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DOI: 10.1055/a-1477-7016
Herbert Gschwind (28. Januar 1952 – 2. Januar 2021)
Am 14. Januar wurde Herbert Gschwind, der kurz vor seinem 69. Geburtstag gestorben ist, auf dem Frankfurter Hauptfriedhof beerdigt. Trotz der wegen Corona verhängten Einschränkungen war die Zahl der mit seinem Lebenspartner Ulrich Gooß Trauernden groß.
Herbert Gschwind gehörte einer der Generationen an und wuchs in Verhältnissen auf, in denen trotz hoher Begabung der direkte Weg zu Abitur und Studium nicht immer möglich war. Und so hat er zuerst eine Ausbildung zum Chemielaboranten gemacht, bevor er tun konnte, was er schon lange wollte, nämlich Medizin studieren. Nach der schließlich 1983 erfolgten Approbation hat er zwischen 1984 und 1991 an verschiedenen Kliniken als Assistenzarzt gearbeitet. Unterbrochen wurden diese Stationen zwischen 1986 und 1989 durch seine Mitarbeit an der Studie „Homosexuelle Männer und AIDS“, die am Institut für Sexualwissenschaft in Frankfurt am Main angesiedelt war.
Nach seiner Dissertation, die das Verhältnis der homosexuellen Männer und der niedergelassenen Ärzte im Zeichen von HIV/Aids zum Thema hatte, kehrte er 1992 in das von Volkmar Sigusch geleitete Institut für Sexualwissenschaft in Frankfurt zurück, wo er bis 1997 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sexualmedizinischen Ambulanz arbeitete. Niedergeschlagen hat sich diese Tätigkeit in zwei Arbeiten über sexuelle Symptome und Störungen. Eine dieser Arbeiten wurde gemeinsam mit der ebenfalls beklagenswert früh verstorbenen Sophinette Becker verfasst.
Noch während seiner Zeit in der Sexualmedizinischen Ambulanz erhielt er die Anerkennung als Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und – nach der Niederlassung in eigener Praxis und der psychoanalytischen Ausbildung am DPG-Institut Frankfurt – 2001 die Zusatzbezeichnung „Psychoanalyse“.
Herbert Gschwind war ein leidenschaftlicher Kliniker und – obwohl kein Mitglied einer psychoanalytischen Vereinigung – ein überzeugter und überzeugender Psychoanalytiker. Und Herbert Gschwind war ein schwuler Analytiker, also ein, wie er sagte, noch seltenes Exemplar. Das deshalb, weil es offen homosexuellen Männern über eine lange Periode verwehrt war, Psychoanalytiker zu werden. Auch 1994, als er die psychoanalytische Ausbildung begann, war es keineswegs selbstverständlich, dass ein offen schwuler Mann zur psychoanalytischen Ausbildung zugelassen wurde.
Die 1980 von Herbert Gschwind mitbegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule im Gesundheitswesen – Ärzte und Therapeuten (BASG) e. V. hat das Skandalon der Pathologisierung der Homosexualität und den mit ihr im Zusammenhang stehenden ruchlosen Ausschluss der Homosexuellen von der psychoanalytischen Ausbildung erforscht und offenbart. Und er selber hat der Psychoanalyse 2015 in einer Publikation – mit einem der von ihm gerne aus einem Zitat montierten Titel – einen „Trümmerhaufen der Psychopathologisierung“ bescheinigt.
Gemeinsam mit fünf anderen schwulen Männern aus Frankfurt setzte sich Herbert Gschwind seit 1989 für die Errichtung eines Mahnmals Homosexuellenverfolgung ein. Auch wenn die politische Konstellation durch die regierende rot-grüne Koalition günstig war, musste diese doch dazu gebracht werden, aus der Idee eines Mahnmals, mit dem an die Verfolgung und Ermordung von homosexuellen Männern und Frauen im Nationalsozialismus erinnert werden sollte, eine Notwendigkeit zu machen. Gelungen ist das nicht zuletzt durch die Emphase, mit der diese sechs Männer „ihr“ Projekt vorantrieben. Das als „Frankfurter Engel“ bezeichnete Mahnmal, das von Rosemarie Trockel entworfen wurde, steht seit dem 11. Dezember 1994 mitten in der Stadt, wo sich zur damaligen Zeit noch das Zentrum der schwulen Subkultur befand. Auf diesen auch durch seine Energie realisierten Ort des Erinnerns war Herbert Gschwind schon ein wenig stolz, und das vollkommen zu Recht.
