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DOI: 10.1055/a-1385-0131
Arzneimittelversorgung für Menschen in prekären Lebenssituationen – Schriftliche Befragung von medizinischen Hilfen
Medication Supply for People in Precarious Living Situations – Written Survey on Medical HelpZusammenfassung
Hintergrund Obwohl der weit überwiegende Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung hat, trifft dies für einen Teil nicht zu. Um die Not zu lindern, haben sich auf Ehrenamt fußende medizinische Hilfen gebildet, die für eine rudimentäre medizinische Versorgung sorgen. Während darüber bereits vereinzelt berichtet wurde, gibt es bislang zur Arzneimittelversorgung von nicht abgesicherten Menschen so gut wie keine Kenntnisse. Hier will der vorliegende Bericht Anstoß geben, genauer hinzuschauen und Lösungen zum Abbau der Not zu entwickeln.
Methodik Mithilfe eines Fragebogens wurden mittels Internetrecherche auffindbare medizinische Hilfen gefragt, wie die Arzneimittelversorgung organisiert ist, ob der Bedarf gedeckt werden kann und welche Arzneimittel hauptsächlich zum Einsatz kommen.
Ergebnisse In erster Linie werden Arzneimittel auf Privatrezept verordnet und über Spenden finanziert. Zum Teil werden auch nicht regelkonforme Lösungen gefunden. Arzneimittel zur Behandlung von Infektionskrankheiten, psychischen und Hauterkrankungen sowie Schmerzmittel und – im Rahmen der Selbstmedikation – Erkältungsmittel werden am häufigsten angewendet. Chronische Erkrankungen können in der Regel dauerhaft nicht behandelt werden.
Diskussion Die Akutversorgung mit Arzneimitteln über medizinische Hilfen scheint weitgehend gewährleistet zu sein, die Behandlung chronischer Erkrankungen jedoch meist nicht. Da nur über das Internet verfügbare Informationen genutzt wurden, um deutschlandweit bestehende Einrichtungen zu finden, kann diese Untersuchung nur einen ersten Einblick zur Arzneimittelversorgung der betroffenen Personengruppen liefern. Zudem waren oftmals nur Abschätzungen möglich, da in den Einrichtungen die behandelten Fälle nicht ausreichend dokumentiert wurden.
Schlussfolgerungen Die im Rahmen dieser Untersuchung aufgefundene Arzneimittelversorgung ist defizitär. Es fehlt an (Spenden-)Geldern, um den Bedarf an Akut-, insbesondere aber Dauermedikation zu decken und die Versorgung auf dem üblichen hohen Niveau zu gewährleisten. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die Defizite genauer quanti- und qualifizieren zu können. Zudem müssen Wege gefunden werden, wie eine Regelversorgung für diese Menschen realisiert werden kann.
Abstract
Introduction Even though most of the people living in Germany have access to the healthcare system, it does not apply to all. To improve access for people in need, some, mostly voluntary, medical care centers were founded, to meet at least the most basic medical needs. There are isolated references to these projects, but none of these explain how people without access to the healthcare system obtain their medicines. The aim of this study was to use a questionnaire to identify the problems and point out approaches to help solve these issues.
Method Medical care centers, found by online research, were sent a questionnaire, asking how they organized the supply of drugs, if they covered the demand, and the drug groups that were the most common in demand. Result Most of the drugs were handed out via ‘private’ prescriptions, for which the patient usually had to pay the full price, but the projects covered the costs via donations. Drugs most in demand were for treating infectious, psychological, and skin diseases as well as pain treatment. Chronic diseases mostly could not be treated permanently.
Discussion Acute care with drugs seems to be widely covered by the medical care centers and their donations, but the treatment of chronic diseases is rarely covered. The research was limited by the online accessible information about how to contact the mostly voluntary organizations. Where there was lack of documentation, data were estimated by the centers involved; therefore, this study can only be used as an estimation of the situation on how people in need have access to medications
Conclusion The evaluated questionnaire shows a deficit in medical care. More monetary donations are needed to cover the needs and to maintain standards as in the regular healthcare system. More analyses are needed to quantify and qualify the deficit more precisely. New ways of providing high-standard healthcare have to be found, including access to drugs for everyone.
Schlüsselwörter
Sozialpharmazie - prekäre Lebenssituation - Arzneimittelversorgung - Versorgungsengpass - Public HealthKey words
Social pharmacy - medical distribution - without insurance - public health - AcknowledgementsPublication History
Article published online:
15 March 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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