Klin Monbl Augenheilkd 2021; 238(07): 788-796
DOI: 10.1055/a-1508-6194
Klinische Studie

Intraarterielle Chemotherapie beim Retinoblastom – erste Erfahrungen eines deutschen Referenzzentrums

Article in several languages: English | deutsch
Tobias Kiefer
1   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Sabrina Schlüter
1   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Nikolaos E. Bechrakis
1   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Norbert Bornfeld
1   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Sophia Göricke
2   Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Petra Ketteler
3   Klinik für pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Saskia Ting
4   Institut für Pathologie und Neuropathologie, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
5   Westdeutsches Protonenzentrum Essen (WPE), Klinik für Partikeltherapie, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
,
Eva Biewald
1   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Essen, Deutschland
› Author Affiliations

Zusammenfassung

Hintergrund Das Retinoblastom, als häufigste intraokulare Tumorentität, bedarf einer interdisziplinären und individuellen Therapie. Die intraarterielle Chemotherapie (IAC) ermöglicht die supraselektive interventionelle Gabe eines Chemotherapeutikums über die A. ophthalmica und hat sich in den weltweiten Behandlungszentren zunehmend etabliert. Die publizierten Erfahrungen zwischen den verschiedenen Zentren sind teilweise sehr heterogen. Offen bleibt insbesondere der Stellenwert von visusbedrohenden okulären Nebenwirkungen und die Langzeitfolgen in Bezug auf Zweitmalignome oder Metastasen nach IAC. Ziel der vorgestellten Studie ist es, die Ergebnisse eines deutschen nationalen Referenzzentrums zu analysieren.

Methoden Retrospektive Analyse aller Retinoblastomkinder, die im Zeitraum von April 2010 bis April 2020 die Indikation zu mindestens einer IAC als Primär- oder Rezidivtherapie erhielten. Das minimale Follow-up betrug 6 Monate.

Ergebnisse Es wurden 137 Augen von 127 Kindern mit der Indikation zur IAC eingeschlossen. 12 Augen wurden aufgrund eines Follow-ups von weniger als 6 Monaten ausgeschlossen, bei weiteren 37 war die IAC technisch nicht durchführbar. Es konnten folglich 88 Augen von 79 Kindern mit mindestens einer erfolgreichen IAC eingeschlossen werden. Das mittlere Follow-up betrug 38 Monate (7 – 117). Es wurden insgesamt 195 IACs durchgeführt, wobei die IAC bei 30 Augen (34,1%) als Primärtherapie und bei den übrigen 58 Augen (65,9%) als Sekundärtherapie durchgeführt wurde. In 75 Augen (85,2%) zeigte sich ein primäres Ansprechen auf die IAC mit einer Rezidivfreiheit von 61,3%. Die Bulbuserhaltungsrate lag mit 28 enukleierten Augen bei 68,1%. Bei 36 Augen (40,9%) kam es zu unterschiedlichen okulären Nebenwirkungen und Komplikationen. Bei 19 der 37 von Komplikationen betroffenen Augen (21,6%) traten visusrelevante und bei 11 Augen (12,5%) nicht visusrelevante toxische Reaktionen auf. Während des Follow-ups entwickelte 1 Kind ein Zweitmalignom, 1 Kind entwickelte Metastasen und 1 Kind verstarb an den Folgen eines trilateralen Retinoblastoms.

Schlussfolgerung Zusammenfassend stellt die IAC ein potentes Therapieverfahren zur Behandlung des Retinoblastoms dar, das auch bei fortgeschrittenen und vorbehandelten Befunden zum Bulbuserhalt eingesetzt werden kann. Dennoch sollten die okulären Komplikationen, insbesondere bei funktioneller Unicussituation, nicht außer Acht gelassen werden. Langzeitergebnisse in Bezug auf Zweitmalignome und Metastasenentwicklung stehen derzeit aus und sollten über prospektive Multicenterstudien analysiert und bewertet werden.



Publication History

Received: 15 February 2021

Accepted: 11 May 2021

Article published online:
10 August 2021

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