Nervenheilkunde 2021; 40(10): 824-826
DOI: 10.1055/a-1484-0647
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Stefan Evers
,
Victoria Ruschil
,
Robert Fleischmann

Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz

**** Ziegeler C, Schulte LH, May A. Altered trigeminal pain processing on brainstem level in persistent idiopathic facial pain. Pain 2021; 162: 1374–1378

Patienten reagieren auf Schmerzreize mit gesteigerter Aktivierung im kaudalen Trigeminuskern.

Inhalt

Der anhaltende idiopathische Gesichtsschmerz (engl. persistent idiopathic facial pain, PIFP) wurde früher atypischer Gesichtsschmerz genannt. Es handelt sich um eines der am wenigsten erforschten Schmerzphänomene, obwohl die Prävalenz nicht gering ist (die offizielle Prävalenz von unter 0,1 % ist sehr wahrscheinlich unterschätzt). Leider ist diese Erkrankung nur wenig bekannt, sodass sie zu den häufigsten falsch negativen Diagnosen im Kopf- und Gesichtsschmerzbereich gehört. In der hier vorgelegten Arbeit sollte die trigeminale Schmerzverarbeitung beim PIFP untersucht werden. Dazu wurden 25 Patienten mit PIFP und 25 gesunde Kontrollen untersucht. Trigeminale Schmerzen wurden durch die stoßweise Applikation von gasförmigem Ammoniak in das linke Nasenloch evoziert. Im Schmerzmodell zeigten beide Gruppen dieselben Symptome, es bestand kein signifikanter Unterschied in der Schmerzintensität von 0–10. Im Vergleich beider Gruppen in der Aktivierung gemessen im fMRT zeigte sich jedoch ein signifikanter Unterschied, nämlich eine ipsilaterale Aktivierung im spinalen Nucleus caudalis des Nervus trigeminus. Im Übrigen wurde in beiden Gruppen die zerebrale Schmerzmatrix aktiviert. Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass es beim PIFP zu somatisch begründbaren Veränderungen der trigeminalen Schmerzverarbeitung kommt, die jedoch durch andere Studien (z. B. im Vergleich zum neuropathischen Gesichtsschmerz) genauer untersucht werden müssen.


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Kommentar

Die Studie ist erst einmal ohnehin verdienstvoll, weil sie sich einer in der Forschung bislang vernachlässigtem Schmerzerkrankung widmet. Sie ist aber auch verdienstvoll, weil sie weitere Informationen über das Wesen dieser Erkrankung gibt. Zwar stellt PIFP klinisch gesehen ein relativ klares Krankheitsbild dar, vor allem für diejenigen, die häufiger solche Patienten sehen, es ist jedoch sehr umstritten, ob es sich um eine Entität und um eine eher somatoform gestaltete Erkrankung oder um eine neurologische Erkrankung handelt. Die Diskussion wird in ähnlicher Form beim Fibromyalgie-Syndrom oder beim Burning-Mouth-Syndrom geführt. Diese Arbeit zeigt eindrücklich, dass es beim PIFP zu spezifischen Aktivierungen in der trigeminalen Schmerzverarbeitung kommt, es handelt sich dabei sehr wahrscheinlich um fazilitierende Prozesse und nicht um inhibierende. Allerdings kann diese Studie nicht die Fragen beantworten, welche Bedingungen letztlich zur Entstehung von PIFP beitragen. Hier bleibt zum einen offen, ob es sich bei den beobachteten Veränderungen nicht um Folgen der Schmerzerkrankung selbst handelt (im Sinne einer Plastizität) und nicht um deren primum movens. Zum anderen kann es sein, dass die beobachteten Veränderungen eine notwendige (evt. weiter verbreitete), aber nicht hinreichende Bedingung für die Entstehung des PIFP darstellen. In jedem Fall ist es sehr begrüßenswert, dass die hochwertige moderne Schmerzforschung nun auch den PIFP erreicht hat.

Stefan Evers, Coppenbrügge


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Publication History

Article published online:
05 October 2021

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