Das zweite große Thema, das er beharrlich und mit zunehmendem Nachdruck durcharbeitete, heißt Pädosexualität. Begonnen hat das mit einer fulminanten Rezension des Buches „Male Intergenerational Intimacy“, das von Theo Sandfort und anderen herausgegeben wurde. In dieser 1994 in der „Zeitschrift für Sexualforschung“ erschienenen Kritik ist seine eigene, immer differenzierter entwickelte Position zur Pädosexualität bereits in nuce enthalten. Zuletzt erschien von ihm dazu ein Artikel in dem Band „Psychoanalyse und männliche Homosexualität“, in dem er, ausgehend von Freuds Studie zu Leonardo da Vincis Kindheitserinnerungen, die unheilvolle Verquickung von männlicher Pädosexualität und männlicher Homosexualität analysiert. Herbert Gschwind konnte dabei auf seine jahrelange, nein jahrzehntelange therapeutische Arbeit mit pädosexuellen Männern zurückgreifen.
Dass Herbert Gschwind in die 1994 eingesetzte Kommission der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) berufen wurde, die den Auftrag hatte, die Position der DGfS zur Pädophilie/Pädosexualität kritisch zu durchleuchten, erstaunt unter diesen Voraussetzungen nicht. Sein Bericht aus dieser Kommission, den er auf einem Kolloquium der DGfS im Juni 2018 vortrug, ist nicht nur die letzte Äußerung von ihm zur Pädosexualität, sondern auch sein letztes öffentlich gemachtes sexualwissenschaftlich-psychoanalytisches Wort.
Wer die der therapeutischen Tätigkeit, die auch einen Schwerpunkt in der Behandlung von trans Menschen hatte, oft abgerungenen Texte liest, wird sich wünschen, Herbert Gschwind hätte die Auseinandersetzung mit seinen Generalthemen weiter vertiefen können. Diese Themen umkreiste er gleichsam mit einer Suchbewegung, griff bereits Gesagtes und Zitiertes noch einmal auf, rückte es in eine andere, wahrscheinlich vom noch offeneren Hören auf seine Patienten angestoßene Richtung. Möglich auch, dass ein neu entdecktes Stück belletristischer Literatur zu einer erhellten Einsicht in die Sache führte. Literarische „Funde“ sind in vielen seiner Aufsätze enthalten, was auf einen Leser von Rang hindeutet. Bei aller Liebe zu seinem Beruf, die sich zuletzt in der der Krankheit abgetrotzten Arbeitsfähigkeit ausdrückte – ohne die Kunst, zumal Literatur, Film und Theater, die weiten Reisen, die er gemeinsam mit seinem Lebenspartner unternommen hat, und seinem Rosengarten hätte man sich Herbert Gschwind allerdings nicht vorstellen können.
Die 26. Wissenschaftliche Tagung der DGfS, die 2019 in Hamburg stattfand, hat er als Mitglied des Vorstandes, das er seit 2016 war, inhaltlich mitgestaltet. Auf der vorhergehenden Tagung in Frankfurt fungierte er gleichsam als örtlicher Gastgeber. Beteiligt war Herbert Gschwind neben Sophinette Becker und Martin Dannecker auch an der Entwicklung der Frankfurter Weiterbildung für Sexualtherapie, die, auf der Basis des CII-Curriculums der DGfS, psychoanalytisch eingefärbt wurde und sich in dieser Gestalt als ausgesprochen erfolgreiches Modell erwies.
Herbert Gschwind wird der Sexualwissenschaft als ein von der Psychoanalyse durchdrungener Sexualwissenschaftler und der Psychoanalyse als ein von der Sexualwissenschaft durchdrungener Psychoanalytiker fehlen. Vermissen wird man auch seine zurückhaltende Präsenz auf den Tagungen der DGfS, an denen er regelmäßig teilgenommen hat, und seinen Charme der eher leisen Art.
Fehlen wird uns aber vor allem der Freund, der er schon lange für uns war.
Publication History
Article published online:
09 June 2021
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