächlich Tag vier des Aufenthalts werden, bis ich einen Arzt ans Telefon bekam. Dieser schilderte mir, wie es um meine Mutter stand und auch sehr eindrucksvoll die durch Corona bedingte Situation im Krankenhaus. Er sprach von reduzierten OP-Kapazitäten, halbiertem Pflegepersonal und der damit einhergehenden Überlastung aller Beteiligten. So erklärte er auch die schleppende Behandlung meiner Mutter, die vital nicht bedroht sei – das war ihm wichtig zu erwähnen. Eine Sondererlaubnis für einen Besuch bei ihr war nicht zu bekommen. Am sechsten Tag nach Einweisung wurde meine Mutter endlich operiert und war schwups am vierten Post-OP-Tag wieder zu Hause. Ein Häufchen Elend mit zwei Novalgin-Tabletten und einem unfertigen Entlassbrief. Den weiteren Verlauf haben wir dann ganz gut gemeistert. Zum Glück bin ich ja Krankenschwester und damit Kummer gewohnt, flexibel, innovativ, belastbar und mir für nichts zu schade.

Warum schreibe ich das alles auf? Ich war mir auch schon vor der Erkrankung meiner Mutter der besonderen Situation, der wir alle durch die Corona-Pandemie ausgesetzt sind, sehr bewusst. Ich achte beruflich und privat auf alle vorgegebenen hygienischen und sozialen Anforderungen. Aber Situationen, wie wir sie als Familie erlebt haben, müssten auch bedacht werden. Es kann nicht sein, dass Familienangehörige tagelang ohne konkrete Auskunft über erkrankte Angehörige alleingelassen werden. Selbst in der kleinen Klinik, in der ich arbeite, wurde ein System etabliert, um Angehörige auf dem Laufenden zu halten. Bei uns können die Patienten mit ihren Angehörigen ein „Kennwort“ ausmachen, es an uns weitergeben, und nach Angabe dieses Kennworts können wir telefonisch Auskunft geben. In einem Krankenhaus der Maximalversorgung hätte ich erwartet, dass irgendwelche Lösungen für absehbar entstehende Probleme in deren Vorfeld gefunden werden.

Auch ich finde es nicht toll, keine Freunde zu treffen oder nicht ins Café, ins Kino oder zum Friseur gehen zu können. Das nervt mich mal mehr, mal weniger. Aber die erlebte Situation um meine Mutter machte mich und unsere ganze Familie wütend und ratlos. Und das hätten wir alle wirklich nicht gebraucht!

In diesem Sinne wünsche ich allen für 2021 alles Gute!

Heidi Günther

hguenther@schoen-kliniken.de



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Article published online:
04 March 2021

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